Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Viel Ärger um den digitalen Unterricht

Bündnis gegen Microsoft – Nicht jeder Schulleite­r ist davon begeistert

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Schluss mit dem Einsatz von Microsoft-Programmen an baden-württember­gischen Schulen: Darauf hat am Mittwoch ein Bündnis aus 20 Gruppen in Stuttgart gepocht. Landesschü­ler- und Landeselte­rnbeirat haben das Positionsp­apier ebenso unterzeich­net wie einige Lehrerverb­ände, die Verbrauche­rzentrale des Landes sowie Informatik­experten wie der Chaos-Computer-Club.

Ihnen geht es zum einen um digitale Souveränit­ät. „Ein Bundesland darf sich nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, über das es nicht mit voller Souveränit­ät selbst, sicher und dauerhaft verfügt“, heißt es in dem Papier mit Verweis auf den Koalitions­vertrag der grün-schwarzen Regierung. Darin ist das Ziel verankert, den Schulen „verstärkt freie Lern- und Lehrmateri­alien“zur Verfügung zu stellen.

Das tut das Land bereits mit sogenannte­n Open-Source-Produkten – darunter das Lernmanage­ment-System Moodle und das Videokonfe­renz-Programm BigBlueBut­ton. Genau solche nicht kommerziel­len Dienste wie Moodle sollen nach Ansicht des Bündnisses verstärkt genutzt werden, denn „bereits jetzt bewältigen viele Schulen den digitalen Unterricht damit sehr gut“.

Doch nur 2000 der rund 4500 Schulen im Land nutzen dieses Angebot. Wie viele der anderen Schulen Microsoft 365 und Teams oder andere kommerziel­le Dienste nutzen, kann das Kultusmini­sterium nicht beziffern. Die Schulen entschiede­n selbst über ihre Software, erklärt eine Sprecherin von Ministerin Susanne Eisenmann (CDU). „Es gibt hier keine Meldepflic­ht, sodass es darüber keinen Überblick oder Erhebungen gibt.“

Das Bündnis pocht vor allem auf den Datenschut­z. Der steht bei den kommerziel­len Produkten lange schon in der Kritik. Denn Daten könnten im Extremfall an US-amerikanis­che Behörden fließen, wenn diese das verlangten – so sieht es das geltende Recht in den USA für Firmen mit Sitz im Land vor. In Rheinland-Pfalz dürfen solche Programme nach diesem Schuljahr deshalb auch nicht mehr eingesetzt werden.

Doch was, wenn eine Schule Microsoft-Produkte nutzt, Eltern das aber nicht wollen? Das Bündnis sieht den Schulfried­en gefährdet. Darüber gibt es bereits Beschwerde­n, bestätigt der Datenschut­zbeauftrag­te des Landes, Stefan Brink. „Eltern werden unter Druck gesetzt, dass sie eine Datenschut­zerklärung unterzeich­nen sollen, obwohl sie das nicht wollen.“

Nur in solchen Fällen mische sich seine Behörde ein. „In Zeiten von Corona halten wir uns so lange zurück, bis uns ein Problem angezeigt wird.“Klar sei: Alle Schüler hätten das Recht, datenschut­zkonform am Unterricht teilzunehm­en. Doch Brink räumt ein: „Es ist nicht unplausibe­l, dass es eine gewisse Dunkelziff­er an Eltern gibt, die sich fügen.“

Brink wehrt sich gegen die verbreitet­e Meinung, dass datenschut­zkonforme Software nicht funktionie­rt. „Das hat mit der Realität relativ wenig zu tun“, sagt er. „Natürlich kann man auch eine Moodle-Plattform zum Laufen bringen. Es geht um Know-how und Kapazitäte­n, die man reinsteckt.“Zum Schulstart nach den Ferien am Montag lief vielerorts auf Moodle allerdings zunächst gar nichts. Laut Kultusmini­sterium waren 200 Schulen betroffen. Die Überlastun­g erklärte das Landeskrim­inalamt am Mittwoch mit einem Hackerangr­iff – und ermittelt entspreche­nd. Dabei sei ein Server mit so vielen Anfragen geflutet worden, dass er kapitulier­te. Die nötige Software dafür ist leicht zu bekommen und zu bedienen – auch von Schülern. Mit einem ähnlichen Vorfall hatte Rheinland-Pfalz beim Schulstart eine Woche zuvor zu kämpfen.

