Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lieferkettengesetz ist auf dem Weg
BERLIN (hko) - Auf dem Weg zum Lieferkettengesetz hat die Bundesregierung anscheinend Fortschritte erreicht. Nach dem Gespräch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Mittwoch gab es zwar keine offizielle inhaltliche Stellungnahme. Inoffiziell hieß es jedoch, die Verhandlungen seien auf einem gutem Weg, und es bestehe die Möglichkeit der Einigung.
Der Konflikt beschäftigt die Koalition aus Union und SPD seit Jahren. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollen möglichst bald ein Gesetz beschließen, das hiesige Unternehmen verpflichtet, sich um die sozialen und ökologischen Menschenrechte in ihren ausländischen Zulieferfabriken zu kümmern. Vor allem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will dagegen zu große Belastungen der Firmen verhindern.
Ein Konflikt dreht sich darum, ob die einheimischen Unternehmen nur für ihre Hauptzulieferer zuständig sein sollen, oder auch für nachgeordnete Firmen. Eine Regelung nur für die Zulieferer erster Ordnung lehnt das Entwicklungsministerium ab. Das Wirtschaftsministerium verlangt dagegen, die Haftung der Unternehmen zu begrenzen.
Währenddessen haben 70 Ökonominnen und Ökonomen zu einer schnellen Einigung aufgerufen. Die Bundesregierung solle ihre Zusage aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und zugleich auch für eine starke EU-weite Regelung eintreten.
RAVENSBURG/STUTTGART - Sven Maier trägt einen dicken Pullover, damit er nicht friert. Um ihn herum ist es dunkel und menschenleer. Dabei befindet sich Maier an einem Ort, der werktags in normalen Zeiten eigentlich hell erleuchtet und gefüllt mit Menschen ist, die sich in warme Decke hüllen wollen: in seinem eigenen Bettengeschäft „Schwäbische Traumfabrik“. Doch im Corona-Lockdown ist das Licht hier ausgeschaltet und auch die Heizung nicht mehr in Betrieb. „Wir sparen Kosten an allen Ecken und Enden“, sagt der Geschäftsführer der Bettwarenfirma aus Bad Boll im Landkreis Göppingen.
Für Maier zählt jeder Cent, denn dem Unternehmer geht es wie vielen seiner Kollegen in diesen Zeiten miserabel. Im Dezember mussten die Einzelhändler, die nicht der Grundversorgung dienen, wegen der Corona-Pandemie erneut komplett schließen. „Das ist für uns extrem schwierig“, sagt Maier bei einer Pressekonferenz des Handelsverbands Baden-Württemberg am Mittwoch.
Gleiche Verzweiflung auch bei Roland Reischmann. Reischmann betreibt Bekleidungs- und Sportgeschäfte in Ravensburg, Ulm, Kempten und Memmingen: Ein 160 Jahre altes Familienunternehmen mit Zukunftsangst. „Auch gut aufgestellte Einzelhandelsunternehmen schaffen das nicht“, sagt Reischmann. Schuhund Modehäuser hätten ein Umsatzminus von 30 Prozent im Jahr 2020 ertragen müssen. Gleichzeitig staple sich die Ware in den Lagern und verliere an Wert. Und durch den jetzigen Komplettausfall aufgrund des Lockdowns werde die Liquidität immer knapper.
„Die Situation im Handel ist äußerst dramatisch“, sagt der Präsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg, Hermann Hutter. Mehr als die Hälfte der Händler sehe einer Umfrage zufolge spätestens in der zweiten Jahreshälfte ihre unternehmerische Existenz in Gefahr. „Zusammen mit der Gastronomie und den Hotels gehört der Handel zu den Hauptleidtragenden der Kontaktverbote“, sagt Hutter. Dabei sei der Einzelhandel in Bezug auf das Infektionsgeschehen sehr sicher. „Es gibt keine signifikanten Fälle von CoronaErkrankungen unter den Mitarbeitern im Handel.“Trotzdem habe sich die Politik für die Schließung entschlossen. Der Einzelhandel erbringe damit ein „Sonderopfer“.
