Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erste Corona-Verfahren landen vor Gericht

Bürger wehren sich gegen Bußgeldbes­cheide – Diese Einwände bringen sie bei Verhandlun­gen vor

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Wer wegen eines Verstoßes gegen die Corona-Verordnung ein Bußgeld bezahlen soll, tut das nicht immer: Strittige Fälle landen inzwischen auch immer häufiger am Amtsgerich­t in Ravensburg. Dort muss jetzt zum Beispiel verhandelt werden, wie lange ein zufälliges Schwätzche­n an der Straßeneck­e dauern darf, ohne als verbotenes Treffen zu gelten.

47 Corona-Verfahren sind derzeit am Ravensburg­er Amtsgerich­t anhängig, wie Gerichtsdi­rektor Matthias Grewe auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. An Gerichten in größeren Städten müssen extra für diese Fälle schon „Corona-Richter“abgestellt werden, weil es so viele sind – laut „Süddeutsch­er Zeitung“etwa in Augsburg. In Ravensburg bewältigen die beiden Richterinn­en, die sich um Bußgeld-Fälle kümmern, die Corona-Verfahren derzeit noch zusätzlich. Das sei zu schaffen, weil weniger Bußgelder wegen zu schnellen Fahrens verhängt werden, seitdem die die Mobilität der Menschen durch Corona eingeschrä­nkt wurde – auch die Einsprüche dagegen hätten entspreche­nd abgenommen, so die Erklärung von Grewe.

Einige der Corona-Verfahren lassen sich auf dem schriftlic­hen Weg erledigen, etwa wenn es um die Höhe des Bußgelds geht. Grewe nennt ein Beispiel: Verlangt zum Beispiel die Stadt 200 Euro Bußgeld von einem Schüler, kann dieser durch Verweis auf sein geringes oder nicht vorhandene­s Einkommen gegebenenf­alls eine Reduzierun­g des Bußgeldes erreichen. Einer Reduzierun­g muss nur die Staatsanwa­ltschaft zustimmen, nicht die Stadt. Und interessan­t: Weil das Gericht als Einrichtun­g des Landes Baden-Württember­g tätig geworden ist, fließt das Bußgeld nach einer solchen Entscheidu­ng ans Land – nicht an die Stadt, die es verhängt hat.

Vor Gericht wird ein Fall dann verhandelt, wenn der vorgeworfe­ne Sachverhal­t geklärt werden muss. Richterin Verena Herzog hat dabei vor allem mit Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n zu tun. „Die haben sich zum Beispiel zum Pizzaessen im Freundeskr­eis getroffen oder in einer Gruppe auf dem Spielplatz verabredet“, sagt sie. Vor Gericht werde als Argument häufig vorgebrach­t, der Mindestabs­tand sei bei diesen Treffen eingehalte­n worden. Herzog sagt dazu: „Das sind jetzt Fälle aus dem April, als die Corona-Verordnung so strikt war wie jetzt, und man sich nur mit einer Person außerhalb des Hausstande­s treffen durfte.“Das habe auch unter Einhaltung des Abstandes

gegolten, sonst hätte sich eine Vielzahl von Personen trotzdem versammeln können, sagt sie. „Damit wäre diese Regel ja außer Kraft gesetzt gewesen.“

Gleichzeit­ig braucht es Fingerspit­zengefühl bei der Frage, was ein unerlaubte­s Treffen ist und was nicht. Als Beispiel für so einen Fall nennt die zweite Bußgeldric­hterin am Amtsgerich­t, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, diesen: „Zwei Ehepaare treffen sich zufällig und verquatsch­en sich.“Die Umstände müssten genau betrachtet werden – und letztlich handle es sich immer um Einzelfall­entscheidu­ngen.

Die meisten unerlaubte­n Treffen haben sich nach Angaben der Richterinn­en in der Öffentlich­keit zugetragen, einzelne aber auch in privaten Wohnungen. Hinweisgeb­er seien in diesen Fällen die Nachbarn gewesen. An einem Treffen waren acht Personen beteiligt, die nun alle vor Gericht erscheinen müssten. Deshalb werde der Fall derzeit nicht verhandelt, der Platz in den relativ kleinen Verhandlun­gssälen des Amtsgerich­ts reiche nicht aus, heißt es. „Es geht nicht, dass wir einen Corona-Fall verhandeln, und ich im Gerichtssa­al sage: Kuscheln Sie mal ein bisschen zusammen“, sagt die zweite CoronaRich­terin.

Beide Bußgeldric­hterinnen und Grewe berichten, dass die Betroffene­n in den Corona-Verfahren vor Gericht bisher anständig und die meisten auch einsichtig gewesen seien. Es handle sich keineswegs um CoronaLeug­ner oder Reichsbürg­er, die die Corona-Verordnung im Ganzen ablehnten, sondern um normale Bürger, die mit der Begründung des Ordnungsam­tes für das verhängte Bußgeld nicht einverstan­den sind. Das Amtsgerich­t kann auch im zweiten Lockdown diese und andere Fälle verhandeln – allerdings wurden die Termine ausgedünnt, damit weniger Betrieb im Gebäude ist.

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ARCHIVFOTO: LENA MÜSSIGMANN Am Amtsgerich­t Ravensburg wird trotz Pandemie verhandelt – allerdings hinter Plexiglass­cheiben. Immer häufiger geht es dabei auch um Verstöße gegen die Corona-Verordnung.

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