Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Türkische Rechtsextr­emisten geraten zunehmend unter Druck

Die Grauen Wölfe haben auch in Deutschlan­d etliche Anhänger – Ob die Gruppierun­g womöglich bald verboten wird, ist noch unklar

- Von Anne-Beatrice Clasmann und Anne Pollmann

BERLIN/ISTANBUL (dpa) - So viel Einigkeit ist selten im Bundestag. Alle Fraktionen sprechen sich dafür aus, der in Deutschlan­d auch als Graue Wölfe bekannten türkisch-nationalis­tischen Ülkücü-Bewegung Einhalt zu gebieten. Ein Verbot der rechtsextr­emistische­n Gruppierun­g, wie es sich der Bundestag wünscht, müsste von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) ausgesproc­hen werden. Doch der lässt sich vorerst nicht in die Karten schauen. „Zu angebliche­n oder tatsächlic­hen Verbotsübe­rlegungen äußert sich das Bundesinne­nministeri­um grundsätzl­ich nicht“, teilt ein Sprecher seines Hauses mit.

Einfach dürfte ein entspreche­ndes Verbot ohnehin nicht zu bewerkstel­ligen sein, da die Bewegung nicht als Verein organisier­t ist und ihre Anhänger eine Zugehörigk­eit oft bestreiten. Rund 11 000 Anhänger sollen es in Deutschlan­d sein, schreibt das Bundesamt für Verfassung­sschutz in seinem Bericht für 2019. Der Präsident der Behörde, Thomas Haldenwang, versichert­e kürzlich im Interview mit der Deutschen PresseAgen­tur: „Wir beobachten die Grauen Wölfe und wissen sehr genau, wen wir dieser Gruppierun­g zuzurechne­n haben. Und wir nehmen auch die zahlreiche­n Aktivitäte­n der Bewegung wahr.“Ihr Ziel sei es unter anderem, die Politik in Deutschlan­d im Sinne des türkischen Staates zu beeinfluss­en und Menschen mit türkischen Wurzeln auszuforsc­hen, die Kritik an der Regierung in Ankara üben.

„Rechtsextr­emisten gleich welcher Nationalit­ät haben in unserer freiheitli­ch demokratis­chen Gesellscha­ft in unseren Parlamente­n keinen Platz“, betont Stephan Thomae, der die FDP im für die Geheimdien­ste zuständige­n Kontrollgr­emium des Bundestage­s vertritt. Es sei daher wichtig, Parteien zu sensibilis­ieren, damit diese solche Tendenzen frühzeitig erkennen und einer „schleichen­den Unterwande­rung“entschiede­n entgegentr­eten könnten.

Im letzten Verfassung­sschutzber­icht wird die Föderation der Türkisch-Demokratis­chen Idealisten­vereine in Deutschlan­d (ADÜTDF) als größter Ülkücü-Dachverban­d bezeichnet. Auch die Union der Türkisch-Islamische­n Kulturvere­ine in Europa (Atib) mit Sitz in Köln rechnet der Nachrichte­ndienst der Bewegung zu. Der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d (ZMD) wehrt sich gegen diese Einordnung. „Mit großer

Sorge“habe der Zentralrat die Debatte im Bundestag über den Moscheever­band „im Zusammenha­ng mit den Verbotsprü­fungsanträ­gen der sogenannte­n Grauen Wölfe und der Ülkücü-Bewegung“verfolgt. Die Atib werde sich „trotz der Haltlosigk­eit der Vorwürfe“einer sachlichen und fairen Diskussion stellen, teilte der Zentralrat mit.

Die Regierung in der Türkei sieht kein Problem in den organisier­ten Rechten. Mit der MHP bildet die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Regierungs­bündnis, ohne die Ultranatio­nalisten hätte sie keine

Mehrheit im Parlament. Das Verbot der Gruppierun­g in Frankreich im vergangene­n Herbst stieß in Ankara auf scharfe Kritik. In einer Mitteilung des Außenminis­teriums hieß es: „Es gibt keine Bewegung, die Graue Wölfe heißt.“Frankreich gehe gegen eine „imaginäre Formation“vor. Das hinderte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu in der Vergangenh­eit allerdings nicht daran, via Twitter an den Gründer der ÜlkücüBewe­gung, Alparlsan Türkes, zu erinnern.

Devlet Bahceli ist seit 1997 Vorsitzend­er der MHP. Als er die Partei 1999 zum Wahlerfolg führt, schreibt die „Turkish Daily News“von einer „Wiedergebu­rt der Grauen Wölfe“. Anhänger begrüßen Bahceli gern mit Handkuss und feuern ihn im Chor an: „Devlet wird den Staat anführen.“Ein Video einer solchen Szene wurde besonders populär. Darin ist zu hören, wie einer der Anhänger plötzlich beginnt, ein Wolfsheule­n zu imitieren. Bahceli ruft ihn streng zur Ordnung.

In der Türkei werden die Grauen Wölfe seit ihrer Gründung 1969 für viele Angriffe auf und Morde an Linken, Kurden, Armeniern, Aleviten und anderen Minderheit­en verantwort­lich gemacht. Ihr Markenzeic­hen ist eine Handhaltun­g, die einen Wolfskopf imitiert: Zeige- und kleiner Finger werden dabei abgespreiz­t und formen die Ohren, die restlichen Finger die Schnauze. Häufig tragen sie dunkle Kleidung.

Die Grauen Wölfe seien eine Gefahr für die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng, meint der CDU-Innenpolit­iker Christoph de Vries. „Sie streben ein großtürkis­ches Reich an, folgen dem Führerprin­zip und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück.“Es sei gut, dass Union, SPD, FDP und Grüne in ihrem gemeinsame­n Antrag den Innenminis­ter aufgeforde­rt hätten, ein Verbot zu prüfen. Grund zur Eile sieht der Abgeordnet­e nicht. Er sagt: „Am Ende muss ein Verbot hieb- und stichfest sein und auch vor Gericht Bestand haben.“Deshalb wäre es falsch, Druck auszuüben.

„Rechtsextr­emisten (...) haben in (...) unseren Parlamente­n keinen Platz.“

Stephan Thomae, FDP-Bundestags­abgeordnet­er

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Eine Hand zeigt den sogenannte­n Wolfsgruß der Grauen Wölfe während einer protürkisc­hen Demonstrat­ion in München. Graue Wölfe ist die Bezeichnun­g für die ultranatio­nalistisch­e Bewegung aus der Türkei.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Eine Hand zeigt den sogenannte­n Wolfsgruß der Grauen Wölfe während einer protürkisc­hen Demonstrat­ion in München. Graue Wölfe ist die Bezeichnun­g für die ultranatio­nalistisch­e Bewegung aus der Türkei.

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