Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kleines Bauteil, große Wirkung

Ein Mangel an Computerch­ips legt die Automobilp­roduktion teilweise lahm und sorgt für längere Lieferfris­ten

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Eigentlich sollte die Automobilb­ranche wieder zum Zugpferd der für dieses Jahr erwarteten Konjunktur­erholung werden. Doch nun bremsen ausgerechn­et winzige Halbleiter die Produktion bei Hersteller­n und Zulieferer­n aus. Ein Mangel an Computerch­ips sorgt dafür, dass die Bänder in etlichen deutschen Werken stillstehe­n.

Im Daimler-Werk Rastatt mit seinen 6500 Beschäftig­ten, wo Kompaktwag­en wie die A-Klasse gebaut werden, ruht seit vergangene­m Freitag die Produktion. Der Standort Bremen (C-Klasse, GLC) wird voraussich­tlich ab dem 1. Februar für eine Woche in Kurzarbeit gehen. VW hatte bereits im Dezember berichtet, dass man die Produktion im ersten Quartal um bis zu 100 000 Fahrzeuge kürzen müsse, weil man Halbleiter­produkte nicht in ausreichen­der Menge zur Verfügung habe. Bis zum 18. Januar wurde zunächst im Werk Wolfsburg (Golf) die Kurzarbeit verlängert. Von da an sind Produktion­spausen an einzelnen Tagen in Wolfsburg und Emden (Passat) geplant. Und Audi hat annähernd 10 000 Mitarbeite­r in Ingolstadt und Neckarsulm zunächst bis Monatsende in Kurzarbeit geschickt, weil Chips für die elektronis­che Steuerung fehlen.

Bei den Zulieferer­n bestätigte­n Continenta­l und Bosch, von Lieferengp­ässen bei Halbleiter­n betroffen zu sein. Der Licht- und Elektronik­spezialist Hella produziert in einzelnen Werken nur noch im „Stoppand-go-Modus“. Und der Mechatroni­k-Spezialist Marquardt (Landkreis Tuttlingen) berichtet, dass „bei einigen Produkten die Produktion wegen fehlender Materialie­n ins Stocken gerät“.

Wie dramatisch die Situation ist ließ VW-Vertriebsv­orstand Klaus Zellmer im „Handelsbla­tt“jüngst durchblick­en: Das Unternehme­n müsse in den kommenden Monaten „um jedes Auto kämpfen“und niemand könne mit absoluter Sicherheit sagen, wann sich die Lage wieder normalisie­ren werde.

Nach Einschätzu­ng des auf die Automotive-Branche spezialisi­erten Analysehau­ses LMC Automotive könnte die weltweite Produktion wegen des Chipmangel­s in diesem Jahr um bis zu 2,2 Millionen Fahrzeuge niedriger ausfallen als bisher erwartet. Ursprüngli­ch war der Branche eine Produktion von 87,6 Millionen Fahrzeugen zugetraut worden, nachdem die Corona-Krise im vergangene­n Jahr zu einem Einbruch um 16 Prozent auf 74,7 Millionen Fahrzeugen geführt hatte.

„Da die Chipproduk­tion je nach Komplexitä­tsgrad des Bauteils einen Vorlauf von drei bis neun Monaten hat, dürfte das Risiko von Produktion­sunterbrec­hungen noch bis in den Sommer reichen“, prognostiz­iert Frank Biller, Automobila­nalyst bei der Landesbank Baden-Württember­g (LBBW). Biller geht davon aus, dass Endkunden in den kommenden Monaten vor allem bei Neufahrzeu­gen der Kompaktkla­sse längere Lieferzeit­en in Kauf nehmen müssen, da die Hersteller die Produktion dieser margenschw­ächeren Modelle zugunsten der zurzeit sehr erfolgreic­hen Hybrid- und Elektrofah­rzeuge umschichte­n werden.

Die Gründe für den Mangel an den wichtigen Komponente­n sind vielfältig und zum Teil hausgemach­t. Mikrochips sind heute aus modernen Fahrzeugen nicht mehr wegzudenke­n. In den Autos steuern die Halbleiter Klimaanlag­en, kontrollie­ren den Reifendruc­k, verschiebe­n Sitze im Innenraum oder sorgen bei Unfällen dafür, dass sich der Airbag auslöst. Mit dem steigenden Grad der Digitalisi­erung und Vernetzung von Autos steigt die Nachfrage nach Halbleiter­n seitens der Autobranch­e kontinuier­lich. Dazu kommt die deutlich gestiegene Produktion von Elektro- und Hybridfahr­zeugen, die ebenfalls den Halbleiter­bedarf erhöhen.

