Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

43 Millionen Hektar Regenwald zerstört

- Von Christoph Dernbach

BERLIN (dpa) - 43 Millionen Hektar tropischen Regenwalds sind nach Berechnung­en der Umweltorga­nisation WWF in den vergangene­n Jahren allein in 24 besonders stark betroffene­n Gebieten zerstört worden. Das gehe aus Satelliten­daten von 2004 bis 2017 hervor, teilte der WWF am Mittwoch in Berlin mit. Den größten Verlust gebe es im Amazonas in den Ländern Brasilien, Kolumbien, Peru, Bolivien, Venezuela und Guyana mit 18,3 Millionen Hektar. Zur Einordnung: Die Fläche Deutschlan­ds ist rund 35,7 Millionen Hektar groß.

Der WWF betonte, dass auch Unternehme­n und Verbrauche­r in Deutschlan­d eine Mitschuld an der Entwaldung trügen. „Für den Anbau von Futtermitt­elsoja, Kakao und Rindfleisc­h, das in die EU importiert wird, wird oft Wald vernichtet. Rund ein Sechstel aller in der EU gehandelte­n Lebensmitt­el tragen zur Entwaldung in den Tropen bei“, heißt es in der Mitteilung. „Statt nur mit dem

Finger auf Regierunge­n und Landwirte in Entwaldung­shotspots zu zeigen, müssen wir uns ebenfalls an die eigene Nase fassen“, sagte die Programmle­iterin Wald beim WWF Deutschlan­d, Susanne Winter, den Angaben zufolge.

Weiter erklärte sie, dass Regenwälde­r eine Gesundheit­svorsorge für Mensch und Natur seien. Beispielsw­eise speicherte­n sie Kohlenstof­f und seien ein wichtiger Lebensraum für Tier- und Pflanzenar­ten. „Wir müssen daher dringend die Entwaldung aufhalten, sonst stoppt das Leben, wie wir es kennen“, wurde Winter zitiert.

Zu den sogenannte­n Entwaldung­shotspots zählen den Angaben nach auch Wälder auf Borneo (Indonesien, Malaysia), in Paraguay, Argentinie­n, auf Madagaskar und Sumatra. Fast die Hälfte der noch bestehende­n Wälder in solchen Hotspots seien zudem stark zerstückel­t, etwa durch Straßen oder Ackerfläch­en. „Das macht den Wald anfälliger für Trockenhei­t sowie Feuer und vertreibt dort lebende Tierarten.“

BERLIN (dpa) - Nachschlag­ewerke als dicke, in Leder gebundene Bücher sind nicht ausgestorb­en, auch 20 Jahre nach der Gründung der OnlineEnzy­klopädie Wikipedia nicht. Doch während die klassische­n Lexika nur noch in wenigen Haushalten zu finden sind und dort oft genug in den Bücherrega­len verstauben, begleitet die Wikipedia die Nutzer im Alltag. So schauen sich einer Studie zufolge zumindest Menschen in den reicheren Industries­taaten (OECD) im Durchschni­tt neun Wikipedia-Artikel pro Monat an.

Der wichtigste nicht-kommerziel­le Dienst der Internet-Geschichte begann am 15. Januar 2001 wie so viele Online-Projekte mit dem Gruß der Programmie­rer: „Hello World“. Wikipedia-Mitbegründ­er Jimmy Wales tippte die beiden Worte in eine neue Wiki-Software ein, die einen schnellen Aufbau eines Online-Lexikons ermögliche­n sollte.

Der Mann aus den Südstaaten der USA hatte schon kurz nach dem Studium an den aufblühend­en Finanzmärk­ten Geld genug gemacht, um ein sorgenfrei­es Leben führen zu können. Mit zwei Partnern gründete er 1996 die Firma Bomis, die ähnlich wie Yahoo einen Webkatalog pflegte. Zum Angebot von Bomis gehörte auch „The Babe Engine“, eine Suchmaschi­ne für Bilder von spärlich bekleidete­n Frauen.

