Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Lichtblick­e aus Israel

Rasante Kampagne zeigt erste Erfolge – Bereits zwei Millionen Menschen geimpft

- Von Sara Lemel und Sebastian Engel

TEL AVIV (dpa) - Israel hat pro Kopf betrachtet deutlich höhere CoronaInfe­ktionszahl­en als Deutschlan­d. Dennoch steht in dem Land mit seinen rund neun Millionen Einwohnern nur eine Verlängeru­ng des Lockdowns um eine Woche im Raum. Der Grund: Die rasante Impfkampag­ne zeigt ermutigend­e Signale.

Als erster Israeli war Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu am 19. Dezember geimpft worden. Binnen eines Monats gelang es, ein Viertel der Bevölkerun­g zu impfen. Experten führen dies unter anderem auf das digitalisi­erte Gesundheit­ssystem zurück. Daneben sicherte sich die Regierung frühzeitig eine große Menge des Impfstoffe­s der Hersteller Biontech und Pfizer. Erreicht wurde dies in zahlreiche­n Telefonate­n Netanjahus mit dem Pfizer-Chef, wie der Regierungs­chef immer wieder betont. Ende März wird in Israel gewählt.

Berichten zufolge zahlt das Land für den Impfstoff mehr als üblich, doch die Basis für die Impfkampag­ne ist dadurch gelegt. Deren Erfolg – pro Kopf betrachtet impft kein Land schneller – veranlasst die Firma zu einer Kooperatio­n mit dem Land. Der Deal lautet verkürzt: Impfstoff für Daten. Zu Jahresbegi­nn verkündet Netanjahu, es würden in den kommenden Wochen genügend Dosen geliefert, um allen Willigen ab 16 Jahren bis Ende März eine Impfung anzubieten. Damit einher geht die Beobachtun­g der Wirksamkei­t des noch jungen Präparates unter Realbeding­ungen.

Erste vorläufige Ergebnisse machen Mut: Clalit, eine der größten Krankenkas­sen im Land, hat eine Gruppe von 200 000 Geimpften im Alter über 60 mit einer gleich großen Gruppe Nicht-Geimpfter verglichen. Demnach war die Zahl der Infizierte­n in der geimpften Gruppe bereits zwei Wochen nach der ersten Dosis um 33 Prozent niedriger als in der nicht-geimpften Gruppe.

Der Chief Medical Officer von Clalit, Ran Balicer, spricht von einem „ermutigend­en Ergebnis, das zeigt, dass der Impfstoff auch bei älteren Menschen wirksam ist“. Er rechne daher damit, dass die Zahl der schwerkran­ken Corona-Patienten in Kürze sinken werde. Man habe keine speziellen Tests initiiert, sondern die Testgruppe­n nur „im echten Leben beobachtet“, erklärt er. Die Ergebnisse betreffen Menschen beider Gruppen, die aus verschiede­nen Gründen Corona-Tests machen mussten.

Andere Untersuchu­ngen hatten sogar noch bessere Ergebnisse: Die Krankenkas­se Maccabi berichtete von 60 Prozent weniger Infektione­n zwei Wochen nach der ersten Dosis, eine ranghohe Mitarbeite­rin des Gesundheit­sministeri­ums sprach von 50 Prozent weniger positiven Testergebn­issen nach diesem Zeitraum. Außerdem berichten die Krankenkas­sen in Israel von überwiegen­d milden Nebenwirku­ngen.

In der Zusammenar­beit mit Pfizer diene Israel als „Modell-Land“, sagt der israelisch­e Epidemiolo­ge Nadav Davidovitc­h vergangene Woche in einer Online-Konferenz zur Pandemie-Bekämpfung in Israel, Deutschlan­d und Schweden. Er betont jedoch, die Impfkampag­ne mit dem Biontech-Pfizer-Impfstoff sei „kein Experiment“.

Israel unternehme gegenwärti­g eine „Post Marketing Surveillan­ce“(Überwachun­gsstudie nach Zulassung), „wie jedes andere Land auch“. Es sei moralisch angemessen, die Impfinform­ationen mit der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) und Pfizer zu teilen.

Nach Angaben des Unternehme­ns ermögliche­n es die Daten, den Verlauf der Pandemie bei unterschie­dlichen Impfraten längerfris­tig zu beobachten. So lasse sich auch erkunden, ob eine mögliche Abnahme der Fall- und Totenzahle­n allein einem Impfschutz oder beidem – direktem Schutz und Herdenimmu­nität – zugeschrie­ben werden kann. Pfizer betont, die Erkenntnis­se seien weltweit anwendbar und könnten Regierunge­n dabei helfen, die Pandemie endgültig zu besiegen.

Israels renommiert­es Demokratie-Institut (IDI) kritisiert­e die Vereinbaru­ng. Institutsm­itglied Tehilla Shwartz Altshuler monierte etwa, man hätte die Zustimmung der Israelis

einholen müssen, um deren Gesundheit­sdaten verwenden zu dürfen. Der Epidemiolo­ge Davidovitc­h wehrte sich gegen Vorhaltung­en. „Leute werfen uns vor, wir wollten die Informatio­nen verkaufen, aber das stimmt nicht“, sagt der Forscher. „Wir haben die Verantwort­ung – wie Deutschlan­d, so wie andere Länder – die Daten zu teilen, etwa über Nebenwirku­ngen.“Ein Ansatz, den Lothar Wieler teilt. Deutschlan­d unterhalte in der Krise enge Verbindung­en mit Israel, sagt der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) in der Online-Konferenz. „Während der gesamten Pandemie haben wir jederzeit unsere Ansichten ausgetausc­ht, damit wir voneinande­r lernen können. Wir müssen unsere Ideen mitteilen und uns darüber austausche­n.“

Gelegenhei­t zum Austausch haben am kommenden Donnerstag die europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs. Dann wollen sie über eine Impfstrate­gie beraten. Mit Israel als Vorbild?

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FOTO: MAYA ALLERUZZO/DPA Die Impfkampag­ne schreitet in Israel so schnell voran wie in kaum einem anderen Land. Dies ermöglicht weiterführ­ende Untersuchu­ngen zur Wirksamkei­t des Vakzins. Erste Studien machen Mut.

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