Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Mangelware Container
Nach dem Konsumrausch im Westen fehlen die Stahlkisten in Asien
BERLIN - Die Container sind durchaus vorhanden. Irgendwo. Doch sie stehen nicht da, wo sie gebraucht werden. „Die globale Nachfrage nach Waren aus Asien war so groß, dass dort nun Knappheit an Containern herrscht“, sagt Niklas Ohling, Leiter des Bereichs Container Steering bei der Reederei Hapag-Lloyd in Hamburg. „Der Zustand wird vermutlich noch die ersten Monate des Jahres anhalten.“Die Reederei habe sogar zahlreiche Schiffe fahren lassen, um ungenutzte Container aus den USA „zu evakuieren und in Asien zu positionieren“– trotz der Kosten, die solche Leerfahrten verursachen.
In dem aktuellen Dilemma der Reeder zeigt sich einer der zahlreichen Widersprüche in der CoronaÖkonomie. Einige Branchen wie Gastronomie und Tourismus sind zwar übel gebeutelt. Andere Sektoren boomen jedoch. Die Konsumenten trösteten sich über den Zustand durch viele neue Anschaffungen hinweg. In Deutschland hat der Einzelhandelsumsatz im Jahr 2020 um gut fünf Prozent zugelegt, berichtet das Statistische Bundesamt. In den USA erreichte das Weihnachtsgeschäft laut dem Zahlungsdienstleister Mastercard mit einem Plus von drei Prozent einen neuen Rekord. Was die Leute nicht in Läden kaufen konnten, haben sie eben online bestellt. Vor allem Heimelektronik und Möbel waren gefragt, wobei hier eine fließende Grenze zur ebenfalls heiß begehrten Ausrüstung fürs Homeoffice verläuft. Die Herkunft der meisten dieser Waren? Fabriken in Fernost.
Ab Mitte 2020 flossen die angeforderten Waren von Asien nach Europa und Amerika. „Wir haben einen Anstieg des Warenflusses in die USA um 20 bis 30 Prozent in jedem der Herbstmonate beobachtet“, sagt Peter Tirschwell, Leiter des Forschungsbereichs Schifffahrt und Handel bei dem Analysehaus IHS Markit. „Viele Container stehen nun ungenutzt herum.“Sie warten über das ganze Land verteilt in Logistikzentren auf den Weitertransport, der jedoch ausbleibt. „Es herrschen zusätzliche Engpässe durch hohen Krankenstand und Hygienemaßnahmen“, sagt Tirschwell. „Die Be- und Entladung läuft nicht so schnell wie sonst.“
Das führe zu Verspätungen der Schiffe, stellt Lars Jensen fest, der Leiter des Branchenbeobachters SeaIntelligence aus Kopenhagen. Mitte Dezember seien daher rund eine halbe Million Standardcontainer weniger in Asien vorhanden gewesen als üblich. „Eine aggressive Rückführungsstrategie und Neubestellungen hätte dazu führen sollen, dass sich der Bestand bis Ende Januar normalisiert“, so Jensen. Da die Warennachfrage jedoch weiter hoch sei, könne sich das Ungleichgewicht auf eine Million Container erhöhen. Exakte Daten dazu werden erst im März verfügbar.
Es herrscht auch in normalen Jahren grundsätzlich mehr Nachfrage nach Fahrten von China in Richtung der westlichen Länder. Die Reedereien bieten daher Platz für Container in umgekehrter Richtung günstiger an. Recycling-Firmen haben diesen Umstand jahrelang genutzt und Altpapier billig aus den USA und Europa nach China geschickt. Dort wurde es gebraucht, um die ganzen Exportwaren in Kartons zu verpacken. Da China inzwischen selbst in einer Flut von eigenen Leerkartons versinkt, hat die Regierung in Peking diese Praxis jedoch inzwischen unterbunden.
Zu diesem bestehenden Container-Ungleichgewicht kamen nun die Corona-Einflüsse. Firmen, die chinesische Waren importieren, sehen mit Sorge, wie jetzt die Frachtgebühren ansteigen. Denn die Reedereien lassen sich die knapp gewordenen Kapazitäten teurer bezahlen. China hätte im Dezember noch viel mehr exportieren können, wenn die Container-Knappheit nicht gewesen wäre.
Der letzte Meilenstein für die Branche war das chinesische Neujahrsfest am 12. Februar. „Üblicherweise nimmt die Nachfrage nach Containern dann wieder ab“, sagt Ohling von Hapag-Lloyd. China macht in seiner eigenen Feiertagssaison zwei Wochen Pause, die Fabriken stehen still. Dementsprechend sinkt der Export. Die Container, die in der Vorweihnachtszeit in die westlichen Länder gewandert sind, haben Zeit, nach Asien zurückzukehren. „Doch in diesem Jahr könnte dieser Effekt schwächer ausfallen.“Durch die Pandemie sei es schwierig, Produktion nachzuholen und zahlreiche Händler wollen ihre leeren Lager auffüllen.
Die Branche verzeichnet daher auf absehbare Zeit viele Buchungen für den Transport von Industriewaren aus Asien. Vermutlich werden die Preise erst in der zweiten Jahreshälfte wieder fallen. Experten wie Jensen und Tirschwell erwarten unter dem Strich starke Jahre für das ContainerGeschäft. Hapag Lloyd zeigt sich jedenfalls optimistisch – und investiert in neue Schiffe für das nächste Jahrzehnt. „Diese Krise verdeutlicht, dass die Globalisierung trotz Handelsstreitigkeiten weitergeht“, glaubt Ohling.