Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Streit dreht sich vor allem ums Tempo
Klimawandel: Ravensburger Baumbesetzer erwarten von Stadt schnelleres Handeln
RAVENSBURG - Nach einem Monat der Baumbesetzung in Ravensburg haben sich Stadt und Klimaaktivisten erstmals zum Gespräch getroffen. Inhaltlich versuchte die Verwaltung am Donnerstagabend im Großen Sitzungssaal des Rathauses darzustellen, was sie seit Beschluss des Klimakonsenses schon veranlasst hat, um die CO2-Emissionen in Ravensburg zu reduzieren. Die Klimaaktivisten begrüßten all das, sind aber weiterhin der Meinung, dass es noch viel zu wenig ist, um das hochgesteckte Ziel von jährlich 13 Prozent CO2-Einsparung zu erreichen, das im Ravensburger Klimakonsens im vergangenen Sommer festgelegt und verabschiedet wurde. Inhaltliche Gespräche wollen beide Seiten weiterführen. Konfliktpotenzial birgt aber mehr denn je die Form des Protests.
Oberbürgermeister Daniel Rapp hatte zu Beginn des Gesprächs zunächst eingeschränkt, dass er nicht über die Form des Protestes, sondern über Inhalte sprechen wolle. Die Besetzer setzten sich für Schritte gegen den Klimawandel und damit für eine gute Sache ein, so Rapp. Die Stadt wolle ihnen zeigen, was sie schon unternommen habe. „Mehr geht natürlich immer. Aber der Vorwurf, dass wir nichts machen, stimmt nicht.“Der Klimakonsens gehe manchen nicht weit genug, anderen zu weit. Er sei aber in einer demokratischen Entscheidung verabschiedet worden, nun müsse man ihn akzeptieren. „Wir leben hier nicht in einer Diktatur, in der wir sagen: Ihr müsst alle Bus fahren, ihr dürft nur noch Rad fahren“, so Rapp. Bastin ergänzte: „Auch wir wollen eine lebenswerte, dekarbonisierte Welt. Wenn wir gemeinsam für dieses Ziel streiten, bekommen wir richtig was umgesetzt.“
Es sei zwar richtig, dass der Klimakonsens nur ausgewählte Maßnahmen mit hoher Akzeptanz beinhalte, sagte Umweltamtsleiterin Veerle Buytaert. Aber: „Besser so eine Grundlage als keine.“Sie stellte dar, was die Stadt seit der Verabschiedung des Klimakonsenses schon unternommen habe. Dazu gehörte unter anderem, dass eine neue Stellplatzsatzung in Vorbereitung sei, ebenso ein Konzept darüber, wo die Stadt künftig wie viel Geld fürs Parken verlangen will. Beides soll noch dieses Jahr beschlossen werden. Weil die Stadt nur auf 20 Prozent aller Emissionen Einfluss habe, müsse es gelingen, Bürger und Wirtschaft zu einer Änderung ihres Verhaltens zu animieren – dabei soll eine Klimaschutzmarke helfen. Per Ausschreibung suche man bereits eine Agentur, die diese Marke entwickelt. Ein unabhängiger Klimarat, der die Bemühungen überwacht, werde möglicherweise schon im ersten Halbjahr 2021 eingesetzt.
Aus Sicht des Initiators des Ravensburger Baumklimacamps Samuel Bosch (18 Jahre alt) unternimmt die Stadt dennoch zu wenig. Bosch ist mit vier Mitaktivisten und Hochschulprofessor Wolfgang Ertel zum Gespräch gekommen. Sie halten die Schritte der Stadt für nicht ambitioniert genug, um die im Klimakonsens zugesagte CO2-Einsparung zu erreichen. Bosch stellte ebenfalls einige Ideen vor, sagt, man müsse versuchen, die Bürger zum Radfahren zu animieren und vom Autofahren abzuhalten. Das könne gelingen, wenn Busfahren kostenlos werde und man an einer Stadt der kurzen Wege arbeite, dazu gehöre, dass sich Bürger in dezentral gelegenen Läden versorgen könnten. „Auch eine autofreie Innenstadt ist sehr einfach umsetzbar“, sagte er. Außerdem brauche es noch bessere Photovoltaikförderung. Eine „Ökodiktatur“, wie von Rapp überspitzt dargestellt, wünschten sie sich nicht.
Hochschulprofessor Ertel sagte über die drastischen Folgen der Klimaerwärmung: „Wir sehen den Tsunami nicht, der auf die ganze Menschheit zukommt. Wenn wir jetzt nicht handeln, ist es zu spät.“Wenn Ravensburg das erste Jahr nach dem Klimakonsens verschlafe, werde es ungleich schwerer und somit unwahrscheinlicher, dass die Stadt 2040 tatsächlich klimaneutral ist. Die Wirksamkeit der Ravensburger Maßnahmen dürfe nicht erst in fünf Jahren, sondern müsse schon nach einem Jahr überprüft werden. Er fordert, dass die Stadt zusätzlich zehn Mitarbeiter auf das Thema Klimaschutz ansetzt: „So viele Leute braucht man halt, um so ein anstrengendes Paket zu schnüren“, so Ertel. „Man wird auch Maßnahmen brauchen, die unbequem sind.“
Zum Gespräch hatte die Stadt auch Schülerrat und Gemeinderatsfraktionen eingeladen, wobei sich die Freien Wähler dem Termin verwehrt haben, weil sie es falsch finden, den Besetzern diese Plattform zu bieten. Der Schülerrat unterstützt die inhaltlichen Forderungen der Baumbesetzer, der Sprecher Joshua Bernhart kritisierte aber ein Ping-pong an Schuldzuweisungen anstatt konstruktiver Zusammenarbeit.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maria Weithmann, und ihr FPDKollege Oliver Schneider äußerten Verständnis für die Ungeduld der Jugendlichen. Schneider warb um Verständnis, dass politische Prozesse Zeit brauchen. Weithmann sieht große Verantwortung beim Gemeinderat, der sich fragen müsse, welche Priorität der Klimaschutz für ihn habe und wie viel Geld er dafür ausgeben wolle. „Wir müssen jetzt darum ringen, in welchem Tempo wir das alles umsetzen.“CDU-Fraktionschef August Schuler setzte sich dafür ein, die Gespräche zwischen Aktivisten und Stadt fortzusetzen – die Baumbesetzung müsse jedoch ein Ende finden, sagte er.
Auch Stadt und Polizei halten die Besetzung des Baumes an der Ecke Karl-/Eisenbahnstraße für unrechtmäßig. Die Aktivisten sind freilich anderer Meinung. „Zu Demokratie gehört der lebendige Austausch und ziviler Ungehorsam“, sagte die 17-jährige Aktivistin Rosina Kaltenhauser. In einer Pressemitteilung am Freitag versicherten die Aktivisten: „Wir werden unser Baumhausklimacamp auf jeden Fall fortsetzen.“