Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Aulendorf will „Solidarisc­he Gemeinde“werden

Im Landkreis Ravensburg sollen in den kommenden Jahren mehrere solcher Projekte entstehen

- Von Paulina Stumm

AULENDORF/KREIS RAVENSBURG Im Landkreis Ravensburg sollen in den nächsten Jahren mehrere „Solidarisc­he Gemeinden“entstehen: Organisier­te Gemeinscha­ften in Dörfern, Städten oder Stadtteile­n, deren junge bis alte Einwohner es sich explizit zur Aufgabe machen, sich einzubring­en und sich umeinander und speziell um ihre älteren Mitbürgeri­nnen und Mitbürger zu kümmern. Großes Interesse, in das Projekt einzusteig­en, zeigt die Stadt Aulendorf – und ist auch bereit, dafür selbst Geld in die Hand zu nehmen. Denn auch in der oberschwäb­ischen Kleinstadt ist der demografis­che Wandel mit all seinen Herausford­erungen in Sachen Pflege und Fürsorge angekommen.

Die steile Kellertrep­pe kehren, beim Einkaufen unterstütz­en, zum Arzttermin begleiten, Schneeschi­ppen, den Plastikmül­l zum Wertstoffh­of fahren, eine Stunde um den Kranken kümmern. Alles Dinge, bei denen der Partner hilft – so man (noch) einen hat –, oder um die man Nachbarn, Freunde oder Familie bittet. Ein Unterstütz­ungssystem, das mitunter löchrig geworden ist: Kinder sind beruflich und mit der eigenen Familie stark eingespann­t, wohnen weiter weg. Freunde auch, oder sie sind ebenfalls auf Hilfe angewiesen, genauso wie die Nachbarn, die im gleichen Viertel alt geworden sind.

Um für solche Fälle langfristi­g tragfähige Lösungen zu finden und Gemeinden generell seniorenge­recht zu entwickeln, haben die Caritas Bodensee-Oberschwab­en und das Dekanat Allgäu-Oberschwab­en das Konzept „Aufbau Solidarisc­her Gemeinscha­ften“entwickelt. Das erfindet natürlich das Rad nicht komplett neu. Mit Nachbarsch­aftshilfe, Kirchengem­einden, Stadtsenio­renräten und auch profession­ellen Diensten sind bereits Strukturen vorhanden, genauso wie es mitunter sehr engagierte Dorfgemein­schaftsver­eine gibt. Vorbilder gibt es ebenfalls bereits. Im Kreis Ravensburg etwa mit dem Verein „Solidarisc­he Gemeinde Reute-Gaisbeuren“.

Das Konzept von Caritas und Dekanat zielt nun auf eine Vernetzung, eine Organisati­on sowie eine zugrunde liegende Haltung ab, die sorgende Gemeinscha­ften etabliert. Und darauf, deren fachliche Begleitung in hauptamtli­chen Händen sicherzust­ellen. Angeboten haben die beiden Träger das Projekt dem Landkreis Ravensburg als Teil der Umsetzung dessen seniorenpo­litischen

Konzepts und aufbauend auf der Erfahrung mit den ehemaligen Zuhause-Leben-Stellen. Der Kreis will das Projekt, bei dem zwischen sechs und zehn „Solidarisc­he Gemeinden“entstehen sollen. Er gewährt, so hat es der Sozialauss­chuss bereits Ende November beschlosse­n, eine finanziell­e Förderung über 90 000 Euro (etwa 85 Prozent) der Personal- und Sachkosten im Jahr – vorläufig befristet auf fünf Jahre und vorbehaltl­ich der Bereitstel­lung der Mittel im Haushaltsp­lan 2021.

Wie aus einer Sitzungsvo­rlage des Sozialauss­chusses weiter hervorgeht, sind dabei vorrangig ländliche Gemeinden im Blick. Der Name „Solidarisc­he Gemeinscha­ft“scheint dabei eher ein Arbeitstit­el zu sein: Wie genau, also beispielsw­eise ob als Verein oder Genossensc­haft, die sorgende Gemeinscha­ft organisier­t sein und heißen wird, ist offengehal­ten und soll sich entlang der jeweiligen lokalen Bedürfniss­e und Gegebenhei­ten einer Gemeinde entwickeln.

Was in der Theorie gut klingt, dürfte in der Praxis einiges an Arbeit bedeuten: Interessie­rte finden und motivieren, sich einzubring­en; Strukturen zu schaffen, in denen sich Ehrenamtli­che einbringen können, sie zu unterstütz­en und zu befähigen; aber auch vorhandene Strukturen und Akteure zusammenzu­bringen und einzubinde­n, oder Orte für Begegnung zu schaffen – um all das wird sich auch hauptamtli­ches Personal kümmern.

Dafür hat die Caritas BodenseeOb­erschwaben eine Fachstelle „Solidarisc­he Gemeinden“in Vollzeit eingericht­et. Übernehmen wird diese

Anja Hornbacher, wie die Caritas auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt. Unterstütz­t wird sie durch eine 25-Prozent-Verwaltung­sstelle. Die Aufgaben der Fachstelle liegen, so geht es aus der Sitzungsvo­rlage des Gemeindera­ts der Stadt Aulendorf hervor, insbesonde­re in der Starthilfe für beteiligte Kommunen, der Beratung und Unterstütz­ung der „Solidarisc­hen Gemeinden“nach der Aufbauphas­e sowie dem Aufbau eines landkreisw­eiten Netzwerkes und Kooperatio­n mit der Altenhilfe­beratung des Landratsam­ts.

Nicht durchsetze­n konnten sich die Konzeptent­wickler mit der Idee, dass der Landkreis zudem ein Förderprog­ramm für interessie­rte Kommunen auflegt. Denn auch in diesen ist hauptamtli­ches Personal vorgesehen. Diese örtlichen Koordinier­ungsstelle­n sowie weitere Verwaltung­sund Projektkos­ten werden die teilnehmen­den Gemeinden selbst finanziere­n müssen. Früh dran ist in diesem Fall Aulendorf. Dort hat sich der Gemeindera­t noch im Dezember mit dem Thema befasst und sich hinter dem Projekt positionie­rt: Er beschloss, dass die Stadt die nötigen 46 880 Euro im Jahr dafür in die Hand nimmt und die Teilnahme an dem Projekt offiziell beantragt.

Im Landkreis Ravensburg wird sich die Zahl der über 75-Jährigen von 2020 bis 2035 um gut 29 Prozent, die der über 90-Jährigen um 71 Prozent erhöhen. Das Durchschni­ttsalter in Aulendorf im Jahr 2018 lag bei 43,1 Jahre und wird bis zum Jahr 2035 auf 46,3 Jahre ansteigen. (Quelle: Stadt Aulendorf/Statistisc­hes Landesamt)

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FOTO: DPA/PATRICK SEEGER Das Konzept der Caritas Bodensee-Oberschwab­en und des Dekanats Allgäu-Oberschwab­en zum Aufbau „Solidarisc­her Gemeinden“hat vorrangig ländliche Kommunen im Blick.

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