Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Stadträte verteidigen Riedweg-Projekt
Befürworter widersprechen der Bürgerinitiative – Dichtes Wohnen gibt es auch anderswo in Aulendorf
AULENDORF - „Das Projekt ist gut und wird kommen“, das ist in aller Kürze die Überzeugung derjenigen Aulendorfer Stadträte, die sich klar hinter das Projekt für Sozialen Wohnungsbau im Riedweg stellen: BUS, SPD und ein Rat der FWV. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Karin Halder, Pierre Groll, Rainer Marquart und Oliver Jöchle gesprochen. Die Stadträtin und -räte begrüßen grundsätzlich das Interesse an der Kommunalpolitik samt Debatte, sehen sich aber auch mit aus ihrer Sicht unfairen Vorwürfen und falschen Behauptungen konfrontiert. Das sind ihre Argumente.
Dass das Riedweg-Projekt nicht allen Anwohnern gefallen würde, das machen die Räte im Video-Gespräch deutlich, hätten sie erwartet. Kritik von Anwohnern an kommunalpolitischen Entscheidungen gebe es auch zu anderen Bauprojekten. „Das müssen wir als Gemeinderäte aushalten. Und das tun wir auch“, sagt Karin Halder (BUS). Dass ein Projekt für sozialen und bezahlbaren Wohnraum allerdings „so großen Widerspruch“erfahre, habe ihn doch überrascht, so Rainer Marquart (SPD). Denn für die befürwortenden Stadträte ist klar: Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist da. Das sehe man schon beim Blick in die Gesuche und die Statistiken großer Immobilienplattformen wie Immoscout, sagt Pierre Groll (BUS), und nicht jeder könne sich die steigenden Mieten leisten.
Einige Argumente der Bürgerinitiative Riedweg, die sich gegen das Projekt stellt, wollen die Stadträte nicht gelten lassen. Etwa, dass das Vorhaben undurchdacht und ein Schnellschuss sei. „Stimmt nicht“, findet Marquart, der Gemeinderat beschäftige sich bereits seit Jahren mit der Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Gespräche mit Investoren führte die Stadt etwa für das Kornhausgrundstück (die SZ berichtete) – am Ende erfolglos. Im Neubaugebiet Tafelesch, berichtet Groll, habe die Stadt versucht, Bauherren zum Zug kommen zu lassen, die sich im Gegenzug verpflichtet hätten, für zehn Jahre günstig zu vermieten. Zustande gekommen sei das allerdings nur für ein Haus. Das Projekt im Riedweg hält Groll daher für das „seit Jahren beste Angebot“.
Gleichwohl räumen die Räte Fehler in der Kommunikation ein. Die Anwohner hatten sich vor vollendete Tatsachen gestellt gefühlt, als das Thema für sie plötzlich auf der öffentlichen Tagesordnung erschien. „Daraus müssen wir lernen“, findet Groll, sieht den Ball allerdings beim Bürgermeister. „Uns wird vorgeworfen, dass wir kein Bürgergespräch dazu gemacht haben, aber solange es nichtöffentlich behandelt wird, dürfen wir nicht darüber sprechen“, erklärt Halder die Regeln für vereidigte Stadträte.
Für die Stadträte passt das soziale Wohnungsbauprojekt, das drei dreigeschossige Mehrfamilienhäuser und acht Doppelhaushälften vorsieht, gut in den Riedweg. Auch unter dem Gedanken des Zusammenlebens unterschiedlicher Bevölkerungsschichten. „Ein Standort in der Oberstadt, wo eher die teureren Wohngebiete sind, genau da muss es für die Durchmischung hin“, findet Oliver Jöchle (FWV) und hält den Standort deshalb auch für geeigneter als in der Unterstadt in Bahnhofsnähe, wo es bereits einige billige Wohnungen gebe.
Bedenken wegen Lärms und des Störens der Friedhofsruhe könne sie, sagt Halder auf Nachfrage, nicht nachvollziehen. „Da werden überwiegend Familien wohnen, die morgens aus dem Haus gehen und abends wieder kommen.“Und Kinder gebe es in jedem anderen Neubaugebiet auch. „Das kann man ja in den Häusern sagen, wenn eine Beerdigung ist von 14 bis 14.30 Uhr – das haben die Anwohner bisher ja auch geregelt bekommen.“
Die Stadträte verweisen zudem darauf, dass es im Riedweg bereits ähnliche Bebauung gebe, etwa an der Ecke Auf der Steige, auch zur Saulgauer Straße hin stehe ein neues mehrstöckiges Gebäude mit Flachdach. In Sachen Dichte der Bebauung vergleichen die Stadträte das Projekt mit anderen mehrgeschossigen Bauten, etwa dem „Schillerpark“oder den neu entstandenen Mehrfamilienhäusern hinter dem Vita-Hotel, am Bahnhof oder in der oberen Allee. „Das ist nicht dichter bebaut als andere Bauvorhaben in letzter Zeit“, sagt Halder. Wobei die angesprochenen neuen Bauten ein teils weit teureres Preissegment bedienen oder Eigentumswohnungen und keine Sozialwohnungen mit vorgegebener Bewohnerzahl sind.
