Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Das kleinste Stahlwerk der Welt steht in Amtzell
Wie das Amtzeller Start-Up Kolibri Metals seinen Platz an der Weltspitze erobert
AMTZELL - Dem 3D-Druck gehört die Zukunft und die Firma Kolibri Metals GmbH gestaltet sie von Amtzell aus mit. Seit knapp zwei Jahren forscht hier ein kleines Team an der Weiterentwicklung des 3D-Druckverfahrens und der Materialzusammensetzung für immer härtere und haltbarere Stähle. Mittlerweile ist man weltweiter Vorreiter dieser Technologie.
„Unser Ziel war es, den härtesten Stahl der Welt zu entwickeln. Das ist uns gelungen, aber der Weg war steinig“, sagt Axel Wittig, CEO und Mehrheitsgesellschafter von Kolibri Metals GmbH. Zusammen mit Maximilian Bronner hat er das innovative Start-Up 2018 in Amtzell gegründet. In direkter Nachbarschaft der Webo GmbH, ebenfalls eines von Axel Wittigs Unternehmen, entwickelt ein kleines Team innovativer und kreativer Köpfe Möglichkeiten, die Härte und Standzeit von gedrucktem Stahl zu erhöhen. Erster Kunde und Nutznießer dieser Innovation ist das Schwesterunternehmen Webo.
Der Werkzeughersteller wurde zehn Jahre vor Kolibri Metals von Ingenieur Axel Wittig in Amtzell gegründet. Das Unternehmen hat sich den Werkzeugbau mit der Spezialisierung auf Metallumformungsprozesse auf die Fahnen geschrieben. Unter anderem in der komplexen Welt der Getriebeindustrie ist man zu Hause. Besonders in der Antriebstechnik, beispielsweise bei Doppelkupplungen, Automatikgetrieben oder Elektroantrieben müssen Stähle mit speziellen Eigenschaften umgeformt werden. 2017 entschied man sich daher, sich mit dem 3D-Druck von Stahl zu befassen, um auf diese Weise die formgebenden Einsätze und Schneidewerkzeuge günstiger, langlebiger und schneller herstellen zu können.
Der zu diesem Zweck beschaffte 3D-Drucker war allerdings nur in der Lage, herkömmlichen Werkzeugstahl zu drucken. „Wir haben schnell festgestellt, dass wir etwas anderes brauchen. Der herkömmliche Werkzeugstahl war für unsere Zwecke einfach zu weich“, schaut Axel Wittig heute zurück. Also wurde im gleichen Jahr die Kolibri Metals GmbH als eigenständiges Unternehmen gegründet. Ihr Ziel: Die Entwicklung des härtesten druckbaren Stahls der Welt. Keine zwei Jahre, unzählige Arbeitsstunden in der Grundlagenforschung und ein kleines Vermögen später, wurde Kolibri Metals im Herbst 2020 für genau diese Errungenschaft mit dem Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Fünf Ingenieure zählt das StartUp, alles „kreative Köpfe“, wie Wittig gerne betont. Nach dem Prinzip „Versuch macht klug“, stellten sie Tag für Tag ihr eigenes Stahlpulver für den Druck her und begannen es mit Karbiden, Oxyden, Kohlenstoff, Kupfer, Graphit oder sogar Diamanten zu mischen. „Aber selbst als wir das Stahlpulver dann hatten, waren die Endprodukte oftmals immer noch zu spröde und haben beispielsweise Risse bekommen. Wir mussten also auch unsere eigenen Parameter entwickeln“, erklärt Martin Hübner, der Metallurge von Kolibri, die Entwicklungsproblematik. Also wurde eigens ein Labor aufgebaut, in dem jeder einzelne Versuch auf molekularer Ebene untersucht wurde. Eine arbeits- und kostenintensive Phase, die Axel Wittig nach eigener Aussage aber gerne in Kauf genommen hat, weil er das sichere Gefühl hatte, dass am Ende ein Ergebnis stehen würde, mit dem man sich auf dem weltweiten Markt positionieren kann.
Um grundsätzlich ein Objekt aus Stahl drucken zu können wird das Stahlpulver geschmolzen und in winzige Partikel „verdüst“. Diese werden im Drucker Schicht für Schicht aufgetragen und anschließend „verlasert“. Um den perfekten Stahl für jede Anwendung drucken zu können müssen aber neben dem Pulver auch die Parameter des Drucks, sowie der Drucker selbst perfektioniert werden.