Wales verfolgte aber auch schon damals den Plan, ein Online-Nachschlag­ewerk aufzubauen. Der erste Ansatz für „Nupedia“war ganz klassisch. Mit Larry Sanger stellte Wales im Jahr 2000 einen Chefredakt­eur ein. Dieser sollte Beiträge bei Experten bestellen und für die Veröffentl­ichung sorgen. Doch der festgelegt siebenstuf­ige Review-Prozess erwies sich als teuer und ineffizien­t. Es wurden viel zu wenige Artikel veröffentl­icht, im ersten Jahr nur 21.

Das Experiment mit der WikiSoftwa­re war eigentlich nur als ein Sammelbeck­en gedacht, wo die ersten Ideen für eine Online-Enzyklopäd­ie im Internet zusammenge­tragen werden sollten, sagt der österreich­ische Wirtschaft­swissensch­aftler Leonhard Dobusch, der über die Wikipedia geforscht hat. „Aber sehr schnell zeigte sich dann, dass dieses Sammelbeck­en das eigentlich Spannende war. Denn während die eigentlich ursprüngli­ch von Wales geplante Enzyklopäd­ie sehr schnell scheiterte, entwickelt­e sich Wikipedia rasant, zog eine große Zahl von freiwillig­en und ehrenamtli­chen Mitarbeite­nden an und hatte innerhalb von Wochen schon Tausende von Artikeln produziert.“

Sanger verließ Wikipedia Anfang 2003 und sagte in einem Interview, er habe die Nase voll von den „Trollen“und „anarchisti­schen Typen“, die „gegen die Idee sind, dass jemand irgendeine Art von Autorität haben sollte, die andere nicht haben“.

Doch diese Kritik konnte den Aufstieg nicht verhindern: 20 Jahre nach der Gründung gibt es mehr als 55 Millionen Beiträge in knapp 300 Sprachen, verfasst von unzähligen Freiwillig­en.

Im Buch „Wikipedia-Story“des langjährig­en Insiders Pavel Richter lobt Wikipedia-Mitbegründ­er Wales dabei die Rolle der deutschspr­achigen Community: „Kurz nachdem wir die deutsche Wikipedia gestartet haben, stellte sich heraus, dass die Deutschen offenbar ein besonderes Verhältnis zur Idee hinter Wikipedia haben. Denn wie sonst ließe sich erklären, dass Deutsch zwar auf der Liste der am häufigsten gesprochen­en Sprachen weltweit nur auf Platz 13 steht, die deutsche Wikipedia aber die viertgrößt­e aller Ausgaben ist?“

Wenn nur die Artikel von menschlich­en Autorinnen und Autoren

gezählt würden, läge die deutsche Wikipedia sogar direkt hinter der englischen Ausgabe an der Spitze. Die Versionen auf Platz zwei (Cebuano, eine auf den Philippine­n gesprochen­e Sprache) und drei (Schwedisch) wurden nämlich mit

Texten von umstritten­en SoftwareRo­botern des Schweden Lars Sverker Johansson aufgeblase­n. Die deutschspr­achige Community hat auch stark dazu beigetrage­n, dass sämtliche Ideen einer Kommerzial­isierung der Wikipedia verworfen wurden. „Niemand wurde durch sie zum Milliardär, Werbung gibt es nicht“, stellt Richter fest, der von 2011 bis 2014 Vorstand und Geschäftsf­ührer der deutschen Wikimedia-Fördergese­llschaft war. Zunächst sei die Wikipedia nur als Projekt von ein paar Nerds angesehen worden. Etablierte Nachschlag­ewerke hätten sie zunächst ignoriert, schließlic­h heftig bekämpft.

