Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Jetzt eine Reise zu buchen, fällt leichter“
Reisebüro-Inhaber Wolfgang Weiß aus Bad Wurzach über die Zukunft der Branch und die Reiseziele
BAD WURZACH - Die Reisebranche ist von der Corona-Krise arg gebeutelt. Über ihre Lage im Allgemeinen und seine im Speziellen hat sich Steffen Lang mit dem Inhaber des Bad Wurzacher Reisebüros WWeiss, Wolfgang Weiß, unterhalten.
Herr Weiß, wie viele Reisen haben Sie seit dem vergangenen März verkauft?
Wolfgang Weiß: Das kann ich an zwei Händen abzählen. Und von den gebuchten Reisen habe ich 80 bis 90 Prozent wieder storniert, weil sich die Lage in den Zielländern geändert hat.
Stornierungen dürften insgesamt seit März ihr Hauptaufgabengebiet gewesen sein, oder?
Allerdings. Von Mitte März bis Ende April waren wir fast ausschließlich mit Stornierungen, Umbuchungen und Korrespondenz für die Kunden beschäftigt.
Hatten Sie auch mit dem Problem der schleppenden Erstattungen der bereits geleisteten Zahlungen zu tun?
Das lief nicht immer über die Reisebüros, das wird teilweise direkt mit den Kunden abgewickelt. Aber einige unserer Kunden warten noch heute auf ihr Geld. Einige Reiseunternehmer und Fluggesellschaften gingen damals, teilweise bis heute, einfach nicht mehr ans Telefon, alles musste über EMails laufen. Aber ich jammere inzwischen da schon gar nicht mehr ...
Wie haben Sie mit Ihrem Reisebüro auf die Flaute in der Branche reagiert?
Wir haben nach dem Lockdown die Öffnungszeiten stark reduziert. Um meinen Kunden eine Betreuung auch dann, wenn wir nicht erreichbar sein sollten, zu gewährleisten, haben wir uns mit einem Bad Waldseer Reisebüro zusammengetan.
So wie derzeit, da Ihr Reisebüro wieder geschlossen ist?
Ja, im November und Dezember haben wir geschlossen, renovieren die Räumlichkeiten. Bis zur Wiedereröffnung Anfang Januar sind wir per Telefon, Mail und mit einer Terminvereinbarung auch persönlich für die Kunden erreichbar.
Rechnen Sie im neuen Jahr mit einer Erholung des Reisemarkts?
Ich bin der festen Überzeugung, dass viele dann ihren Sommerurlaub 2021 buchen. Im Dezember und Januar müssen ja die allermeisten ihren Jahresurlaub festlegen und werden sich überlegen, wohin es gehen soll. Jetzt eine Reise zu buchen, fällt auch leichter, weil fast alle Veranstalter ihre Stornobedingungen dahingehend geändert haben, dass der Kunde bis 14 Tage vor Abreise kostenlos von der Reise zurücktreten kann.
Was, glauben Sie, ist 2021 an Reisen möglich?
Für den Sommer ist, Stand heute, fast alles buchbar. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel die Karibik, wohin derzeit nur Kuba angeflogen wird. Aber in den beliebten Zielen wie Spanien oder der Türkei ist alles zu haben, wenn auch nicht von allen Flughäfen aus.
Erwarten Sie 2021 eher einen Reiseboom wegen des in diesem Jahr ausgefallenen Urlaubs oder eine stärkere Zurückhaltung aus Vorsicht?
Es wird sich wohl die Waage halten. Es gibt die, die jetzt unbedingt weg wollen, und die, die lieber abwarten, wie sich die Lage entwickelt.
Sind Fernreisen noch gefragt, oder bleiben die Urlauber lieber in Europa, wo das Gesundheitssystem besser ist?
Der Urlaub mit dem eigenen Auto hat in den vergangenen Monaten enorm zugelegt und wird es wohl auch weiter tun. Die Leute wollen flexibel sein und im Notfall schnell reagieren, ohne auf andere angewiesen zu sein. Es geht dementsprechend oft nach Österreich, in die Schweiz, nach Dänemark oder in die Niederlanden zum Beispiel. Was an Flugreisen gebucht werden wird, ist davon abhängig, was angeboten wird. Die Veranstalter werden sie sicher mit dem Hinweis auf die neuen Stornobedingungen stark bewerben. Und ich denke, mit dieser Rücktrittssicherung kommen auch die Buchungen für weiter entfernte Ziele.
Muss ich bei Urlaub im fernen Ausland nicht befürchten, wieder auf Rückholaktionen angewiesen zu sein?
Daran glaube ich nicht. Die Entwicklung im März und April kam ja völlig überraschend, das wird sich so kaum wiederholen.
Sie können also guten Gewissens auch Fernreisen empfehlen?
Ja sicher, bevorzugte Ziele sind im Moment Kuba und die Malediven. Weitere Fernreiseziele werden nach und nach wieder für den Tourismus geöffnet werden.
Wie werden sich die Preise entwickeln? Wird das Reisen eher teurer oder eher günstiger?
Ich kann mir eine erste Phase vorstellen, in der die Veranstalter mit Kampfpreisen auf den Markt gehen. Von der Logik her aber muss es teurer werden, damit die Veranstalter wie auch die Hotels vor Ort die Verluste dieses Jahres wieder ausgleichen können.
Gab oder gibt es eigentlich für Reisebüros angesichts der enormen Einnahmeausfälle auch Hilfen vom Staat?
Ja, auch ich habe sie beantragt und bekommen. Beim ersten CoronaSchutzschild im Frühjahr ging das relativ formlos. Bei den Novemberhilfen wird es kritischer, da braucht man die Hilfe eines Steuerberaters – und die haben im Moment nicht nur mit Reisebüros enorm zu tun.
Ihr persönlicher Blick auf 2021?
Ich hoffe, dass die Impfungen beginnen und die Politiker dann entspannter mit der Situation umgehen.
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