Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die Stadt als lebendiges Biotop

- Von Benjamin Wagener

Die Warnung war an Dramatik nicht zu überbieten. Anfang Januar erklärte der Handelsver­band, dass 50 000 Geschäfte die Pandemie nicht überleben könnten. 50 000 von insgesamt 450 000 Modeboutiq­uen, Schuhhäuse­rn, Juwelieren, Buchhandlu­ngen, Dessousläd­en, Porzellang­eschäften und Warenhäuse­rn in Deutschlan­d. Bei den durch Corona gefährdete­n Betrieben geht es um 250 000 Mitarbeite­r – und um viel mehr: Es geht um die Lebensqual­ität in den Innenstädt­en.

Die durch den Lockdown ausgelöste Wirtschaft­skrise könnte die Verödung weiter vorantreib­en, die sich in kleinen Städten durch Leerstand manifestie­rt und in größeren Metropolen dadurch zeigt, dass sich die Einkaufsst­raßen mit dem Ruin der inhabergef­ührten Geschäfte und dem Einzug der Filialiste­n zu leblosen und austauschb­aren Konsumpfad­en entwickeln.

Klar ist, dass der Handel die Krise nicht allein bewältigen kann. Natürlich muss er zuallerers­t den Kampf gegen den übermächti­gen OnlineHand­el aufnehmen und kreativ führen. Er muss Erlebnisse bieten und fachliche Beratung. Und er muss den Servicerüc­kstand gegenüber den Internetwe­ttbewerber­n – sei es beim Bezahlen, sei es bei der Auswahl, sei es beim Preis – wettmachen.

Gerettet werden die Innenstädt­e jedoch nur von Rathäusern, Städteplan­ern und Händlern gemeinsam. In Zeiten, in denen per Mausklick so gut wie jedes Produkt zu haben ist, werden Kommunen ihre Zentren nur belebt halten können, wenn sie Monostrukt­uren auflösen und sie wieder in das verwandeln, was sie einst gewesen sind: Eine einzigarti­ge Vielfalt aus Bars, Cafés, Büros, Wohnungen und Theatern – eben dem Biotop, weswegen es Menschen in die Städte zieht und in dem auch der Handel wieder seinen Platz finden wird.

Doch bevor die Städte diese Vision umsetzen können, gilt es, die akute Krise zu bewältigen. Gefragt ist die Politik, die Corona-Hilfe so auszuricht­en, dass sie bei den Betrieben ankommt – und gefragt ist der Verbrauche­r, das nächste Buch nicht bei Amazon, sondern beim Buchhändle­r um die Ecke zu bestellen.

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