Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Frau aus Weißensberg sitzt elf Stunden auf der B 31 fest
Kurz nachdem Nadine Karsten von Friedrichshafen losfährt, steht sie im Stau – Sie friert stundenlang
LINDAU - Als Nadine Karsten am Donnerstagnachmittag bei Friedrichshafen-Ost die Auffahrt auf die B 31 nimmt, scheint noch alles gut. Auf der Bundesstraße angekommen, sieht sie schon das Ende des Staus. Nicht ungewöhnlich, denkt sie, bei diesem Wetter eh nicht. Und umdrehen kann sie ohnehin nicht mehr. Wenige Meter nach der Auffahrt kommt sie zum Stehen. Und genau dort wird sie elf Stunden lang festsitzen. Allein, frierend – und bald schon ohne funktionierendes Handy.
Gewusst, dass da etwas ganz und gar nicht stimmen kann, habe sie gegen 18 Uhr. Da steht Nadine Karsten bereits seit dreieinhalb Stunden im Stau. „Mir war klar, dass das jetzt nicht mehr normal ist“, sagt sie. Dass ihr Heimweg an diesem Tag eine halbe Stunde, vielleicht auch eine Stunde, länger dauern würde, damit habe sie gerechnet. „Aber es ging ja gar nichts.“
Von einem Lastwagenfahrer, der sich mit einem anderen unterhält, bekommt sie mit, dass es irgendwo weiter vorn auf der Straße wohl ein Problem mit einem Lastwagen gibt. Manche Autofahrer rufen bei der Polizei an, bekommen aber auch keine Auskunft.
Am Donnerstag gibt es auf der B 31 gleich mehrere Probleme. Am Morgen stellt sich in Höhe Kressbronn auf schneeglatter Fahrbahn ein Lastwagen quer. Schon da entsteht ein kilometerlanger Stau in beide Richtungen, die Fahrbahn wird gegen 11.20 Uhr wieder freigegeben. Am frühen Nachmittag fährt sich ein Lastwagen am Löwentalviadukt bei der Auffahrt Richtung Lindau fest, weitere Lastwagen stehen quer. Der Verkehr steht still.
Warum die Auffahrt nicht gesperrt ist, als Nadine Karsten auf die Bundesstraße fährt, lässt sich am Freitag nicht mehr nachvollziehen. „Da die B31 eine Hauptachse und stark befahren ist, geht es sehr schnell, dass sich ein Stau bildet, wenn ein Lkw quer steht“, sagt Polizeisprecher Oliver Weißflog. So schnell könne die Polizei die einzelnen Auffahrten für nachkommenden Verkehr gar nicht sperren. Von Donnerstag auf Freitag sei dann noch der starke Schneefall dazugekommen.
Gegen sechs, als Nadine Karsten klar wird, dass das kein normaler B 31-Stau ist, ist es bereits dunkel. Die Autos um sie herum haben die Lichter längst ausgeschaltet, um Batterie zu sparen. Auf den Fahrzeugen liegt bereits Zentimeter hoch Schnee. „Alle standen da, als würden sie parken. Das war gruselig“, erzählt die 35-Jährige. Auszusteigen traut sie sich nicht. „Ich war ja ganz allein.“
Im Halbstundentakt schaltet sie ihren Motor an, um wenigstens ein bisschen zu heizen. Noch ist sie beschäftigt, sie telefoniert mit ihrem Partner und ihrem zwölfjährigen Sohn, organisiert das Homeschooling für den nächsten Tag. „Zum Glück war mein Partner zu
Hause, mein Sohn kann ja nicht die ganze Nacht allein sein“, sagt sie.
Dann, gegen 22 Uhr, gibt das Handy den Geist auf, der Akku ist leer. Weil ihr Lebensgefährte sie nicht mehr erreicht, ruft auch er bei der Polizei an, doch die Beamten können ihm keine Auskunft geben. Bange Stunden auch für ihn.
Nadine Karsten nickt immer wieder kurz ein. Den Motor lässt sie jetzt aus, denn das Auto wird ohnehin nicht mehr warm. „Am schlimmsten war die Kälte“, sagt sie, „dann ging es irgendwann auf die Psyche.“
Um Mitternacht klopfen Helfer vom THW an ihr Fenster und bringen ihr einen Becher Tee. „Die kamen zu Fuß und waren total nett. Aber sie wussten leider auch nicht, was los ist.“Die Decke, die ihr die THWler anbieten, lehnt sie ab. Kurz darauf holt sie ihre eigene Heizdecke aus dem Verbandskasten. Sie friert.
Gegen 1.30 Uhr wird die junge Mutter endlich erlöst. Die Gegenfahrbahn ist wieder frei. „Ein Polizist kam und hat gesagt, dass ich umdrehen und über Tettnang fahren soll.“Nadine Karsten hat Glück, dass sie eher am Ende des Staus stecken geblieben ist. Andere Autofahrer, die nicht umdrehen können, müssen zum Teil bis Freitagvormittag auf der B 31 ausharren.
Doch bis die 35-Jährige endlich in ihrer Wohnung in Weißensberg ist, wird es noch weitere anderthalb Stunden dauern. „Auf dem Weg nach Tettnang lag ein Baum auf der Straße“, erzählt sie, „und daneben ein Auto im Graben.“Der Rettungsdienst
schickt sie weg. Nadine Karsten muss noch einmal umdrehen, fährt schließlich über Langenargen und Kressbronn am See entlang.
Um drei Uhr ist sie endlich daheim. Zeit zum Ausschlafen und richtig Aufwärmen bleibt ihr aber nicht. Um halb acht muss sie am Freitagmorgen schon wieder aufstehen, um ihren Sohn beim Homeschooling zu betreuen. Zur Arbeit fährt sie an diesem Morgen nicht. „Ich habe angerufen und geklärt, dass ich Homeoffice machen kann.“Ansonsten wäre sie vermutlich wieder im Stau gestanden. Denn auch am Freitag ist die B 31 entweder voller Autos oder gleich ganz gesperrt.