Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Ein bewegtes Leben in der neuen und der alten Welt
W. Michael Blumenthal wird 95 Jahre alt – Vom US-Finanzminister zum Direktor des Jüdischen Museums
BERLIN (KNA) - Er war der erste Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Doch tatsächlich hat es in seinem Leben länger gedauert, bis er mehr über seine jüdischen Wurzeln erfahren wollte. Am Sonntag wird er 95 Jahre alt.
In Deutschland kennt man ihn vor allem im Zusammenhang mit dem Jüdischen Museum Berlin. W. Michael Blumenthal stand von 1997 bis 2014 an der Spitze des prominenten Ausstellungshauses und war dessen Gründungsdirektor. Doch bevor Blumenthal nach Berlin kam, hatte er bereits eine steile berufliche Karriere in den USA hinter sich.
Geboren wurde Blumenthal am 3. Januar 1926 Oranienburg bei Berlin. Wie seine berufliche Laufbahn verliefen auch die Jahre bis zum jungen Erwachsenenalter turbulent. Blumenthal wurde in eine alteingesessene jüdische Familie geboren. Seine Eltern hatten 1921 bereits eine Tochter bekommen, der Vater hatte als Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft und war der Erbe der Oranienburger Bank. „Man bewohnte ein geräumiges Haus, hatte Personal und konnte nicht klagen“, schreibt Blumenthal in seinem Buch „Die unsichtbare Mauer“über die 300-jährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, zu der auch die Intellektuelle Rahel Varnhagen von Ense und der Musiker Giacomo Meyerbeer gehörten.
Wegen der Wirtschaftskrise ging die Bank jedoch pleite. Die Blumenthals zogen nach Berlin und bauten sich eine Existenz mit einem Geschäft auf. Die Wende kam mit den Novemberpogromen: Das Geschäft wurde demoliert, der Vater in Buchenwald für sechs Wochen gefoltert und eingesperrt. Die Mutter ergatterte mühsam Tickets für Shanghai, der Vater kam frei, und die vierköpfige Familie flüchtete im April 1939 nach China.
Shanghai sei ein anhaltender Schock für die Erwachsenen gewesen: erst Gesetzlosigkeit, dann die japanische Besatzung und Leben im Ghetto. Erst 1947 konnte die Familie nach San Francisco einwandern. Da war Blumenthal 21 Jahre alt, hatte 65 Dollar in der Tasche und war nach eigener Darstellung
voller Tatendrang. Er erlangte die amerikanische Staatsbürgerschaft, promovierte an der Princeton University und arbeitete dort als Wirtschaftsprofessor. In den 1960er-Jahren beriet er die Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. 1977 berief ihn Präsident Jimmy Carter als Finanzminister in sein Kabinett.
1997 wurde Blumenthal dann zum Direktor des Jüdischen Museums Berlin berufen, das 2001 eröffnete. Laut Blumenthal sollte das Haus zeigen, „dass Juden durch Jahrhunderte hindurch tief verwurzelte Deutsche waren und Unentbehrliches zum intellektuellen Leben des Landes und zur Entwicklung Deutschlands zu einer modernen Nation beitrugen“. Zuletzt geriet das Museum jedoch wegen eines heftigen Streits um seine Ausrichtung in die Schlagzeilen, und Direktor Peter Schäfer trat 2019 zurück. Unter seiner Nachfolgerin Hetty Berg wurde nach einem Umbau die neue Dauerausstellung eröffnet.
Der vielfach mit Ehrungen ausgezeichnete Blumenthal, Vater von vier Kindern, ist auch Träger des Bundesverdienstkreuzes. Die tiefere Beschäftigung mit seiner Vergangenheit war nach eigener Darstellung zunächst hinter seinem erfolgreichen Leben in den USA verblasst. Doch mit dem Älterwerden hätten die Fragen und eine Beschäftigung mit der Vergangenheit eingesetzt, schreibt er: „Wissen ist das Toupet, mit dem wir die Kahlköpfigkeit unserer Ignoranz verdecken, und nun irritierte mich der kalte Luftzug über meinem Haupt immer mehr.“