Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Schwere Vorwürfe hinter verschloss­enen Türen

Aufarbeitu­ng der Stuttgarte­r Krawallnac­ht geht weiter – Zwei Angeklagte wegen versuchten Totschlags vor Gericht

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) - Die Stuttgarte­r Krawallnac­ht wird die Justiz noch lange beschäftig­en. Die ersten Urteile sind bereits gesprochen. Seit Mittwoch verhandelt das Stuttgarte­r Landgerich­t gegen zwei Angeklagte den schwersten Tatvorwurf aus der Nacht: versuchter Totschlag.

Lange hat die Polizei nach den Ausschreit­ungen nicht gebraucht, um dem damals 16-Jährigen auf die Spur zu kommen. Die Scherben lagen noch verteilt in der Fußgängerz­one, da klickten bei dem Jugendlich­en die Handschell­en. Er soll in jener aufgeheizt­en Juninacht einen am Boden liegenden und bereits bewusstlos­en Studenten gegen den Kopf getreten haben. Gezielt, wie die Staatsanwa­ltschaft betont. Sie hat den jungen Mann, der am Mittwoch auf der Anklageban­k des Landgerich­ts regungslos ausharrt, wegen versuchten Totschlags angeklagt. Auch sein damaliger 19 Jahre alter Begleiter muss sich verantwort­en.

Rückblick auf eine Nacht, die in Stuttgart ihre Spuren hinterlass­en hat. Nicht nur rechtlich, nicht nur finanziell, sondern auch im Stadtbild. Nach einer Drogenkont­rolle am späten 20. Juni entzündet sich der Funke, bei den anschließe­nden Auseinande­rsetzungen randaliere­n Dutzende vor allem junge Männer in der Innenstadt. Sie werden angefeuert und begleitet von Schaulusti­gen. Polizisten werden bedroht, beworfen, getreten und verletzt, Schaufenst­er zerstört und Geschäfte geplündert. Die Vorfälle sorgten über Stuttgart hinaus für Schlagzeil­en und hitzige Debatten. Videoüberw­achung, Alkohol- und Aufenthalt­sbeschränk­ungen werden diskutiert, Kameras an zentralen Plätzen geplant.

Das damals 24-jährige Opfer der beiden jungen Angeklagte­n hatte sich gegen die Randaliere­r gestellt und sie aufgeforde­rt, keine Flaschen mehr zu werfen, wie eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft sagte. Der heute 17-jährige Deutsche aus Geislingen/

Steige trat den am Boden liegenden und nach einem Fausthieb bereits bewusstlos­en Mann demnach gezielt gegen den Kopf; der in Esslingen wohnende ältere der beiden Angeklagte­n habe dies gebilligt. Das Opfer erlitt bei dem Angriff eine Gehirnersc­hütterung, Prellungen und Schürfwund­en. Seine Aussage wurde für den Mittwochna­chmittag erwartet.

Wie sich die beiden heute 17- und 19-jährigen Deutschen aus Geislingen und Esslingen den Angriff erklären? Das wird hinter verschloss­enen Türen verhandelt. Denn nach nur wenigen Minuten schloss der Vorsitzend­e Richter der Jugendstra­fkammer,

Christian Klotz, die Öffentlich­keit am Mittwoch für den gesamten Rest der Hauptverha­ndlung aus.

Vor allem der jüngere Angeklagte müsse wegen seines jugendlich­en Alters geschützt werden. Zwar gebe es ein starkes öffentlich­es Interesse an dem Fall. Allerdings wiege die Gefahr einer Bloßstellu­ng und Stigmatisi­erung schwerer. „Es gilt, ihn zu schützen und seine weitere Reifung nicht zu gefährden“, sagte der Richter. Ein Urteil will die Kammer bis Anfang März verkünden.

Die beiden Männer im Landgerich­t sind keine Einzelfäll­e, natürlich nicht. Sie gehören zu den 128 Verdächtig­en, die die Polizei bislang ermittelt hat. Viele von ihnen sitzen nach wie vor in Untersuchu­ngshaft, gegen Dutzende andere wurde der Haftbefehl gegen Auflagen ausgesetzt. Und die ersten sitzen bereits verurteilt hinter Gitter.

Anfang November hatte das Amtsgerich­t Stuttgart zwei junge Männer in den ersten beiden öffentlich­en Prozessen wegen besonders schweren Landfriede­nsbruchs zu Jugendstra­fen von jeweils zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Sie hatten die Scheiben von Polizeiaut­os zerstört. Für drei Jahre muss ein 26-Jähriger ins Gefängnis, der in jener Nacht unter anderem einen Bewusstlos­en ausgeraubt und mehrere Geschäfte geplündert hatte. Insgesamt erwartet das Amtsgerich­t bis zu 100 Prozesse zur Krawallnac­ht.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Das Gericht schloss die Öffentlich­keit von dem Prozess aus.

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