Dem Vorschlag der Bürgerinitiative, auf dem Riedweg-Grundstück stattdessen ein betreutes Wohnen für betagte Menschen anzusiedeln, kann Halder indes nichts abgewinnen. Nicht nur, dass sie die Lage neben dem Friedhof für unpassend hält, ihr fehle auch die Infrastruktur in Bezug auf Essen und 24-Stunden-Pflegepersonal dort. Nach Ansicht der Räte gehöre ein solches Projekt in die Nähe einer Pflegeeinrichtung, in Bad Saulgau etwa gebe es ein solches neben dem Krankenhaus. Die Stadt habe seinerzeit versucht, betreutes Wohnen zusammen mit der St.-Elisabeth-Stiftung bei der Neubebauung in der Parkstraße, neben deren Pflegeeinrichtung in Aulendorf, umzusetzen. Das sei allerdings nicht machbar, da zu teuer gewesen.
Über den staatlich geförderten Wohnungsbau könnten im Riedweg Sozialwohnungen entstehen, die 30 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Beziehen dürften sie dann alle Menschen, die einen Wohnberechtigungsschein haben. Die Stadträte haben eine Frageund Antworten-Broschüre zum Projekt erstellt (einsehbar auf der BUSoder der SPD-Homepage), in der sie auch Beispiele aufführen. Berechtigt, dort einzuziehen, wäre demnach etwa eine dreiköpfige Familie mit einem Jahreshaushaltseinkommen von 55 000 Euro: Mutter Verwaltungsfachangestellte in Teilzeit (50 Prozent, E6/3 TVL), Vater angestellter Bäckergeselle (100 Prozent), ein
Kind. An die Entstehung eines sozialen Brennpunkts, wie ihn manchen Anwohner befürchten, glauben die Stadträte nicht. Auch wenn die Frage, wie sichergestellt werden soll, dass dort nicht nur Menschen hinziehen, die Probleme mit sich bringen, eventuell berechtigt sei, sagt Marquart, „ist es aber ein Totschlagargument, wenn man der Stiftung oder Firma unterstelle, sie würde keine Durchmischung wollen.“
Uneinig sind sich die Räte bei der Frage danach, ob auch die Stadt selbst als Träger eines Sozialwohnungsbauprojekts infrage kommt und die Vermietung organisieren sollte. Während Marquart das als Möglichkeit in den Raum stellt, halten die anderen dagegen. „Wir können das nicht – und schon gar nicht besser als die Stiftung oder Firma, die darauf spezialisiert ist“, glaubt Jöchle. Zudem, so sieht es Halder, müsse auch die Stadt Sozialen Wohnraum, der gefördert gebaut wurde, dem Markt verfügbar machen und dürfe nicht nur Aulendorfer einziehen lassen.
Für den Fortgang mit dem Projekt setzen die Stadträte nun auf mehr Transparenz. Die Bürgerinformation müsse bald kommen. Sie wünschen sich, „dass die Debatte sachlich und ehrlich geführt wird und nicht mit aufrührerischen Argumenten, die weder dem Gemeinderat noch dem Projekt gerecht werden“, sagt Groll, und, so Halder, „dass diejenigen, die der Bürgerinitiative folgen, sich nicht nur einseitig informieren“. Man vergesse in der Debatte alle, die gerade eine Wohnung suchen, fürchtet Jöchle, „und vielleicht auch die, die sich nicht so gut Gehör verschaffen können. Nicht immer sind die, die am lautesten schreien, auch die Mehrheit.“Und sollte es doch zu einem Bürgerentscheid kommen, sagt Marquart, „akzeptiere ich das als Demokrat. Aber ich glaube, dass die Mehrheit das Projekt positiv sieht.“
Warum im aktuellen Regelgrundriss keine Zwei-Zimmer-Wohnungen vorhanden sind, und weshalb Bürgermeister Matthias Burth nicht vorab über das Projekt informierte, hat die „Schwäbische Zeitung“das Stadtoberhaupt im großen Jahresinterview gefragt. Es erscheint in der Montagsausgabe.