Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Aulendorf will „Solidarische Gemeinde“werden
Im Landkreis Ravensburg sollen in den kommenden Jahren mehrere solcher Projekte entstehen
AULENDORF/KREIS RAVENSBURG Im Landkreis Ravensburg sollen in den nächsten Jahren mehrere „Solidarische Gemeinden“entstehen: Organisierte Gemeinschaften in Dörfern, Städten oder Stadtteilen, deren junge bis alte Einwohner es sich explizit zur Aufgabe machen, sich einzubringen und sich umeinander und speziell um ihre älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger zu kümmern. Großes Interesse, in das Projekt einzusteigen, zeigt die Stadt Aulendorf – und ist auch bereit, dafür selbst Geld in die Hand zu nehmen. Denn auch in der oberschwäbischen Kleinstadt ist der demografische Wandel mit all seinen Herausforderungen in Sachen Pflege und Fürsorge angekommen.
Die steile Kellertreppe kehren, beim Einkaufen unterstützen, zum Arzttermin begleiten, Schneeschippen, den Plastikmüll zum Wertstoffhof fahren, eine Stunde um den Kranken kümmern. Alles Dinge, bei denen der Partner hilft – so man (noch) einen hat –, oder um die man Nachbarn, Freunde oder Familie bittet. Ein Unterstützungssystem, das mitunter löchrig geworden ist: Kinder sind beruflich und mit der eigenen Familie stark eingespannt, wohnen weiter weg. Freunde auch, oder sie sind ebenfalls auf Hilfe angewiesen, genauso wie die Nachbarn, die im gleichen Viertel alt geworden sind.
Um für solche Fälle langfristig tragfähige Lösungen zu finden und Gemeinden generell seniorengerecht zu entwickeln, haben die Caritas Bodensee-Oberschwaben und das Dekanat Allgäu-Oberschwaben das Konzept „Aufbau Solidarischer Gemeinschaften“entwickelt. Das erfindet natürlich das Rad nicht komplett neu. Mit Nachbarschaftshilfe, Kirchengemeinden, Stadtseniorenräten und auch professionellen Diensten sind bereits Strukturen vorhanden, genauso wie es mitunter sehr engagierte Dorfgemeinschaftsvereine gibt. Vorbilder gibt es ebenfalls bereits. Im Kreis Ravensburg etwa mit dem Verein „Solidarische Gemeinde Reute-Gaisbeuren“.
Das Konzept von Caritas und Dekanat zielt nun auf eine Vernetzung, eine Organisation sowie eine zugrunde liegende Haltung ab, die sorgende Gemeinschaften etabliert. Und darauf, deren fachliche Begleitung in hauptamtlichen Händen sicherzustellen. Angeboten haben die beiden Träger das Projekt dem Landkreis Ravensburg als Teil der Umsetzung dessen seniorenpolitischen
Konzepts und aufbauend auf der Erfahrung mit den ehemaligen Zuhause-Leben-Stellen. Der Kreis will das Projekt, bei dem zwischen sechs und zehn „Solidarische Gemeinden“entstehen sollen. Er gewährt, so hat es der Sozialausschuss bereits Ende November beschlossen, eine finanzielle Förderung über 90 000 Euro (etwa 85 Prozent) der Personal- und Sachkosten im Jahr – vorläufig befristet auf fünf Jahre und vorbehaltlich der Bereitstellung der Mittel im Haushaltsplan 2021.
Wie aus einer Sitzungsvorlage des Sozialausschusses weiter hervorgeht, sind dabei vorrangig ländliche Gemeinden im Blick. Der Name „Solidarische Gemeinschaft“scheint dabei eher ein Arbeitstitel zu sein: Wie genau, also beispielsweise ob als Verein oder Genossenschaft, die sorgende Gemeinschaft organisiert sein und heißen wird, ist offengehalten und soll sich entlang der jeweiligen lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten einer Gemeinde entwickeln.
Was in der Theorie gut klingt, dürfte in der Praxis einiges an Arbeit bedeuten: Interessierte finden und motivieren, sich einzubringen; Strukturen zu schaffen, in denen sich Ehrenamtliche einbringen können, sie zu unterstützen und zu befähigen; aber auch vorhandene Strukturen und Akteure zusammenzubringen und einzubinden, oder Orte für Begegnung zu schaffen – um all das wird sich auch hauptamtliches Personal kümmern.
Dafür hat die Caritas BodenseeOberschwaben eine Fachstelle „Solidarische Gemeinden“in Vollzeit eingerichtet. Übernehmen wird diese
Anja Hornbacher, wie die Caritas auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“bestätigt. Unterstützt wird sie durch eine 25-Prozent-Verwaltungsstelle. Die Aufgaben der Fachstelle liegen, so geht es aus der Sitzungsvorlage des Gemeinderats der Stadt Aulendorf hervor, insbesondere in der Starthilfe für beteiligte Kommunen, der Beratung und Unterstützung der „Solidarischen Gemeinden“nach der Aufbauphase sowie dem Aufbau eines landkreisweiten Netzwerkes und Kooperation mit der Altenhilfeberatung des Landratsamts.
Nicht durchsetzen konnten sich die Konzeptentwickler mit der Idee, dass der Landkreis zudem ein Förderprogramm für interessierte Kommunen auflegt. Denn auch in diesen ist hauptamtliches Personal vorgesehen. Diese örtlichen Koordinierungsstellen sowie weitere Verwaltungsund Projektkosten werden die teilnehmenden Gemeinden selbst finanzieren müssen. Früh dran ist in diesem Fall Aulendorf. Dort hat sich der Gemeinderat noch im Dezember mit dem Thema befasst und sich hinter dem Projekt positioniert: Er beschloss, dass die Stadt die nötigen 46 880 Euro im Jahr dafür in die Hand nimmt und die Teilnahme an dem Projekt offiziell beantragt.
Im Landkreis Ravensburg wird sich die Zahl der über 75-Jährigen von 2020 bis 2035 um gut 29 Prozent, die der über 90-Jährigen um 71 Prozent erhöhen. Das Durchschnittsalter in Aulendorf im Jahr 2018 lag bei 43,1 Jahre und wird bis zum Jahr 2035 auf 46,3 Jahre ansteigen. (Quelle: Stadt Aulendorf/Statistisches Landesamt)
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