Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Parodie und Wilder Westen
Die Handball-WM leidet unter einer eher eigenwilligen Umsetzung der Hygienevorschriften
GIZEH (dpa/SID) - Das Corona-Chaos bei der Weltmeisterschaft ließ auch die deutschen Handballer vor ihrem Auftaktspiel gegen Uruguay (Freitag, 18 Uhr; ARD) nicht kalt. „Ich hoffe, dass es nicht mehr Nachrichten von dieser Sorte gibt und wir davon verschont bleiben“, kommentierte Kapitän Uwe Gensheimer am Mittwoch die zahlreichen Corona-Fälle bei verschiedenen Teams, die in den WM-Absagen von Tschechien und den USA gipfelten. Für Rückraumspieler Kai Häfner ist klar: „Ganz ausblenden kann man das nie, weil das Thema sehr präsent ist. Natürlich bekommt man das alles mit.“
Die Negativschlagzeilen haben auch im deutschen Team die Sorgen vergrößert. „Das übertrifft unsere Befürchtungen. Wir hoffen, dass die vielen Hiobsbotschaften, die wir aus allen Ecken der Welt erhalten, endlich ein Ende nehmen“, sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer. „Für die Kritiker ist das natürlich eine Bestätigung. Wir müssen jetzt die Sicherheit unserer Mannschaft und Betreuer vor Ort vorantreiben.“
Aus diesem Grund nahm der Deutsche Handballbund (DHB) am Mittwoch umgehend Kontakt mit dem Weltverband IHF auf. „Wir müssen in einigen Dingen nachjustieren“, berichtete Kromer. Dazu gehöre eine stärkere Separierung bei den Mahlzeiten im Teamhotel „Mena House“in Gizeh. „Da wollen wir mit Nachdruck erreichen, dass weitere Räumlichkeiten geöffnet werden, um das Risiko in diesem Bereich weiter zu minimieren“, sagte der 44-Jährige. Zudem nehme es manch einer vom Hotelpersonal mit dem Tragen der Maske nicht so genau, da hänge der Mund-Nasen-Schutz schon einmal am Kinn. Der DHB selbst habe die Spieler daher mit FFP2-Masken „zugeschüttet“, sagte Kromer. Zugleich warnte er aber vor Hysterie: „Ich kann nicht über Emotionen an solch ein Thema herangehen. Wir müssen daran arbeiten, dass alles so läuft, wie wir uns das vorstellen. Wir können die Dinge, die außerhalb unseres Kreises passieren, ohnehin nicht beeinflussen.“
Heftige Kritik an den Bedingungen in Ägypten – speziell im „Mena House“– äußerte Norwegens Star Sander Sagosen vom THW Kiel. „Bis jetzt ist das alles eine Parodie und Wilder Westen gewesen“, sagte der 25-jährige Rückraumspieler am Mittwoch. „Ich weiß nicht, ob man das überhaupt eine Blase nennen kann. Alles bis jetzt war ein großer Witz.“So gingen im Teamhotel die Leute ein und aus, alle Mannschaften kämen außerdem beim Essen zusammen. Auch der weite Weg zur Trainingshalle sei ein Problem.
Nicht das größte offenbar: Noch ehe Gastgeber Ägypten die Titelkämpfe am Mittwochabend gegen Chile eröffnete, wurde das Turnier von den von vielen befürchteten Corona-Fällen überschattet. Denn auch bei Brasilien und dem deutschen Vorrundengegner Kap Verde haben sich mehrere Spieler mit dem Virus SarsCoV-2 infiziert.
Nähere Informationen darüber lagen Axel Kromer zunächst nicht vor. „Wir kennen das nur aus den Medienberichten“, sagte der Funktionär. „Ich denke, die IHF arbeitet derzeit an Lösungen, wie damit umgegangen wird.“Doch auch der Weltverband tappte am Mittwochmittag im Dunkeln. „Bezüglich Kap Verde haben wir keine offiziellen Informationen erhalten“, hieß es auf Anfrage. Laut Medienberichten machte sich der WMNeuling aus Afrika am Mittwoch ohne sechs Spieler und vier Betreuer, unter ihnen auch Cheftrainer José Tomas, auf den Weg nach Ägypten.
Sollten weitere Teams absagen müssen, wären die Niederlande und Montenegro die nächsten Nachrücker. Den Platz der Tschechen in der
Gruppe G nimmt Nordmazedonien mit Altstar Kiril Lazarov ein. Für die USA springt in der Gruppe E die Schweiz mit Weltklasse-Regisseur Andy Schmid ein. „Das ist völlig surreal“, sagte der 37-Jährige vom Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen. „Ich weiß, dass es wegen der CoronaSituation Argumente für und gegen die WM gibt. Aber ich muss das machen, ich muss diese WM spielen. Diese Chance habe ich wahrscheinlich nur dieses eine Mal in meinem Leben.“
Schon an diesem Donnerstag müssen die Eidgenossen gegen Österreich ran. Das birgt natürlich Gefahren, hat sich die Mannschaft doch nicht gemeinsam in einer geschlossenen Blase auf das Turnier vorbereitet. „Alle möglichen Nachrücker haben sich im Vorfeld verpflichtet, die gleichen Maßnahmen wie die teilnehmenden Teams zu treffen“, teilte die IHF dazu mit. Dennoch bleiben Zweifel. „Wir wissen alle, dass trotz negativer Tests das Virus schon in einem Körper schlummern kann. Deswegen wird es in den nächsten Tagen ein erhöhtes Risiko geben“, sagte Axel Kromer und betonte: „Erst wenn die Veranstaltung richtig läuft und die Bubble geschlossen ist, wird das Risiko geringer.“