Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Puzzeln – Meditation und Reise im Kopf
Zwei passionierte Ravensburger Puzzler erzählen von ihrer Begeisterung – Gefragtes Produkt in der Krise
- Das Puzzle ist in der Corona-krise zum neuen Star in den Wohnzimmern und Hobbyräumen aufgestiegen – auch in Ravensburg gibt es zahlreiche Fans dieser Freizeitbeschäftigung. Zum Internationalen Puzzletag, der am 29. Januar begangen wird, erzählen zwei passionierte Puzzler von ihrer Begeisterung – und ein Händler verrät, dass seltene Puzzlekäufe mit einer Art Sackkarre aus dem Laden transportiert werden müssen.
Der Ravensburger Baubürgermeister Dirk Bastin hat schon vor dem Lockdown gerne gepuzzelt. In einer immer schnelllebigeren Zeit entschleunige ihn dieses Hobby, wie er sagt. Während der Lockdowns sei für ihn außerdem wichtig geworden, nach Arbeitstagen, die seit Corona fast ausschließlich in der digitalen Welt stattfinden, etwas ganz anderes zu machen. „Dieses Begreifen, das Zusammenfügen, das hat für mich etwas Meditatives“, sagt Bastin. „Man kann sich in den vielen Teilen verlieren. Und wenn der Kopf dabei frei wird, kommen ganz neue Ideen. Das ist was Tolles.“Die meiste Zeit puzzelt Bastin alleine. Wenn das Werk schon fortgeschritten ist, mache seine Frau aber auch manchmal mit, dann unterhielten sie sich nebenbei.
Gepuzzelt wird im Hause Bastin am liebsten im Wohnzimmer, das Puzzle liegt dabei auf einer Platte, damit es bewegt werden kann. Bastin puzzelt am liebsten Kunstmotive, in diesem Fall eines des amerikanischen Pop-art-künstlers James Rizzi, und keines zwei Mal. Er verkaufe die Puzzles weiter.
Der beste Moment am Puzzeln ist für Bastin nicht die Vollendung des Werks. „Das Motiv am Ende bedeutet mir nicht so viel, das wird relativ schnell wieder abgeräumt“, sagt er. Der beste Moment für ihn sei der Start. „Die Packung öffnen und sich eine Strategie überlegen: Wie kann man das Puzzle im besten Fall bewältigen, das ist ja eine Herausforderung“, sagt Bastin. Im Lockdown hat er sich zum ersten Mal an ein Puzzle mit 5000 Teilen herangewagt, Maße des Werks: 1,50 mal 1 Meter.
Das größte Puzzle des Spieleherstellers Ravensburg hat gut 40 000 Teile und ist so schwer, dass es mit einer Art Sackkarre verkauft wird, damit die Kunden es überhaupt aus dem Laden transportieren können, wie Spielwarenhändler Jochen Fischinger aus Ravensburg erzählt. Er verkaufe es tatsächlich ab und zu, der Spielehersteller Ravensburger setzt laut einer Sprecherin weltweit mehrere Hundert davon im Jahr ab.
Allgemein sind bei Fischinger – in der Zeit, in der er seinen Laden offen haben durfte – im vergangenen Jahr so viele Puzzles über die Ladentheke gegangen wie noch nie. Das deckt sich mit den Zahlen der Firma Ravensburger, die 2020 insgesamt 28 Millionen Puzzles in über 70 Länder verkauft hat, was rund 32 Prozent mehr ist als im Vorjahr, wie am Mittwoch in der Bilanzpressekonferenz bekanntgegeben wurde (die SZ berichtete).
Erfunden wurde das Puzzle nach Angaben von Ravensburger 1760, als der Kupferstecher John Spilsbury eine Landkarte aus dünnem Mahagoniholz in die 39 Grafschaften zersägte, damit Kinder sie im Erdkundeunterricht wieder zusammenfügen können.
Nach Deutschland kam es, nachdem Firmenvertreter von Ravensburger in den 1960er-jahre die Freizeitbeschäftigung in USA kennengelernt hatten und die Idee mitnahmen. Ersten Puzzles lag demnach sogar eine Spielanleitung bei.
Spielwarenhändler Fischinger weiß von vielen Kunden, die in der Krise nach langer Zeit mal wieder angefangen hätten zu puzzeln und von solchen, die die Beschäftigung ganz neu für sich entdeckten. „Das bringt Entspannung. Andere malen Mandalas aus oder bauen Bausätze zusammen“, sagt er. Puzzles mit Tausend Teilen, die am beliebtesten seien, machten kaum noch Kinder, sondern in erster Linie Erwachsene. Der Spieltrieb gehe auch im Alter nicht verloren, beobachtet Fischinger.
Puzzles seien bei der Ladenschließung zum zweiten Lockdown Mitte Dezember so gut wie ausverkauft gewesen, berichtet Ute Heyler, die bei Spielwaren Fischinger für den Einkauf zuständig ist. Vor allem Landschaftsbilder seien gefragt – „von der Nordsee bis zum Schloss Neuschwanstein, aber auch ein paar exotische Ziele sind dabei und viele Städteansichten“.
Wie Reisen während Corona ist das Puzzeln auch für den 29-jährigen Ravensburger Benedikt Richter. Er suche sich Puzzlemotive von Orten aus, wo er gerne hinfahren würde oder schon war und hat sich deshalb ein individuelles Puzzle aus einem Urlaubsfoto von den Färöer-inseln anfertigen lassen. 2000 Teile – etwa 700 davon zeigen blaues Meer, 1000 den Himmel und nur 300 Teile die Landschaft. „Extra schwer zum ersten Lockdown“, sagt Richter, der schon als Kind gerne gepuzzelt hat.
Für ihn ist der Reiz am Puzzeln auch die Schärfung der eigenen Wahrnehmung. „Man fängt an, die Dinge im absoluten Detail zu betrachten und sucht die Nuance, die das eine Teil von dem anderen unterscheidet.“Er puzzelt am liebsten alleine und hört dazu Radio und freut sich am meisten über die Momente, in denen er einen Lauf hat und viele passende Teile nacheinander findet. Auf einer speziellen Matte kann er das Puzzle aufrollen und in die Ecke stellen, wenn er genug hat.
Wenn das Puzzle fertig ist, wird es auch bei ihm schnell wieder in die Schachtel zurück geräumt, aber nicht gleich verkauft, wie Richter sagt. „Der Schwabe macht ein Puzzle zwei oder drei mal.“