Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wie Arno Schmidt einmal nach Ulm kam

Über den gescheiter­ten Versuch, den Schriftste­ller an die HfG zu holen

- Von Barbara Miller

ULM - Es gibt von Loriot eine wunderbare Parodie auf eine Fernsehsen­dung namens „Das war ihr Leben“. Da wurden allerlei Prominente mit Leuten konfrontie­rt, die ihnen irgendwann im Leben über den Weg gelaufen waren. Der geniale Loriot freilich drehte diesen Ansatz ins Absurde: Bei ihm trifft die prominente Person (von ihm selbst gespielt) auf Menschen, denen sie nie begegnet ist.

Die Episode, wie der geniale Schriftste­ller Arno Schmidt (1914 1979) gerade eben nicht als Dozent an die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm berufen wurde, erinnert an diesen Loriot-Sketch. Georg Patzer erzählt in dem Heft 121 der Marbacher Reihe „Spuren“diese Geschichte.

Anfang der 1950er-Jahre lebt Arno Schmidt in prekären Verhältnis­sen im Saarland. Wegen seiner Erzählung „Seelandsch­aft mit Pocahontas“droht ein Prozess wegen Gottesläst­erung. Da kommt auf Vermittlun­g Martin Walsers, damals Literaturr­edakteur beim Süddeutsch­en Rundfunk in Stuttgart, der Kontakt zu dem Kommunikat­ionstheore­tiker und Philosophe­n Max Bense zustande. Der bietet Schmidt an, Vorträge über Literatur im Studium generale an der Technische­n

Universitä­t in Stuttgart zu halten. Schmidt zögert.

Ein paar Jahre später, man schreibt inzwischen das Jahr 1955, vermittelt Bense Schmidt wieder eine Stelle. Diesmal die eines Dozenten für Literatur an der neu gegründete­n Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm. Bense soll dort die Abteilung Informatio­n aufbauen. Das Angebot klingt für Arno Schmidt nicht so schlecht: 750 DM, eine Wohnung. Das Ehepaar Schmidt reist nach Stuttgart und mit Max Bense und seiner Assistenti­n weiter nach Ulm. Inge Scholl führt durch die neuen Räume am Oberen Eselsberg.

Rektor ist Max Bill. Dem muss sich Arno Schmidt vorstellen. Die Sache geht gründlich schief. Alice Schmidt schreibt in einem Brief vom 30. September 1955, dass bei der Besprechun­g mit Bill herausgeko­mmen sei, „dass die Arbeit meines Mannes darin bestehen sollte, seinen Schülern kristallkl­are Reklametex­te und Schlagwort­e beizubring­en. Es sollen aus der Literatura­bteilung keinesfall­s Journalist­en oder gar Schriftste­ller hervorgehe­n, sondern praktische Leute. Und Gehalt soll es nicht 750, sondern nur 500 Mark geben. Eine Wohnungsmö­glichkeit allerdings wäre vorhanden und Essen in der Mensa“.

Bei ihrem ersten und einzigen Treffen sind Bill und Schmidt erst heftig aneinander­geraten, dann schwiegen sie sich solange an, bis Max Bense und Inge Scholl wieder ins Rektoratsz­immer zurückkame­n.

Arno Schmidt als Lehrer für Werbetexte? Klingt fast schon wieder wie ein Einfall des Meisters selbst.

Die Anekdote ist nicht unbekannt. Schon 1987, als das Buch „ulm – Die Moral der Gegenständ­e“über die Geschichte der Hochschule für Gestaltung erschien, wurde die Begegnung von Bill und Schmidt in der Lokalpress­e erwähnt (Neu-Ulmer Zeitung von 8. September 1987). Aber nun hat sie Georg Patzer in der verdienstv­ollen Reihe „Spuren“(Band 121), die das Literatura­rchiv Marbach herausgibt, fein aufgeschri­eben. Eine Bereicheru­ng für alle, die sich für die nicht ganz einfache Geschichte der HfG – ihre Ansprüche und ihre Verwerfung­en – interessie­ren.

Georg Patzer: Arno Schmidt und Ulm. Spuren 121, 16 Seiten, 4,50 Euro.

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FOTOS: DPA/RUPERT LESER Die beiden Herren waren sich spontan abgeneigt: der Schriftste­ller Arno Schmidt (links) und der damalige HfG-Direktor Max Bill.
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