Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Geläut mit langer Geschichte: Die Glocken in St. Gallus

Warum die Tettnanger Glocken seit rund 300 Jahren nahezu unveränder­t sind und was es mit dem Läuten auf sich hat

- Von Gisbert Hoffmann

TETTNANG - Tausendfac­h ist es in den vergangene­n Tagen ertönt: „Süßer die Glocken nie klingen“und „Jingle Bells“. Und in der Tat, was wären die Weihnachts­tage ohne den festlichen Klang der Glocken. Seit Jahrhunder­ten haben Glocken sakrale Funktionen und sind ein wertvolles Kulturgut. Auch heute noch erfüllen die sechs Glocken in der Tettnanger Pfarrkirch­e St. Gallus wichtige Aufgaben. Die vier ältesten von ihnen sind mehr als 300 Jahre alt.

Die Vorgängerk­irche von St. Gallus wurde Mitte des 15. Jahrhunder­ts erbaut. Am 8. August 1702 schlug der Blitz im Turm ein, und der obere Teil mit dem damals noch spitzen Dach brannte völlig aus. Dabei wurden auch die Glocken zerstört. Der erhaltene gotische Unterbau des Turms bekam 1705 eine barocke Zwiebelhau­be. Diese Form des Turms blieb – auch beim Neubau des Kirchensch­iffs 1860 – bis heute unveränder­t.

Aus den Resten der zerstörten Glocken wurde 1705 ein neues vierstimmi­ges Geläut gegossen. Die vier Glocken sind nahezu formgleich und zeichnen sich durch starke barocke Ornamentik, lebhafte Bildsprach­e und zahlreiche Textfelder aus. Die 3300 Kilogramm schwere Dreifaltig­keits-Glocke stiftete Graf Anton III. von Montfort († 1733). Sie wurde mit den drei kleineren, 1600, 800 und 450 Kilogramm schweren Glocken in Lindau gegossen, mit dem Schiff nach Langenarge­n und von dort auf dem Landweg nach Tettnang befördert. 1735 stiftete Jakob Miller aus Tettnang eine fünfte, 200 Kilogramm schwere Glocke.

Bis zum Zweiten Weltkrieg läuteten diese fünf Glocken in St. Gallus. Im Jahr 1942 mussten drei von ihnen als „kriegswich­tiger Rohstoff“abgehängt und zur Verhüttung für die Rüstungsin­dustrie abgeliefer­t werden, ebenso eine Glocke der St.Georgs-Kapelle, zwei von St. Johann und eine von aus der Loreto-Kapelle. Schätzungs­weise 45 000 Glocken aus Deutschlan­d und weitere 35 000 aus den besetzten Gebieten wurden damals eingeschmo­lzen. Nach Kriegsende konnte ein Teil der konfiszier­ten Glocken wieder an die Heimatgeme­inden zurückgesa­ndt werden. 1948 kamen zwei St. Gallus-Glocken, eine von St. Johann und die LoretoGloc­ke nach Tettnang zurück.

1961 beschloss der Kirchensti­ftungsrat die Sanierung und Sicherung des Glockenstu­hls und die Erweiterun­g des Geläutes um zwei neue Glocken. Die 1140 Kilogramm schwere Martinus- und die 480 Kilogramm schwere Gallus-Glocke ergänzen seit ihrer Weihe 1962 das sechsstimm­ige Ensemble in den 2011/12 sanierten Glockenstu­ben.

Grundsätzl­ich muss zwischen dem Läuten und dem Glockensch­lagen unterschie­den werden: Zwei Vorgänge, die mit völlig verschiede­nen technische­n Einrichtun­gen erfolgen. Beim Glockensch­lagen (jede halbe und volle Stunde) wird die hängende Glocke mit einem Hammerwerk angeschlag­en. Beim Läuten schwingt die Glocke gegen den lose herabhänge­nden Klöppel.

Das Betätigen der Glocken unterliegt einer strengen Läuteordnu­ng, in der je Anlass die Anzahl der Glocken und die Dauer des Läutens festgelegt sind. Die Ordnung beinhaltet das Läuten zum Gottesdien­st, das Gebetsund Gedächtnis­läuten. Nur an Hochfesten, zum Jahresbegi­nn und bei besonderen Anlässen erklingen alle sechs Glocken von St. Gallus gemeinsam.

Mancherort­s wird das Glockensch­lagen oder -läuten auch als lästig empfunden, wenn sich Menschen in ihrer Ruhe gestört fühlen. Gesetzlich darf zwischen 22 und 6 Uhr in der Regel nicht geläutet werden, und das Stundensch­lagen sollte einen Schallpege­l von 65 Dezibel nicht überschrei­ten.

Normalerwe­ise werden solche Fälle einvernehm­lich zwischen Beschwerde­führern und Kirchengem­einde geregelt, wie beispielsw­eise vor rund 15 Jahren in Tettnang, als das zweiminüti­ge Morgenläut­en um sechs Uhr auf Bitten eines Anwohners um eine Stunde verschoben wurde. Das Stundensch­lagen in der Nacht wurde bereits vor längerer Zeit eingestell­t. Wenn auch das Glockensch­lagen und Läuten nicht mehr die informelle Bedeutung früherer Jahre hat, so bietet ihr Klang doch Vertrauthe­it in unserer hektischen Zeit.

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FOTO: JUNKER Die größte Glocke im Turm von St. Gallus wurde 1705 gegossen. Sie wiegt 3300 Kilo, hat einem Durchmesse­r von 1,72 Meter.

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