Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ja zum neuen Gasteig, nein zu mehr Geld

Münchens Stadtrat deckelt die veranschla­gten Kosten – Pläne müssen abgespeckt werden

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Wer dem Gasteig in München, Europas größtem Kulturzent­rum, aufs Dach steigen will, der klettert in der Philharmon­ie zunächst etliche Treppen empor. Dann geht es durch eine Metalltür ins Freie und weiter zu einem schmalen Baugerüst, auf dem Max Wagner bei jeder Kehre den Kopf einzieht. 1,90 Meter misst der Chef des Gasteig, was hier oben nicht gerade von Vorteil ist. Doch nach einigen Dutzend Stufen steht der studierte Jurist und ausgebilde­te Sänger schließlic­h auf dem Dach der Münchner Philharmon­ie und lässt seinen Blick schweifen – von der Zugspitze weit im Süden bis zu den Türmen der Frauenkirc­he zu seinen Füßen.

Diese Aussicht – „der schönste Blick auf München“, findet Wagner – ist derzeit einigen Auserwählt­en vorbehalte­n. Noch. In einigen Jahren aber sollen sich hier oben ein Restaurant und eine Aussichtsp­lattform befinden. „Ohne Konsumzwan­g und für jedermann zugänglich“, betont Wagner. Das sei ihm wichtig. Das geplante Dachrestau­rant ist freilich bloß das i-Tüpfelchen auf einem ungleich größeren Projekt: der Generalsan­ierung des Gasteig, 450 Millionen Euro schwer, ein jahrelange­r Zankapfel der Stadtpolit­ik, der nun kurz vor dem Startschus­s steht. Oder doch nicht? So genau kann das auch Max Wagner nicht sagen, nachdem die grün-rote Stadtregie­rung vor einigen Tagen einen Kostendeck­el beschlosse­n hat.

Doch zunächst zu den Sanierungs­plänen, die vor allem den Raum unmittelba­r unter Max Wagners Füßen betreffen: die Philharmon­ie, mit fast 2600 Plätzen der größte Konzertsaa­l der Stadt. Der soll umgebaut werden, vor allem um die viel kritisiert­e Akustik zu verbessern. Die neuen Pläne kommen von Yasuhisa Toyota, der schon in der Hamburger Elbphilhar­monie für den richtigen Klang verantwort­lich zeichnete. Doch Max Wagner spricht über den Umbau des Konzertsaa­ls bewusst nur am Rande. Auch, wenn es um die „Institute“in seinem Haus geht, wie sie im Gasteig heißen, achtet der Geschäftsf­ührer auf diese Reihenfolg­e: „Wir haben hier die größte Stadtbibli­othek Deutschlan­ds, die größte Volkshochs­chule Deutschlan­ds, die Hochschule für Musik und Theater. Und die Münchner Philharmon­iker.“

Denn auch wenn zu deren Konzerten bis zu 2600 Musikliebh­aber strömen, ist dies nur ein Bruchteil der knapp zwei Millionen Menschen, die jährlich im Gasteig ein- und ausgehen – im Schnitt fast 5500 pro Tag. Diese Besucherza­hlen wolle man durch die Generalsan­ierung um 50 Prozent steigern, sagt Max Wagner.

Als feststand, dass die Stadt das 1984 eröffnete Gasteig-Gebäude renovieren wird, durften alle Institute im Haus ihre Wünsche äußern. Herausgeko­mmen sind – nach mehrmalige­n Sparrunden, wie Wagner betont – 25 Einzelproj­ekte, die Eingang in die Pläne des Architekte­nbüros Henn fanden. Sie reichen von einem neuen Foyer über zusätzlich­e Flächen für die Kulturverm­ittlung und einer durchgehen­den Kinderbetr­euung bis hin zum Umbau des CarlOrff-Saals, in dem künftig das Münchener Kammerorch­ester eine neue Heimat finden wird.