Gleichzeitig werde die Branche mit der sogenannten Überbrückungshilfe III des Bundes aber sehr schlecht unterstützt – darin sind sich am Mittwoch Verband und Händler einig. Die Überbrückungshilfe III, die von Januar bis Ende Juni gilt, sieht bis zu 500 000 Euro Unterstützung pro Monat für geschlossene und indirekt davon betroffene Betriebe vor. Außerdem wird den Unternehmen je nach Höhe ihres Umsatzausfalls eine Unterstützung von bis zu 90 Prozent ihrer Fixkosten gewährt. Je höher der Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahresmonat ist, desto größer fällt die Hilfe aus. Sind es 70 Prozent oder mehr, dann gilt die Erstattung von 90 Prozent der Fixkosten. Wer aber weniger als 30 Prozent Umsatzausfall zu verzeichnen hat, erhält keine Erstattung.
„Diese Hilfe hat so hohe Eintrittsbarrieren, dass sie oft nicht ausgezahlt wird“, sagt Hermann Hutter. Im gesamten Handel in Deutschland seien bisher 90 Millionen Euro ausgeschüttet worden, „aber auf der anderen Seite sind dem Handel im Weihnachtsgeschäft Umsatzverluste von ungefähr 40 Milliarden Euro entstanden.“
Zum einen sei die Hilfe sehr kompliziert zu beantragen, sagt Roland
Reischmann. Er habe versucht mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern auszurechnen, „welchen Abspruch wir haben“. Es sei nicht gelungen. Simon Bittel, Geschäftsführer des Parfümeriehandels Amica mit Standorten unter anderem in Ravensburg, Wangen und Friedrichshafen, treffen die hohen Eintrittshürden: Sein Parfümerieunternehmen sei nach der jetzigen Regelung gar nicht anspruchsberechtigt. „Unser Umsatzrückgang ist mit 28 Prozent nicht ausreichend, um Hilfe zu bekommen. Dabei haben wir hohe Fixkosten, da wir für Parfümerien in den Bestlagen hohe Mieten zahlen. Und da braucht man dann keine 30 Prozent Umsatzrückgang, um in die Verlustzone zu rutschen. Da reichen auch 15, 20 oder 25 Prozent Umsatzrückgang“, sagt Bittel. Aber auch bei ihm kommt nichts an.
Bittel und Reischmann haben deshalb zusammen mit anderen betroffenen Kollegen die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet. Das Bündnis kritisiert die Kriterien, nach denen die Hilfe gewährt wird, und hat ein Forderungspapier mit einem eigenen Konzept verfasst. Das wird auch vom Handelsverband unterstützt. Zu den Forderungen zählen neben anderen Berechnungsgrundlagen auch eine stufenlose Staffelung der Hilfen sowie eine Abschaffung der Umsatzobergrenze und eine Entschädigung für die Kosten der angeschafften, aber nun nicht mehr brauchbaren Saisonware. „Wir reden nicht von Gewinnen, wir reden nur von Verlustausgleich“, sagt Reischmann.
Ziel sei es, unbedingt Insolvenzen zu vermeiden. Erste Fälle seien ja bereits bekannt geworden, wie die Pleite der fränkischen Modekette Adler. Bei vielen Unternehmen würde man es aber gar nicht mitbekommen, wenn sie für immer schließen. „Die meisten machen still und heimlich zu“, sagt Handelsverbandspräsident Hermann Hutter. Gerade BadenWürttemberg habe viele Mittelstädte mit 20 000 bis 100 000 Einwohnern. „Und wenn dann dort nur drei Geschäfte zumachen, dann wird die ganze Einkaufsstraße unattraktiv. Das werden die Menschen bald spüren.“Teilweise trete es schon ein: „In Ravensburg, Kempten und Memmingen gibt es bereits viele Leerstände, vor allem in den Randlagen“, sagt Roland Reischmann. Bunte, schöne Innenstädte stünden damit vor dem Aus, warnt Hutter.
Auch Onlineshops würden den Einzelhändlern nicht wirklich helfen. „Unser Onlineshop läuft gut“, sagt Roland Reischmann, „aber die fehlenden Umsätze aus dem stationären Handel kann er nur bedingt ausgleichen.“Dass die Händler den digitalen Weg verschlafen hätten, will Hermann Hutter dann auch nicht gelten lassen. Die Wettbewerber seien extrem stark und dem gegenüber fehle den kleinen und mittelständischen Unternehmen einfach die finanzielle Kraft, um gegenzuhalten. Jetzt in der Krise sei das umso mehr so. Denn das Geld ist knapper denn je.