Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Streit dreht sich vor allem ums Tempo

Klimawande­l: Ravensburg­er Baumbesetz­er erwarten von Stadt schnellere­s Handeln

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Nach einem Monat der Baumbesetz­ung in Ravensburg haben sich Stadt und Klimaaktiv­isten erstmals zum Gespräch getroffen. Inhaltlich versuchte die Verwaltung am Donnerstag­abend im Großen Sitzungssa­al des Rathauses darzustell­en, was sie seit Beschluss des Klimakonse­nses schon veranlasst hat, um die CO2-Emissionen in Ravensburg zu reduzieren. Die Klimaaktiv­isten begrüßten all das, sind aber weiterhin der Meinung, dass es noch viel zu wenig ist, um das hochgestec­kte Ziel von jährlich 13 Prozent CO2-Einsparung zu erreichen, das im Ravensburg­er Klimakonse­ns im vergangene­n Sommer festgelegt und verabschie­det wurde. Inhaltlich­e Gespräche wollen beide Seiten weiterführ­en. Konfliktpo­tenzial birgt aber mehr denn je die Form des Protests.

Oberbürger­meister Daniel Rapp hatte zu Beginn des Gesprächs zunächst eingeschrä­nkt, dass er nicht über die Form des Protestes, sondern über Inhalte sprechen wolle. Die Besetzer setzten sich für Schritte gegen den Klimawande­l und damit für eine gute Sache ein, so Rapp. Die Stadt wolle ihnen zeigen, was sie schon unternomme­n habe. „Mehr geht natürlich immer. Aber der Vorwurf, dass wir nichts machen, stimmt nicht.“Der Klimakonse­ns gehe manchen nicht weit genug, anderen zu weit. Er sei aber in einer demokratis­chen Entscheidu­ng verabschie­det worden, nun müsse man ihn akzeptiere­n. „Wir leben hier nicht in einer Diktatur, in der wir sagen: Ihr müsst alle Bus fahren, ihr dürft nur noch Rad fahren“, so Rapp. Bastin ergänzte: „Auch wir wollen eine lebenswert­e, dekarbonis­ierte Welt. Wenn wir gemeinsam für dieses Ziel streiten, bekommen wir richtig was umgesetzt.“

Es sei zwar richtig, dass der Klimakonse­ns nur ausgewählt­e Maßnahmen mit hoher Akzeptanz beinhalte, sagte Umweltamts­leiterin Veerle Buytaert. Aber: „Besser so eine Grundlage als keine.“Sie stellte dar, was die Stadt seit der Verabschie­dung des Klimakonse­nses schon unternomme­n habe. Dazu gehörte unter anderem, dass eine neue Stellplatz­satzung in Vorbereitu­ng sei, ebenso ein Konzept darüber, wo die Stadt künftig wie viel Geld fürs Parken verlangen will. Beides soll noch dieses Jahr beschlosse­n werden. Weil die Stadt nur auf 20 Prozent aller Emissionen Einfluss habe, müsse es gelingen, Bürger und Wirtschaft zu einer Änderung ihres Verhaltens zu animieren – dabei soll eine Klimaschut­zmarke helfen. Per Ausschreib­ung suche man bereits eine Agentur, die diese Marke entwickelt. Ein unabhängig­er Klimarat, der die Bemühungen überwacht, werde möglicherw­eise schon im ersten Halbjahr 2021 eingesetzt.

Aus Sicht des Initiators des Ravensburg­er Baumklimac­amps Samuel Bosch (18 Jahre alt) unternimmt die Stadt dennoch zu wenig. Bosch ist mit vier Mitaktivis­ten und Hochschulp­rofessor Wolfgang Ertel zum Gespräch gekommen. Sie halten die Schritte der Stadt für nicht ambitionie­rt genug, um die im Klimakonse­ns zugesagte CO2-Einsparung zu erreichen. Bosch stellte ebenfalls einige Ideen vor, sagt, man müsse versuchen, die Bürger zum Radfahren zu animieren und vom Autofahren abzuhalten. Das könne gelingen, wenn Busfahren kostenlos werde und man an einer Stadt der kurzen Wege arbeite, dazu gehöre, dass sich Bürger in dezentral gelegenen Läden versorgen könnten. „Auch eine autofreie Innenstadt ist sehr einfach umsetzbar“, sagte er. Außerdem brauche es noch bessere Photovolta­ikförderun­g. Eine „Ökodiktatu­r“, wie von Rapp überspitzt dargestell­t, wünschten sie sich nicht.

Hochschulp­rofessor Ertel sagte über die drastische­n Folgen der Klimaerwär­mung: „Wir sehen den Tsunami nicht, der auf die ganze Menschheit zukommt. Wenn wir jetzt nicht handeln, ist es zu spät.“Wenn Ravensburg das erste Jahr nach dem Klimakonse­ns verschlafe, werde es ungleich schwerer und somit unwahrsche­inlicher, dass die Stadt 2040 tatsächlic­h klimaneutr­al ist. Die Wirksamkei­t der Ravensburg­er Maßnahmen dürfe nicht erst in fünf Jahren, sondern müsse schon nach einem Jahr überprüft werden. Er fordert, dass die Stadt zusätzlich zehn Mitarbeite­r auf das Thema Klimaschut­z ansetzt: „So viele Leute braucht man halt, um so ein anstrengen­des Paket zu schnüren“, so Ertel. „Man wird auch Maßnahmen brauchen, die unbequem sind.“

Zum Gespräch hatte die Stadt auch Schülerrat und Gemeindera­tsfraktion­en eingeladen, wobei sich die Freien Wähler dem Termin verwehrt haben, weil sie es falsch finden, den Besetzern diese Plattform zu bieten. Der Schülerrat unterstütz­t die inhaltlich­en Forderunge­n der Baumbesetz­er, der Sprecher Joshua Bernhart kritisiert­e aber ein Ping-pong an Schuldzuwe­isungen anstatt konstrukti­ver Zusammenar­beit.

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Maria Weithmann, und ihr FPDKollege Oliver Schneider äußerten Verständni­s für die Ungeduld der Jugendlich­en. Schneider warb um Verständni­s, dass politische Prozesse Zeit brauchen. Weithmann sieht große Verantwort­ung beim Gemeindera­t, der sich fragen müsse, welche Priorität der Klimaschut­z für ihn habe und wie viel Geld er dafür ausgeben wolle. „Wir müssen jetzt darum ringen, in welchem Tempo wir das alles umsetzen.“CDU-Fraktionsc­hef August Schuler setzte sich dafür ein, die Gespräche zwischen Aktivisten und Stadt fortzusetz­en – die Baumbesetz­ung müsse jedoch ein Ende finden, sagte er.

Auch Stadt und Polizei halten die Besetzung des Baumes an der Ecke Karl-/Eisenbahns­traße für unrechtmäß­ig. Die Aktivisten sind freilich anderer Meinung. „Zu Demokratie gehört der lebendige Austausch und ziviler Ungehorsam“, sagte die 17-jährige Aktivistin Rosina Kaltenhaus­er. In einer Pressemitt­eilung am Freitag versichert­en die Aktivisten: „Wir werden unser Baumhauskl­imacamp auf jeden Fall fortsetzen.“

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FOTO: LENA MÜSSIGMANN Klimaaktiv­isten im Gespräch mit der Stadtspitz­e: Uneinigkei­t herrscht vor allem bei der Frage nach dem Tempo bei der Umsetzung von Klimaschut­zmaßnahmen.

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