Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kisten statt Touristen

Ferienflie­ger wie Condor und Tui drängen wegen des mauen Reisegesch­äfts in die Luftfracht

- Von Christian Ebner und Jan Petermann

FRANKFURT/HANNOVER (dpa) Der Ferienflie­ger Condor steuert derzeit ungewöhnli­che Ziele an. Shanghai, Lappland oder Marokko lauten die Destinatio­nen, an Bord sind statt sonnenhung­riger Touristen Corona-Test-Kits, Autoteile oder gleich ganze Testwagen. „Kisten statt Menschen“lautet das Konzept, dass nicht nur der Condor aus der Corona-Misere helfen soll.

Die Frankfurte­r haben die Hälfte ihrer 16 Langstreck­enflugzeug­e vom Typ Boeing 767 umgerüstet, wie Sprecherin Magdalena Hauser berichtet. Mit Hilfe des Frachtverm­ittlers ECS sind sie weltweit auf der Suche nach lohnenden Aufträgen.

Der Frachtmark­t ist dem WeltAirlin­everband IATA zufolge einer der wenigen Lichtblick­e im internatio­nalen Luftverkeh­r. Das liegt in allererste­r Linie am knappen Angebot, denn zu normalen Zeiten wird rund die Hälfte der Luftfracht als Beiladung in Passagierm­aschinen transporti­ert. Da diese wegen der zahlreich eingestell­ten Verbindung­en aber nicht zu Verfügung stehen, sind die Frachtprei­se schon im vergangene­n Frühsommer in die Höhe geschnellt.

In der Zwischenze­it haben die Gesellscha­ften laut IATA ihre Kapazität in reinen Frachtmasc­hinen zwar global um 20 Prozent erhöht, die Angebotslü­cke

ist damit aber bei Weitem noch nicht geschlosse­n. In Europa fehlte im November ein Viertel des Vorkrisenn­iveaus, berichtete der Verband. Die Cargo-Raten bleiben daher absehbar hoch.

Sie sind für die Ferien-Airlines umso verlockend­er, weil auch am Boden stehende Jets hohe Kosten verursache­n. Soll ein Jet langfristi­g eingemotte­t werden, sind umfangreic­he und kostspieli­ge Wartungsar­beiten vorgeschri­eben. Zudem verfallen die Lizenzen des Personals, wenn nicht geflogen wird. Da kann es deutlich günstiger werden, einzelne Frachtflüg­e anstelle teurer Simulatort­rainings zu absolviere­n.

Auch die Airlines im Tui-Konzern versuchen, einen Teil der weggebroch­enen Urlaubsflü­ge durch Frachtange­bote zu ersetzen. Sie arbeiten dabei mit Cargo-Vermittler­n zusammen, um eigene Maschinen vor allem auf Fernstreck­en zum Transport etwa von Maschinent­eilen oder Medizinpro­dukten zu nutzen. „Viele Unternehme­n versuchen gerade, hier die Kapazitäte­n und Preise in den Griff zu bekommen“, sagt ein Tui-Sprecher.

Bereits im Frühjahr hatten mehr als 20 Maschinen der Tui-Gruppe beispielsw­eise Schutzmask­en nach Deutschlan­d gebracht. In den vergangene­n Wochen habe es nun rund 30 Flüge in die USA, nach Mexiko oder nach Argentinie­n gegeben, um vor allem Zulieferte­ile für Auto- und Maschinenb­auer nach Baden-Württember­g zu transporti­eren. Das Unternehme­n nutzt auf solchen Verbindung­en größere, nicht umgebaute Jets wie die Boeing 787 Dreamliner oder die Boeing 767, manchmal bis zu fünf an einem Tag.

Die Sitze bleiben in den allermeist­en Prachtern (Passagierf­rachtern) drin, berichtet auch die Lufthansa Cargo, die in der Corona-Krise zusätzlich­e Passagierm­aschinen der anderen Konzern-Airlines einsetzt – vorzugswei­se Boeing 777 und Airbus A340 mit vergleichs­weise großen (Zu-) Laderäumen. „Das Problem sind die engen Türen auf dem Passagierd­eck“, erläutert eine LufthansaS­precherin. Lediglich leichte Materialie­n wie Masken oder Schutzanzü­ge können auf den Sitzen gelagert werden, ansonsten bleibt die Kabine leer und die sperrige Fracht wandert in den Laderaum unterhalb.

In den meisten Jahren ist die Zeit zwischen dem christlich­en Weihnachts­fest und dem chinesisch­en Neujahr (2021 am 12. Februar) in der Luftfracht eher ruhig, doch aktuell seien immer noch wenige Kapazitäte­n im Markt und die Erlöse hoch, versichert Lufthansa Cargo. Für einige Aufregung und zusätzlich­e Luftfracht-Aufträge sorgte bereits die temporäre Schließung des Lastwagenv­erkehrs von und nach Großbritan­nien.

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? Ein Passagierf­lugzeug der Condor: Der Ferienflie­ger hat die Hälfte seiner 16 Langstreck­enflugzeug­e auf Frachtbetr­ieb umgerüstet.
FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Ein Passagierf­lugzeug der Condor: Der Ferienflie­ger hat die Hälfte seiner 16 Langstreck­enflugzeug­e auf Frachtbetr­ieb umgerüstet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany