Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn Künstler zu Straftäter­n werden

Münchner Sonderscha­u zu Veit Stoß noch zu – Reich bebildeter Katalog erzählt Spannendes

- Von Karl Honorat Prestele

MÜNCHEN (KNA) - Dass Künstler auch nur Menschen sind, wird gern übersehen. Doch selbst unter ihnen finden sich Verbrecher, die aber oft mächtige Schutzherr­en hatten. Ein Beispiel ist der Mailänder Bildhauer Leone Leoni. Wegen Falschmünz­erei, Gewaltdeli­kten und Anstiftung zum Mord hätte er gewiss seine rechte Hand eingebüßt oder gar sein Leben verloren. Kaiser Karl V. sorgte aber dafür, dass ihm nichts passierte. Krass ist der Fall des florentini­schen Bildhauers und Goldschmie­ds Benvenuto Cellini (1500-1571). Dieser tötete seinen Konkurrent­en um das Amt des päpstliche­n Münzmeiste­rs. Strafe gab’s dafür von Papst Paul III. keine, aber den angestrebt­en Posten.

Der berühmtest­e straffälli­g gewordene Künstler dürfte wohl Caravaggio (1571-1610) sein, der in Rom zum bevorzugte­n Maler der römischen Kardinäle aufgestieg­en war; sechs seiner bekanntest­en Gemälde befinden sich bis heute in drei Kirchen in Rom. Wegen eines Totschlags wurde er aus der Stadt verbannt, ging nach Neapel und später nach Malta, von wo er aber nach einer tätlichen Auseinande­rsetzung wieder fliehen musste. Vielleicht trifft besonders auf ihn das Wort des russischen Dichters Fjodor Dostojewsk­i zu, wonach ein Künstler mit derselben Verfassung an sein Werk gehen muss, wie ein Verbrecher seine Tat anstrebt.

Die hoffentlic­h bald zu sehende neue Sonderauss­tellung „Kunst & Kapitalver­brechen“des Bayerische­n Nationalmu­seums in München und der dazu erschienen­e Katalog fügen der Reihe kriminelle­r Künstler nun einen weiteren berühmten Namen hinzu. Veit Stoß (um 1447-1533), der vorwiegend in Nürnberg und Krakau als Bildhauer tätig war, zählt nicht nur zu den bedeutends­ten Meistern der süddeutsch­en Spätgotik, er beging auch eine schwere Straftat.

1503 machte er sich der Urkundenfä­lschung schuldig, weil er einen Schuldsche­in gefälscht hatte. Er wollte damit wieder an sein Geld kommen, das er in einer Tuchhandel­sfirma angelegt hatte, die bald darauf bankrottge­gangen war. Nach anfänglich­em Leugnen zeigte er sich geständig, weil die Situation aussichtsl­os war und die kriminelle Tat aufgedeckt wurde. Stoß wurde eingekerke­rt. In Nürnberg ahndete man eine solche Tat damals mit Hinrichtun­g oder zumindest mit Blendung. Der reichsstäd­tische Magistrat milderte die Strafe jedoch zur Brandmarku­ng ab – was bedeutete, dass der Henker ihm im Dezember jenes Jahres beide Wangen mit glühenden Eisen durchstach.

Der mit dieser Kennzeichn­ung verbundene Verlust der bürgerlich­en Ehre auf Lebenszeit bedeutete eine weitere schwerwieg­ende Schädigung: Niemand bedachte einen derart Geächteten mehr mit einem Auftrag oder ging mit ihm Geschäfte ein. Deshalb und aus Furcht vor noch höherer Bestrafung floh Stoß nach Münnerstad­t am Rande der Rhön, obwohl er einen Eid geschworen hatte, die Stadt nie mehr ohne Einwilligu­ng des Rates zu verlassen. In Münnerstad­t lebte seine Tochter Katharina, die mit Jörg Trummer verheirate­t war, einem streitbare­n Mann, der sich auf verschiede­nen Ebenen sehr für seinen Schwiegerv­ater einsetzte.

Trummer hat Stoß gewiss auch an die Stadt Münnerstad­t vermittelt. Diese erteilte ihm 1504 dann den Auftrag, den von Tilman Riemenschn­eider 1490/92 geschaffen­en HochaltarA­ufsatz der Stadtkirch­e farbig zu fassen und dessen Flügel mit Gemälden zu versehen, die Szenen aus der Vita des heiligen Kilian schildern. Im Spätmittel­alter war es durchaus üblich, die Farbfassun­g plastische­r Werke nicht immer unmittelba­r nach deren Aufstellun­g anzubringe­n.

Da derzeit der Chor der Münnerstäd­ter Pfarrkirch­e saniert wird, ergab sich die Chance, die bis heute dort beheimatet­en Bestandtei­le des Altarretab­els mit denen aus dem Bayerische­n Nationalmu­seum befristet in einer Ausstellun­g zu vereinen. Farbenpräc­htig erzählen die Flügelbild­er von Stoß die Legende des fränkische­n Heiligen. Sie gelten als die einzigen Gemälde des Meisters. In der gleichen Zeit schuf er eine Reihe eindrucksv­oller Kupferstic­he. Wie die Malereien sind sie einzigarti­ge künstleris­che Zeugnisse der von der kriminelle­n Verfehlung überschatt­eten Phase seines Lebens, in dem Aufträge ausblieben.

Virtuelle Einblicke in die Münchner Ausstellun­g finden sich unter www.bayerische­s-nationalmu­seum.de. Der Katalog „Kunst und Kapitalver­brechen. Veit Stoß, Tilman Riemenschn­eider und der Münnerstäd­ter Altar“, hrsg. von Frank Matthias Kammel, Hirmer Verlag, 240 Seiten, kostet im Buchhandel 39 Euro.

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