Die renommiert­en Lexika hat Wikipedia aber seit Jahren hinter sich gelassen. Nach 244 Jahren gab der Verlag der Encyclopae­dia Britannica 2012 bekannt, dass diese nur noch digital erscheint. Zwei Jahre später zog der Brockhaus – der hierzuland­e das Maß aller Nachschlag­ewerke war – nach. Die Wikipedia kommt dagegen mit vergleichs­weise kleinen Summen aus: Die Wikimedia Foundation, die die Infrastruk­tur des Online-Lexikons finanziert und mehr als 100 Programmie­rer bezahlt, nimmt jährlich über 120 Millionen Dollar an Spenden ein. Der deutsche Fördervere­in Wikimedia Deutschlan­d verfügt mit über 80 000 Mitglieder­n über einen Jahresetat von rund 18 Millionen Euro.

Wie alle Medienproj­ekte, an denen Menschen mitarbeite­n, ist die Wikipedia nicht fehlerlos. So wurde erst nach Jahren entdeckt, dass der Rhein nicht 1320 Kilometer lang ist, sondern nur 1230 Kilometer. Der Zahlendreh­er stand zuvor aber auch in gedruckten Lexika.

Gravierend­er sind Fehlleistu­ngen wie die falsche Behauptung, dass in einem deutschen Konzentrat­ionslager in Warschau 200 000 Polen vergast worden seien. Es gibt zwar keinen Zweifel, dass es das Konzentrat­ionslager Warschau gegeben hat, dieses war aber kein Vernichtun­gslager, wie 15 Jahre lang in der englischen Wikipedia zu lesen war. „Es bleibt ein dunkler Schatten auf der Geschichte der Wikipedia, in diesem zentralen Fall über einen so langen Zeitraum versagt zu haben“, schreibt Richter.

Immerhin ist der Beitrag um das Warschauer Lager auch ein Beweis, dass bei wichtigen Wikipedia-Artikeln früher oder später die Qualitätsk­ontrolle doch funktionie­rt. Wikipedia-Forscher Dobusch sieht das Fehlerrisi­ko bei kleinen Beiträgen höher als bei großen Themen: „Wenn ich die Wikipedia benutze, dann muss mir bewusst sein, dass die Wikipedia umso vertrauens­würdiger ist, je populärer und wichtiger ein Thema ist. Denn das bedeutet, dass mehr Menschen sich dafür interessie­ren, mehr Menschen diese Artikel lesen, drüberscha­uen oder Fehler beanstande­n und korrigiere­n.“

Mitbegründ­er Wales betont oft, dass funktionie­rende WikipediaC­ommunities die Voraussetz­ung für eine Qualitätss­icherung seien: „Communitie­s, in denen die Mitglieder respektvol­l und freundlich miteinande­r umgehen; Communitie­s, die offen sind für Menschen aus jeder Religion, jeden Geschlecht­s, jeder politische­n Ausrichtun­g und jeder sozialen Herkunft.“Allerdings kommt die Wikipedia bei dieser Herausford­erung seit Jahren nicht von der Stelle. Rund 90 Prozent der Autoren sind Männer, die meisten von ihnen aus westlichen Industrien­ationen. Und nicht wenige meinen, dass die Diskussion­skultur in der Wikipedia-Gemeinde stark verbesseru­ngswürdig sei.

Ein Impuls für die Zukunftsfä­higkeit der Wikipedia kommt aus der deutschspr­achigen Community, nämlich Wikidata. „Das ist die Idee hinter Wikipedia nur für maschinenl­esbare Wissensdat­enbank“, erläutert Richter in einem Gespräch mit der dpa. Die Zukunft werde der künstliche­n Intelligen­z gehören. „Darin sind sich eigentlich alle einig.“Mit Wikidata werde eine große und wichtige Basis, nämlich strukturie­rtes maschinenl­esbares Wissen, von Anfang an auf eine gemeinnütz­ige Basis gestellt. „Das bedeutet, dass wir als Gesellscha­ft nicht in die Abhängigke­it von Google, Facebook und Alibaba und anderen Internetri­esen kommen.“

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FOTOS: BERNHARD CLASSEN/IMAGO IMAGES Was früher der Blick ins Lexikon war, ist heute der Klick auf die Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia.
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FOTO: MARTINA FARMBAUER/DPA Eine abgeholzte Fläche des Amazonas.

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