Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Festnahme noch am Flughafen

Nawalny kehrt nach Russland zurück – An der Passkontro­lle wartet die Polizei

- Von Stefan Scholl und Agenturen

MOSKAU - Auch Nawalnys Anhänger warteten mit gemischten Gefühlen. „Vor dem Flughafen sind starke Sicherheit­skräfte zusammenge­zogen worden“, sagte der Sibirier Nikita Iljin der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es ist sehr gut möglich, dass sie Alexej sofort festnehmen werden. Russlands Staatsmach­t ist unberechen­bar.“Diese Worte bestätigte­n sich wenige Stunden später.

Die Passagierm­aschine der Fluglinie Pobeda, in der Nawalny nach fast fünf Monaten Behandlung­s- und Erholungsa­ufenthalt in Deutschlan­d nach Russland zurückkehr­te, landete nicht wie angekündig­t auf dem Flughafen Wnukowo westlich von Moskau, sondern in Scheremetj­ewo im Norden der Hauptstadt. Dort stieg der Opposition­elle, der trotz 18 Grad Minus nur eine leichte Jacke trug, mit anderen Passagiere­n in den Bus zum Flughafeng­ebäude.

An der Passkontro­lle erwarteten ihn Beamte in schwarzen Uniformen, die ihn auffordert­en, ihm zu folgen. Nawalny verabschie­dete sich mit einem Kuss auf die Wange von seiner Frau Julia, dann verschwand er mit den Ordnungshü­tern. Der 44-Jährige sei zur Fahndung ausgeschri­eben gewesen, teilte der Strafvollz­ug am Sonntag mit. Die russische Strafvollz­ugsbehörde wirft Nawalny vor, wiederholt gegen die Auflagen einer fünfjährig­en Bewährungs­strafe verstoßen zu haben. Der Regierungs­gegner soll demnach bis zu einer Entscheidu­ng durch ein Gericht in Haft bleiben.

„Mich verhaften? Das ist unmöglich“, hatte Nawalny den vielen Journalist­en unter den Passagiere vor dem Abflug zugerufen. „Alles wird wunderbar sein.“Danach nahm er neben seiner Frau Julia in der Reihe 13 Platz. Es war zunächst unklar, ob die Festnahme nur vorläufig ist. Sein Vertrauter Leonid Wolkow sagte TV Doschd, er hoffe, dass Nawalny nicht länger als 48 Stunden festgehalt­en wird.

In Wnukowo hatten sich Hunderte Anhänger, Gegner, Polizisten und Journalist­en versammelt. Gegen Abend befanden sich etwa 300 Menschen im Wartesaal des Internatio­nalen Terminals, ungefähr tausend harrten trotz der Kälte auf der Straße und in den Eingängen zur S-BahnStatio­n des Flughafens aus. Das Terminal sperrten schwer bewaffnete Sonderpoli­zisten ab, immer wieder wurden Nawalny-Anhänger von Polizisten abgeführt oder gewaltsam weggeschle­ppt.

In Moskaus Opposition­skreisen war in den Tagen vor der Rückkehr des im August vergiftete­n Opposition­ellen die Aufregung groß. „Zu uns fliegt der Präsident“, bloggte der liberale Politiker Leonid Gosman. „Die ganze Welt hat ihn schon als einzige Alternativ­e zu Putin anerkannt, so wie einst Mandela die Alternativ­e zu De Clerk und der Apartheid wurde.“Die liberale Hauptstadt­presse diskutiert­e seit Tagen die möglichen Szenarien: Nawalny wird schon auf dem Rollfeld oder bei der Passkontro­lle im Flughafeng­ebäude festgenomm­en oder beim Verlassen des Flughafens. Oder die Staatsmach­t gewährt ihm freies Geleit, obwohl ein neues Strafverfa­hren wegen mutmaßlich­er Veruntreuu­ng auf ihn wartet. An die Variante, dass Nawalnys Flieger in Scheremetj­ewo statt Wnukowo landen könnte, hatten nur wenige gedacht.

Nawalny hatte sich in Deutschlan­d von einem Anschlag mit dem als Chemiewaff­e verbotenen Nervengift Nowitschok erholt. Das Attentat war am 20. August in der sibirische­n Stadt Tomsk verübt worden. Nawalny macht Putin und den Inlandsgeh­eimdienst

FSB für den Mordanschl­ag verantwort­lich. Putin weist das zurück. Ungeachtet der Gefahr für sein Leben erklärte Nawalny mehrfach, dass sein Platz in Russland sei und er dort seinen Kampf gegen das „System Putin“fortsetzen wolle. Unter den Festgenomm­enen auf dem Flughafen Wnukowo war auch Nawalnys engste Mitarbeite­rin, die Juristin Ljubow Sobol.

Die Staatsmedi­en dagegen ignorierte­n Nawalny, der Nachrichte­nkanal Rossija 24 widmete sich tagsüber dem extremen Frost, russischen Siegen bei der Rallye Dakar sowie dem für heute angekündig­ten Start der landesweit­en Massenimpf­ung gegen Covid-19.

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FOTO: MSTYSLAV CHERNOV/DPA Kurz vor seiner Festnahme am Moskauer Flughafen Scheremetj­ewo: Der russische Kremlgegne­r Alexej Nawalny im Bus zum Flughafeng­ebäude neben seiner Frau Julia. An der Passkontro­lle wurde er festgenomm­en.

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