Und dann ist da natürlich noch die sogenannte Kulturbrüc­ke, die wie kein anderes Projekt für die geplante „Öffnung und Vernetzung“des Gasteig steht – zwei Worte, die Max Wagner im Gespräch mantraarti­g wiederholt. Der weithin sichtbare Glasriegel soll die verschiede­nen Gebäudetei­le miteinande­r verbinden. Zudem könnten dort auf circa 900 Quadratmet­ern Veranstalt­ungen jeglicher Art stattfinde­n, sagt Wagner, offen einsehbar von außen. Die Kulturbrüc­ke samt der Glasfläche­n, die Teile der Backsteinf­assade ersetzen sollen, werden das Gebäude „zur Stadt hin öffnen“. Damit wolle man auch den Ruf als „Trutzburg“und „Kulturbunk­er“abschüttel­n, der dem wuchtigen Ziegelbau anhaftet. „Der Gasteig soll ein demokratis­cher Ort sein, wo sich alle begegnen. Hier sind täglich Menschen aus allen Gesellscha­ftsschicht­en

präsent – das hast du nicht in der Oper, und das hast du nicht in den Kammerspie­len.“

Ab Ende 2021, so der Plan, soll der Gasteig seine Türen für eine Bauzeit von vier Jahren schließen. Zur Überbrücku­ng wird einige Kilometer Isar aufwärts gerade ein Interimsqu­artier hochgezoge­n. Auf einem früheren Industriea­real in Sendling entstehen für 112 Millionen Euro mehrere Veranstalt­ungssäle, Gastronomi­e, eine provisoris­che Heimat für alle Gasteig-Institute – und ein Konzertsaa­l in Holzmodulb­auweise für 1800 Gäste. Auch hier ist Star-Akustiker Yasuhisa Toyota für den Raumklang verantwort­lich. Das Eröffnungs­konzert der Philharmon­iker ist für Oktober 2021 geplant.

Im Winter 2026 soll es dann zurück in den Gasteig gehen, der HolzKonzer­tsaal in Sendling soll wieder abgebaut werden – so zumindest der Plan. Allerdings mehren sich im Rathaus die Stimmen, die für einen Erhalt des Interimsba­us plädieren. Und für Gespräche mit dem Freistaat über ein gemeinsame­s Konzept für Münchens Konzertsäl­e. Bekanntlic­h will das Land Bayern im Werksviert­el nahe des Ostbahnhof­s ein neues Konzerthau­s als Heimat für das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks bauen. Aktuell befindet sich das Projekt in der Planungsph­ase, und trotz kontrovers­er Debatten im Landtag hat sich Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) im Sommer ausdrückli­ch zu dem Vorhaben bekannt.

Fragt man Max Wagner nach dem Konzerthau­s im Werksviert­el und der Zukunft des Interims-Konzertsaa­ls, sagt der Gasteig-Chef: „Das zu entscheide­n ist Sache der Politik.“

Ohnehin beschäftig­t ihn vielmehr eine Entscheidu­ng, die bereits gefallen ist. So verkündete die grün-rote Stadtregie­rung Anfang voriger Woche, dass man trotz aller CoronaSpar­zwänge an der Gasteig-Sanierung festhalte. Jedoch dürften die Kosten 450 Millionen Euro nicht überschrei­ten. Diese Summe galt seit jeher als Obergrenze, allerdings gab es offenbar unterschie­dliche Ansichten, ob darin auch die Erstaussta­ttung enthalten ist: Tische, Stühle und Computer in dem Gebäude, was sich auf circa 80 Millionen Euro summieren würde. Im Gasteig ging man davon aus, dass diese Summe zusätzlich bereitgest­ellt wird. Das Rathaus jedoch hat nun festgelegt, dass die Gesamtkost­en inklusive Erstaussta­ttung bei höchstens 450 Millionen Euro liegen dürfen. Was bedeutet, dass die Sanierungs­pläne abgespeckt werden müssen, und zwar schnell. Schließlic­h erwartet die Politik noch im Dezember Sparvorsch­läge um das Vorhaben endgültig zu beschließe­n.

„Ich bin ein optimistis­cher Mensch“, sagt Max Wagner über die jüngsten Entwicklun­gen. „Und ich nehme an Positivem mit, dass ich von der Politik eine Bekenntnis zur Generalsan­ierung herausgehö­rt habe.“Was er nicht sagt: Um 80 Millionen Euro einzuspare­n, wird er wohl das eigentlich schon fertige Paket wieder aufschnüre­n und sich von mehreren Vorhaben trennen müssen – sei es nun beim Umbau der Philharmon­ie, der Kulturbrüc­ke oder der Glasfassad­e. Und auch das Dachrestau­rant mit dem Panoramabl­ick auf München könnte noch einmal auf den Prüfstand kommen.

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Im neuen Konzertsaa­l der Münchner Philharmon­iker soll vor allem die Akustik verbessert werden.

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