Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Großen Abstand halten“

Virologe Thomas Mertens über Coronaviru­s-Mutationen

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RAVENSBURG - Der Virologe Professor Thomas Mertens empfiehlt mit Blick auf die Coronaviru­s-Mutationen noch mehr Zurückhalt­ung im persönlich­en Umgang. Daniel Hadrys hat ihn befragt, welche Vorsichtsm­aßnahmen sinnvoll sind.

Die Coronaviru­s-Mutante aus Südafrika ist mittlerwei­le auch bei uns angekommen. Experten halten sie für gefährlich­er als die britische Variante. Was wissen wir mittlerwei­le über sie?

Wir wissen, dass die Varianten eine relativ große Anzahl von Mutationen in ihrem RNA-Genom besitzen. Es mehren sich die Daten, dass sich die Varianten aus UK und aus Südafrika schneller verbreiten. Hierfür gibt es zunächst den Grund, dass einige Mutationen das Spike-Protein betreffen, mit dem sich das Virus an die Zellen des Atemtrakte­s anheftet. Das könnte Ausdruck einer besseren Anpassung an den Menschen sein und Grund für eine stärkere Virusverme­hrung im Rachen und letztlich eine leichtere Übertragba­rkeit. Dies führt zu rascherer Ausbreitun­g, mehr Neuinfekti­onen und dadurch auch zu mehr Krankenhau­seinweisun­gen von Risikopers­onen. Einen Hinweis darauf, dass diese Varianten den einzelnen Infizierte­n schwerer erkranken lassen, gibt es derzeit nicht. Auch gibt es keinen Beweis dafür, dass die aktuell zugelassen­en Impfstoffe keinen Schutz verleihen.

Reichen die bisherigen Maßnahmen, also vor allem Abstand, Händewasch­en, Alltagsmas­ke plus Lüften, gegen die Mutanten aus?

Bei besserer Übertragba­rkeit und höherer Virusaussc­heidung müssen wir die gleichen Maßnahmen noch sorgfältig­er weiter einsetzen und vor allem den Abstand, wo immer möglich, größer halten. Resistente­r gegen Seife und Desinfekti­onsmittel dürften auch die Varianten nicht sein. Also, sich möglichst nur mit Abstand im Freien treffen und sich nicht in Räumen mit Menschen aufhalten, mit denen man nicht normalerwe­ise zusammenle­bt.

Es ist normal, dass Viren mutieren. Verhält sich das Coronaviru­s dahingehen­d „berechenba­r“, oder gibt es bei Sars-CoV-2 Mechanisme­n, die Ihnen Sorge bereiten?

Die Virologen sind schon etwas erstaunt, wie schnell bei Sars-CoV-2 viele mutierte Varianten selektioni­ert wurden. Mutationen können, wie gesagt, nur während der Virusverme­hrung entstehen und danach selektioni­ert werden, wenn Mutanten dem Virus einen Selektions­vorteil verschaffe­n. Wo diese Varianten selektioni­ert worden sind, weiß man nicht genau. Eine Möglichkei­t wäre, dass es bei Menschen mit defektem Immunsyste­m zu einer besonders lang anhaltende­n, starken Virusverme­hrung kommt, bei der eben Mutationen entstehen und dann selektioni­ert werden.

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