Die Parameter fürs Drucken bestehen unter anderem aus Temperatur, Schichtdicke, Partikelgröße, Gasstrom, Intensität und Bewegungsgeschwindigkeit des Laserstrahls und vielen mehr. Rund 200 Parameter müssen für ein optimales Ergebnis perfekt aufeinander abgestimmt sein. Denn allgemein gilt: je härter ein Stahl ist, desto spröder ist er auch. Zähere Stähle sind dann um Umkehrschluss schnell zu weich.
Nach eineinhalb Jahren Versuch und Irrtum gilt diese allgemeine Regel für das Kolibri-Team mittlerweile nicht mehr. „Wir sind an dem Punkt, dass wir die Zähigkeit mit Härte kombinieren können. Wir können herkömmliche Stähle kopieren, aber auch durch die patentierte Zumischung von beispielsweise Carbiden einen weicheren Stahl mit einer längeren Standzeit kreieren. Wir schaffen so das Optimum zwischen Zähigkeit und Härte“, freut sich Martin Hübner.
Auf diese Art und Weise kann Kolibri Metals von Amtzell aus Wünsche
von Kunden auf der ganzen Welt bedienen. Die Herstellung neuer Walzbacken, mit denen Gewinde an Schrauben gebracht werden, dauert bei Kolibri beispielsweise nur etwa eine Woche. Auf herkömmlichem Wege dauert es bis heute acht bis 13 Wochen. Zudem können spezielle Stahl-Designs, die exakt den Anforderungen der Kunden entsprechen, auch in kleinen Mengen hergestellt werden. „Damit sind wir einzigartig und wahrscheinlich das weltweit kleinste Stahlwerk“, beschreibt es der Ingenieur Axel Wittig.
Wie aber kommt das kleinste Stahlwerk der Welt gerade nach Amtzell? „Eigentlich ist es mittlerweile egal, wo man gründet“, sagt Wittig, viel wichtiger sei, dass man die benötigten Mitarbeiter findet. Die Nähe zu den Rohstoffen sei heute kein Argument mehr, viel eher seien es die Lebensqualität und der Freizeitwert, die sogenannten Softskills, auf die es heute ankommt. „Wir brauchen gute, innovative und kreative Köpfe und sie müssen sich wohlfühlen“, so Wittig. Und das tun sie hier in Oberschwaben, wo die Wohlfühlatmosphäre definitiv eine andere sei, als in den traditionellen Stahlhochburgen im Ruhrpott.
Und wie geht es jetzt weiter? Kolibri hat sich mittlerweile bei der Lösung von Spezialfällen einen Namen gemacht. Die Massenherstellung von mehreren tausend Teilen in der Woche steht jedoch gar nicht zur Debatte. „Wir sprechen von 50 Teilen in der Woche oder davon, dass uns jemand den Auftrag erteilt, für ein bestimmtes Teil ein besseres Material zu finden. Davon kann und wird die Kolibri in den nächsten Jahren leben“, erklärt Wittig. Die Lieferung von Stahlpulver, ganze Produktionslösungen oder die Ausarbeitung weiterer individualisierter Parameter wären weitere Geschäftsfelder. Denn mit dem, was man momentan produzieren kann, könne man selbstverständlich nicht den Weltmarkt beliefern. „Wir stehen an einem Scheideweg, in welche Richtung es künftig weitergehen soll.“
Prinzipiell hofft das Unternehmen daher darauf, dass ein Hersteller von 3D-Druckern, eine Serienmaschine entwickelt, die die vom Kolibri-Team entwickelten Parametereinstellungen erfüllen kann. „Bislang haben wir unsere Drucker eigenhändig modifiziert. Was wir jetzt brauchen sind einfachere und schnellere Geräte, damit wir die breite Masse erreichen können.“Damit würde man zwar die Konkurrenz einladen, sich an diesem Geschäftsmodell zu beteiligen, die weltweiten Patente auf die Zusammensetzung des Stahlpulvers und die Parametereinstellungen liegen aber natürlich weiterhin bei den Amtzellern.
Daher macht sich Axel Wittig beim Blick in die Zukunft auch keine größeren Sorgen. Schließlich dürfe man als Unternehmer ohnehin nie stillstehen und auf die kreativen Köpfe seiner Amtzeller Ideenschmiede könne er sich immer verlassen. „Eins ist klar: der 3D-Druck ist die Zukunft und wir werden dabei mitspielen. Wie genau, lässt sich noch nicht sagen. Dafür ist das Feld viel zu weitläufig. Und das ist gut so.“