Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Zumindest vor dem Fernseher mal wieder mitfiebern
Wie die Amateurhandballer aus der Region die Austragung der umstrittenen WM in Ägypten bewerten
RAVENSBURG - Seit mittlerweile zweieinhalb Monaten geht gar nichts mehr im Amateurhandball. Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen ruht wie in nahezu allen Sportarten der Spiel- und Trainingsbetrieb. Handball gibt es für die Sportler in der Region nur noch im Fernsehen. Die Bundesliga geht weiter, ebenso wie die europäischen Wettbewerbe. Seit gestern Abend nun läuft der eigentliche Höhepunkt der Sportart: die Weltmeisterschaft in Ägypten. Doch auch am Nil herrscht Corona, die Vorbereitung auf das größte Turnier aller Zeiten (32 statt 24 Mannschaften) war geprägt von zahlreichen Problemen. Gleich mehrere Leistungsträger des deutschen Teams haben ihre Teilnahme aus Furcht vor einer Infektion abgesagt. Dass diese Bedenken nicht unberechtigt waren, zeigen die vielen Corona-Fälle. Aufgrund gleich mehrerer Infektionen im Kader haben am Dienstag Tschechien und die USA ihre WM-Teilnahme abgesagt. Auch in anderen Teams gibt es zahlreiche Positiv-Befunde. Die Kritik an den Organisatoren wächst.
Wie bewertet die Basis die Austragung des umstrittenen Turniers und was erhofft sie sich von der deutschen Mannschaft? Eine Umfrage unter den Handballern in Oberschwaben, im Allgäu und am Bodensee:
Sebastian Staudacher, MTG Wangen,
Trainer
von Verbandsligist wird die Handball-WM als Fan natürlich schauen. Doch er sieht das Turnier in Ägypten in diesen Zeiten sehr kritisch. Für ihn grenzen die Bedingungen wegen der Corona-Pandemie an „Wettbewerbsverzerrung“. Er kann zudem „zu 100 Prozent nachvollziehen“, dass einige deutsche
Spieler auf eine Teilnahme verzichtet haben. Dem DHB-Team räumt er aber trotzdem gute Chancen ein, bei der WM weit zu kommen. Auf der Torhüterposition sei die deutsche Mannschaft mit Andreas Wolff, Johannes Bitter und Silvio Heinevetter immer noch Weltklasse besetzt, einige jüngere Spieler wie etwa Johannes Golla von der SG Flensburg-Handewitt hätten ihn zuletzt auch sehr überzeugt. Vom deutschen Team seien außerdem wie gewohnt „Leidenschaft und Emotion“zu erwarten. Eine gute Platzierung sei allemal drin. Abzuwarten sei aber nicht zuletzt, „wie die Blase funktioniert“. Heißt: wer Corona-Fälle zu beklagen habe und damit vielleicht entscheidende Schwächungen im Kader. Gut findet Staudacher, dass letztendlich doch ohne Zuschauer gespielt wird
Auch für ist es die richtige Entscheidung, dass nun doch keine Fans zugelassen sind. Der Spieler des weiß, dass mit Corona nicht zu spaßen ist. Zwei seiner Familienmitglieder waren bereits an dem Virus erkrankt. Und dennoch ist der Lindauer davon überzeugt, dass es richtig ist, die WM zu spielen: „Ich bin dankbar dafür, dass die Verbände und die meisten Spieler bereit dazu sind, zu spielen. Es schmerzt uns alle, dass wir nicht selbst in die Halle können, aber die Spiele im Fernsehen zu sehen, ist eine schöne Entschädigung.“Lützelberger war jahrelang selbst Profi, drei Mal Europapokalsieger und hat mehr als 500 Bundesligaspiele bestritten. Bis heute pflegt er gute Verbindungen in den Profibereich und macht sich nach mehreren Gesprächen keine allzu großen Sorgen um die Gesundheit der Sportler: „Ich sehe, was für ein Aufwand betrieben wird, um Bedingungen zu schaffen, die im Endeffekt sicherer sind als bei uns im Privatleben.“Dass dennoch
Jörg Lützelberger TSV Lindau
einige Spieler freiwillig auf eine Teilnahme verzichtet haben, könne er aufgrund zu weniger Informationen nicht beurteilen. Klar sei aber, dass durch die Absagen der deutschen Mannschaft „eine wahnsinnige Qualität verloren“gehe, sagt Lützelberger. Dennoch glaubt er, dass die
DHB-Auswahl sogar davon profitieren könnte: „Die Mannschaft kann nun ohne großen Druck aufspielen. Wenn das gelingt, ist das Halbfinale drin.“Dass das Thema Corona die Spieler dabei beeinträchtigen könnte, glaubt der Ex-Profi nicht: „Natürlich wird darüber zwischen den
Spielen gesprochen. Im Spiel selbst denkt man aber an nichts anderes.“
Auch traut der jungen deutschen Mannschaft trotz des Fehlens mehrerer Leistungsträger einiges zu. „Das sind ähnliche Voraussetzungen wie bei der EM 2016 – und da sind wir Europameister geworden. Wenn die Mannschaft in einen Lauf reinkommt, ist das Halbfinale möglich.“Für den Vorsitzenden der
ist es die richtige Entscheidung des Weltverbands IHF, die WM trotz aller Widrigkeiten auszutragen. „Als Werbung für den Sport ist es gut, dass die WM stattfindet“, sagt Ortlieb. „Handball ist nicht so häufig im Fernsehen zu sehen, da sind so große Turniere sehr wichtig für uns.“Natürlich hat auch Ortlieb die Schwierigkeiten im Vorfeld verfolgt, dennoch ist er überzeugt: „Ich denke, dass die Spieler in der Blase, die geschaffen wird, relativ gut geschützt sind. Deshalb halte ich es für ein vertretbares Risiko.“Er sei, das gibt Ortlieb offen zu, zwar „ein bisschen neidisch“, dass die Profis weiterspielen dürfen, während der Amateurhandball ruhen muss, er sagt aber auch klar: „Wir reden hier von 18 Nationalspielern. Im Amateurbereich sind es Tausende Sportler.“Und die werden der DHB-Auswahl die Daumen drücken, dass diese möglichst weit kommt und somit Werbung für den Sport macht. Denn, das ist Orliebs größte Sorge, die Amateurhandballer werden wohl selbst lange keine Spiele mehr bestreiten können. „Ich persönlich rechne nicht damit, dass in dieser Saison nochmal gespielt wird und dass wir frühestens im März, wahrscheinlich aber eher im April, wieder trainieren können. Je länger der Lockdown dauert, desto schwieriger wird es, dass wir die Kinder und Jugendlichen in die Halle bekommen. Und dann werden wir sie verlieren.“
Ingo Ortlieb Friedrichshafen-Fischbach HSG