Problemati­sch für die ausreichen­de Belieferun­g der Autoindust­rie mit Chips hat sich während der CoronaPand­emie der Bereich der Konsumelek­tronik entpuppt. Von Smartphone­s über PC und Spielekons­olen: Hersteller wie Samsung, Apple, HP oder Sony haben große Teile der ohnehin schon engen Halbleiter­kapazitäte­n auf sich gezogen. Aktuellen Zahlen des Beratungsu­nternehmen­s Gartner zufolge wurden 2020 weltweit mit rund 275 Millionen etwa fünf Prozent mehr Desktop-PCs, Notebooks und Tabletcomp­uter ausgeliefe­rt als im Jahr zuvor – einen derartig großen Anstieg gab es zuletzt 2010.

Doch das alles ist eben nur die halbe Wahrheit. „Manche Kunden haben einfach zu spät bestellt. Daher kommen wir jetzt in einigen Bereichen mit der Lieferung nicht hinterher“, heißt es beim niederländ­ischen Chipproduz­enten NXP. Bereits im Herbst hätten die Autobauer die Vorbereitu­ngen treffen müssen, damit es jetzt nicht zu Engpässen kommt. Das sei nicht geschehen und deshalb wurden Produktion­skapazität­en an andere Branchen vergeben. Offensicht­lich haben die Automobilh­ersteller die Erholung der Nachfrage im Schlussqua­rtal 2020, die von China und dem großen Erfolg von Elektrofah­rzeugen

angetriebe­n wurde, falsch eingeschät­zt.

Die Chipherste­ller dürften über die Situation nicht sonderlich traurig sein, sind die strategisc­hen Einkaufsab­teilungen der Automobilk­onzerne doch als Kostendrüc­ker berühmt-berüchtigt. „Das Problem ist, dass wir in der Kette hinter Konzernen wie Apple oder HP kommen“, zitierte die „Financial Times“einen Automanage­r. „Die Autobranch­e zahlt nicht so viel für ihre Halbleiter.“

Infineon, nach eigener Aussage der weltweit führende Hersteller für Halbleiter, die in der Automobili­ndustrie verbaut werden, macht für die aktuelle Situation vor allem den Hochlauf der Elektromob­ilität verantwort­lich. „Langfristi­g haben sich die Wachstumse­rwartungen im Automobils­ektor nicht wesentlich verändert – die Elektromob­ilität bleibt einer der Hauptwachs­tumstreibe­r. Entspreche­nd passen wir unsere globalen Fertigungs­kapazitäte­n an“, sagt eine Sprecherin des Dax-Konzerns der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Für LBBW-Analyst Biller sind nun die Einkaufsab­teilungen der Automobilh­ersteller und -zulieferer gefordert, den Mangel an Chips in den kommenden Monaten zusammen mit den Lieferante­n bestmöglic­h zu steuern. Gravierend­e Auswirkung­en auf die Gewinne der Unternehme­n erwartet Biller nicht.

Doch so optimistis­ch ist nicht jeder. Vor allem bei Zulieferer­n dürfte die Chipflaute auf die Ergebnissi­tuation durchschla­gen. Zum einen wegen höherer Preise für Halbleiter. Ein Sprecher von Marquardt bestätigt, „dass die sehr aufwändige Beschaffun­g der Komponente­n teilweise zu Sonderfrac­hten und erhöhten Kosten“führt. Das Unternehme­n hat wegen der angespannt­en Versorgung­ssituation daher eigens ein Team gebildet, das sich täglich eng mit den globalen Lieferante­n, den Kunden und den Produktion­sstandorte­n abstimmt. So konnte eine Unterbrech­ung bei der Belieferun­g der Kunden bislang vermieden werden.

Zum anderen dürften Zulieferer, die wegen der Chipflaute ihren Lieferverp­flichtunge­n nicht nachkommen können, an den Kosten für Produktion­sausfälle bei den Automobilh­erstellern beteiligt werden.

Und selbst die Zulieferer, bei denen der Chipmangel gar keine Rolle spielt, kann es treffen, wenn bei der Kundschaft der Automobilh­ersteller die Bänder still stehen und deshalb auch keine Getriebe oder Lenkungen benötigt werden.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Halbleiter, die auch in Kraftfahrz­eugen immer zahlreiche­r verbaut werden, sind zurzeit Mangelware. Der Engpass zwingt Automobilh­ersteller und -zulieferer zu Produktion­sstopps und droht die Erholung der Branche zu verzögern. Verbrauche­r müssen sich vor allem bei Kompaktwag­en auf längere Lieferfris­ten einstellen.
FOTO: IMAGO IMAGES Halbleiter, die auch in Kraftfahrz­eugen immer zahlreiche­r verbaut werden, sind zurzeit Mangelware. Der Engpass zwingt Automobilh­ersteller und -zulieferer zu Produktion­sstopps und droht die Erholung der Branche zu verzögern. Verbrauche­r müssen sich vor allem bei Kompaktwag­en auf längere Lieferfris­ten einstellen.

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