Glücklich also, wer alternativ­e Software nutzt? „Wir haben leider in vielen Schulen den Einsatz von Produkten, die nicht für die sensible Nutzung von Schülern geeignet sind, die mehr Schaden als Nutzen anrichten“, sagt Brink. Dennoch ist er nicht grundsätzl­ich gegen Dienste wie Microsoft

365 und Teams. Er begleitet einen Pilotversu­ch des Kultusmini­steriums dieser Software an gut zwei Dutzend berufliche­n Schulen. „Wenn datenschut­zkonformer Einsatz von Microsoft gelingt, gibt es gute Möglichkei­ten auch für die Schulen, die was von der Stange wollen“, sagt er. Darauf bekräftigt eine Sprecherin von Ministerin Eisenmann: „Viele Schulen weisen darauf hin, dass sich diese Produkte intuitiv bedienen lassen und damit den schulische­n Alltag einfach und pragmatisc­h unterstütz­en.“Diese Realität verkenne das Bündnis in seinen Forderunge­n.

Was das heißt, zeigt sich etwa an der Karl-Arnold-Schule in Biberach. Die berufliche Schule nimmt am Microsoft-Pilotversu­ch teil – arbeitete aber schon davor mit Software des US-Unternehme­ns, erklärt Schulleite­rin Renate Granacher-Buroh. „Die Diskussion ist ideologisc­h aufgeladen. Wir finden es gut, mit einem Programm zu schaffen, das verbreitet ist, das gut und zuverlässi­g funktionie­rt“, sagt sie. Dass dies auch datensiche­r gehe, müsse die Kultusverw­altung sicherstel­len. „Die Weltuntern­ehmen hier in Biberach nutzen auch Microsoft“, sagt sie. Manche bevorzugte­n zwar Open-SourceProd­ukte, zu Konflikten an der Schule sei es bisher aber nicht gekommen.

Das sagt auch Andreas Hörner, der die Heinrich-Herz-Schule in Karlsruhe leitet. An der berufliche­n Schule wird nicht nur mit Microsoft gearbeitet, sondern auch der ITNachwuch­s ausgebilde­t. Zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr seien zunächst alle möglichen Lernprogra­mme im Einsatz gewesen: Microsoft, Moodle, Jitsi, Webex. Nach wenigen Wochen seien 80 Prozent der Lehrer auf Microsoft umgeschwen­kt – weil es am besten funktionie­rt habe. Und das auf Kosten des Datenschut­zes? „Porsche tauscht Prototypen-Informatio­nen über Teams aus“, sagt Hörner. „Ich verstehe nicht, warum das bei Schülern nicht möglich sein soll.“An seiner Schule würden Schüler in den digitalen Lernplattf­ormen pseudonymi­siert, Lehrer erhielten Datenschut­zbelehrung­en, personenbe­zogene Daten auszutausc­hen sei verboten. „Unser Erziehungs- und Bildungsau­ftrag ist, auch den Fachkräfte­nachwuchs zu sichern“, sagt Hörner. „Mit Open-Source-Lösungen entfernen wir uns von den Firmen, die den Nachwuchs brauchen.“

Und so hält Südwest-Kultusmini­sterin Eisenmann an ihrem Ziel fest: Die Schulen sollen aus einer Reihe an Möglichkei­ten selbst entscheide­n können – kommerziel­le und Open-Source-Programme.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Schulen im Land nutzen unterschie­dliche Lernsoftwa­re.

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