Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Zumindest vor dem Fernseher mal wieder mitfiebern

Wie die Amateurhan­dballer aus der Region die Austragung der umstritten­en WM in Ägypten bewerten

- Von Martin Deck und Michael Panzram

RAVENSBURG - Seit mittlerwei­le zweieinhal­b Monaten geht gar nichts mehr im Amateurhan­dball. Aufgrund der Corona-Schutzmaßn­ahmen ruht wie in nahezu allen Sportarten der Spiel- und Trainingsb­etrieb. Handball gibt es für die Sportler in der Region nur noch im Fernsehen. Die Bundesliga geht weiter, ebenso wie die europäisch­en Wettbewerb­e. Seit gestern Abend nun läuft der eigentlich­e Höhepunkt der Sportart: die Weltmeiste­rschaft in Ägypten. Doch auch am Nil herrscht Corona, die Vorbereitu­ng auf das größte Turnier aller Zeiten (32 statt 24 Mannschaft­en) war geprägt von zahlreiche­n Problemen. Gleich mehrere Leistungst­räger des deutschen Teams haben ihre Teilnahme aus Furcht vor einer Infektion abgesagt. Dass diese Bedenken nicht unberechti­gt waren, zeigen die vielen Corona-Fälle. Aufgrund gleich mehrerer Infektione­n im Kader haben am Dienstag Tschechien und die USA ihre WM-Teilnahme abgesagt. Auch in anderen Teams gibt es zahlreiche Positiv-Befunde. Die Kritik an den Organisato­ren wächst.

Wie bewertet die Basis die Austragung des umstritten­en Turniers und was erhofft sie sich von der deutschen Mannschaft? Eine Umfrage unter den Handballer­n in Oberschwab­en, im Allgäu und am Bodensee:

Sebastian Staudacher, MTG Wangen,

Trainer

von Verbandsli­gist wird die Handball-WM als Fan natürlich schauen. Doch er sieht das Turnier in Ägypten in diesen Zeiten sehr kritisch. Für ihn grenzen die Bedingunge­n wegen der Corona-Pandemie an „Wettbewerb­sverzerrun­g“. Er kann zudem „zu 100 Prozent nachvollzi­ehen“, dass einige deutsche

Spieler auf eine Teilnahme verzichtet haben. Dem DHB-Team räumt er aber trotzdem gute Chancen ein, bei der WM weit zu kommen. Auf der Torhüterpo­sition sei die deutsche Mannschaft mit Andreas Wolff, Johannes Bitter und Silvio Heinevette­r immer noch Weltklasse besetzt, einige jüngere Spieler wie etwa Johannes Golla von der SG Flensburg-Handewitt hätten ihn zuletzt auch sehr überzeugt. Vom deutschen Team seien außerdem wie gewohnt „Leidenscha­ft und Emotion“zu erwarten. Eine gute Platzierun­g sei allemal drin. Abzuwarten sei aber nicht zuletzt, „wie die Blase funktionie­rt“. Heißt: wer Corona-Fälle zu beklagen habe und damit vielleicht entscheide­nde Schwächung­en im Kader. Gut findet Staudacher, dass letztendli­ch doch ohne Zuschauer gespielt wird

Auch für ist es die richtige Entscheidu­ng, dass nun doch keine Fans zugelassen sind. Der Spieler des weiß, dass mit Corona nicht zu spaßen ist. Zwei seiner Familienmi­tglieder waren bereits an dem Virus erkrankt. Und dennoch ist der Lindauer davon überzeugt, dass es richtig ist, die WM zu spielen: „Ich bin dankbar dafür, dass die Verbände und die meisten Spieler bereit dazu sind, zu spielen. Es schmerzt uns alle, dass wir nicht selbst in die Halle können, aber die Spiele im Fernsehen zu sehen, ist eine schöne Entschädig­ung.“Lützelberg­er war jahrelang selbst Profi, drei Mal Europapoka­lsieger und hat mehr als 500 Bundesliga­spiele bestritten. Bis heute pflegt er gute Verbindung­en in den Profiberei­ch und macht sich nach mehreren Gesprächen keine allzu großen Sorgen um die Gesundheit der Sportler: „Ich sehe, was für ein Aufwand betrieben wird, um Bedingunge­n zu schaffen, die im Endeffekt sicherer sind als bei uns im Privatlebe­n.“Dass dennoch

Jörg Lützelberg­er TSV Lindau

einige Spieler freiwillig auf eine Teilnahme verzichtet haben, könne er aufgrund zu weniger Informatio­nen nicht beurteilen. Klar sei aber, dass durch die Absagen der deutschen Mannschaft „eine wahnsinnig­e Qualität verloren“gehe, sagt Lützelberg­er. Dennoch glaubt er, dass die

DHB-Auswahl sogar davon profitiere­n könnte: „Die Mannschaft kann nun ohne großen Druck aufspielen. Wenn das gelingt, ist das Halbfinale drin.“Dass das Thema Corona die Spieler dabei beeinträch­tigen könnte, glaubt der Ex-Profi nicht: „Natürlich wird darüber zwischen den

Spielen gesprochen. Im Spiel selbst denkt man aber an nichts anderes.“

Auch traut der jungen deutschen Mannschaft trotz des Fehlens mehrerer Leistungst­räger einiges zu. „Das sind ähnliche Voraussetz­ungen wie bei der EM 2016 – und da sind wir Europameis­ter geworden. Wenn die Mannschaft in einen Lauf reinkommt, ist das Halbfinale möglich.“Für den Vorsitzend­en der

ist es die richtige Entscheidu­ng des Weltverban­ds IHF, die WM trotz aller Widrigkeit­en auszutrage­n. „Als Werbung für den Sport ist es gut, dass die WM stattfinde­t“, sagt Ortlieb. „Handball ist nicht so häufig im Fernsehen zu sehen, da sind so große Turniere sehr wichtig für uns.“Natürlich hat auch Ortlieb die Schwierigk­eiten im Vorfeld verfolgt, dennoch ist er überzeugt: „Ich denke, dass die Spieler in der Blase, die geschaffen wird, relativ gut geschützt sind. Deshalb halte ich es für ein vertretbar­es Risiko.“Er sei, das gibt Ortlieb offen zu, zwar „ein bisschen neidisch“, dass die Profis weiterspie­len dürfen, während der Amateurhan­dball ruhen muss, er sagt aber auch klar: „Wir reden hier von 18 Nationalsp­ielern. Im Amateurber­eich sind es Tausende Sportler.“Und die werden der DHB-Auswahl die Daumen drücken, dass diese möglichst weit kommt und somit Werbung für den Sport macht. Denn, das ist Orliebs größte Sorge, die Amateurhan­dballer werden wohl selbst lange keine Spiele mehr bestreiten können. „Ich persönlich rechne nicht damit, dass in dieser Saison nochmal gespielt wird und dass wir frühestens im März, wahrschein­lich aber eher im April, wieder trainieren können. Je länger der Lockdown dauert, desto schwierige­r wird es, dass wir die Kinder und Jugendlich­en in die Halle bekommen. Und dann werden wir sie verlieren.“

Ingo Ortlieb Friedrichs­hafen-Fischbach HSG

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FOTO: SASCHA RIETHBAUM Sebastian Staudacher, Trainer der MTG Wangen, sieht die Austragung der Handball-WM in Ägypten sehr kritisch.

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