Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Plastik-verwirrung
Kunststoffverpackungen haben einen schlechten Ruf, deswegen trennen sich viele Unternehmen davon – Doch das schadet der Umwelt manchmal mehr, als es ihr nutzt
- Sie ist quadratisch, praktisch – und aus Plastik: Die Verpackung der Ritter Sport Schokolade dürfte den Deutschen wohl so bekannt sein wie ihr Inhalt selbst. Pro Tag durchlaufen rund 2,7 Millionen 100-Gramm-quadrate die Packmaschinen des schwäbischen Schokoladenherstellers. Die fertig gegossenen Tafeln werden dabei im Bruchteil einer Sekunde maschinell mit einer Verpackung aus dem Kunststoff Polypropylen umschlossen.
Doch in Zukunft könnte das Endprodukt, das die Kunden als bunte Quadrate im Supermarktregal wiederfinden, anders aussehen und sich anders anfühlen, denn Ritter Sport probiert etwas Neues: Statt der bisherigen Kunststoffverpackung experimentiert der Schokoladenhersteller aus Waldenbuch derzeit, ob sich die süße Ware auch in Papier verpacken lässt.
Ritter Sport ist damit nicht allein. Immer mehr Unternehmen versuchen Plastik bei ihren Verpackungen zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. „Neben dem politischen Druck führt insbesondere auch das erhöhte Bewusstsein der Konsumenten für diese Thematik dazu, dass Unternehmen ihr Produktdesign überdenken“, sagt Franziska Krüger, Recycling-expertin beim Umweltbundesamt. Plastik soll mehr und mehr aus den Regalen schwinden.
Am Handlungsbedarf besteht kein Zweifel, denn der Verpackungsmüll in Deutschland nahm zuletzt stetig zu, auch weil es immer mehr Single-haushalte und Senioren gibt, die kleinere Füllgrößen und vorportionierte Einheiten kaufen. 2018 waren es laut Daten des Umweltbundesamtes 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsmüll. Verteilt auf alle Bundesbürger macht das 227,5 Kilo pro Kopf. Zum Vergleich: 2016 waren es noch 18,1 Millionen Tonnen. In Baden-württemberg fielen im Jahr 2018 laut Daten des Statistischen Landesamtes rund 805 000 Tonnen Verpackungsmüll an.
Das Problem ist: Während von Aluminium rund 90 Prozent recycelt werden, von Papier und Karton 88 Prozent und von Glas 83 Prozent sind es beim Kunststoff gerade mal 47 Prozent. Die Masse der aus Rohöl gewonnenen Kunststoffverpackungen wird verbrannt.
Das schadet dem Klima und ist Ansporn auch für Ritter Sport, seine Verpackungen zu ändern. Theoretisch sei die jetzige Kunststoff-verpackung der Ritter Sport Schokoladen sehr gut recycelbar, da sie aus nur einem Rohstoff – eben Polypropylen – bestehe und damit sortenrein wiederaufbereitet werden könne, sagt Unternehmenssprecherin Petra Fix. „Wir wissen aber, dass unsere Einstofffolie dem Kreislauf nicht genug zugeführt wird und häufig in der thermischen Verwertung landet.“Ziel von Ritter Sport sei es, die Verpackung aber möglichst lange im Recyclingkreislauf zu erhalten. Das sei bei Kunststoffen in Deutschland schon nicht ausreichend erfüllt, noch weniger klappe es außerhalb Deutschlands und Mitteleuropas.
„Für Papierverpackungen hingegen gibt es wohl weltweit die meisten Sammelsysteme und damit auch Wiederverwertungsmöglichkeiten“, sagt Fix.
Der Schokoladenhersteller hat sich viel vorgenommen. „Wir wollen ein Produkt mit Kakaobutter, also Fett, in Papier verpacken“, sagt Fix. Die Verpackung dürfe aber keinesfalls durchlässig sein oder umgekehrt Gerüche oder Geschmäcker von Außen aufnehmen. Auch müsse die Papierhülle die Konfektionierung und den Transport sicher überstehen. Ritter Sport steckt deswegen bereits seit einem Jahr in der Testphase und will nichts überstürzen. „Wir gehen Schritt für Schritt, es soll ja gut werden“, sagt Fix.
Andere Unternehmen handeln da mit mehr Aktionismus, wollen das verteufelte Plastik schnell loswerden. Und: Sie machen damit paradoxerweise oft alles nur schlimmer.
Beispielsweise wenn Hersteller ihre Tuben oder Dosen zwar dünner machen, also weniger Plastik einsetzen, sie dafür aber innen mit Aluminium beschichten, um den Kaffee oder die Zahnpasta zu schützen. Von solchen ökologisch katastrophalen Materialmixen weiß vor allem Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), zu berichten. Der BDE vertritt 750 Unternehmen, die in Deutschland das Abwasser entsorgen sowie Abfälle sortieren, verwerten oder recyceln.
Jegliche eigentlich zu begrüßende Plastikreduzierung werde „konterkariert sobald die Produzenten einen Materialmix verwenden, der das Recycling fast unmöglich macht“, sagt Kurth. „Je komplizierter die Zusammensetzung beispielsweise einer Käseverpackung ist, die oftmals aus sechs oder sieben verschiedenen Schichten besteht, desto eher machen die Hersteller damit das Recycling unmöglich, und das ist ein großes Problem.“In der Regel kann bei solchen sogenannten Verbundverpackungen nur eines der verwendeten Materialien für einen neuen Lebenszyklus zurückgewonnen werden. Kurzum: Auch wenn eine Verpackung nach außen hin umweltfreundlich erscheint, ist sie es noch längst nicht.
Skurrillerweise ist stattdessen Plastik – wenn richtig eingesetzt und recycelt – sogar besser für die Umwelt. „Ein Feldzug gegen Kunststoff macht keinen Sinn. Das lehrt doch gerade die Pandemie. Oftmals ist Kunststoff der vernünftigste Wertstoff, den man verwenden kann“, sagt Kurth. Er sei leicht, isoliere gut, sei flexibel und wasserbeständig. Kunststoffe könnten sogar Umweltvorteile erzeugen, sagt Franziska Krüger vom Umweltbundesamt, „indem sie zum Beispiel die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern“.
So gibt es auch Hersteller, die sich ganz und gar dem Plastik verschreiben und das Recycling selbst in die Hand nehmen, wie das Mainzer Unternehmen Werner & Mertz mit seiner Reinigungsmittelmarke Frosch. Zusammen mit dem Grünen Punkt und dem Verpackungshersteller Alpla hat das Unternehmen ein Verfahren entwickelt, mit dem auf dem Firmengelände Flaschen allein aus Altplastik produziert werden – 20 Prozent des verwendeten Materials stammen aus dem Gelben Sack.
Gleichzeitig gestaltet das Unternehmen seine Flaschen so, dass sie problemlos recycelt werden können – wie den Standbodenbeutel für Flüssigwaschmittel beispielsweise, der komplett von oben bis unten aus einem einzigen Material – Polyethylen – besteht und eben nicht aus verschiedenen Stoffen zusammengeklebt ist.
Doch warum machen es nicht mehr Unternehmen so wie Frosch? Die Antwort ist so simpel wie ernüchternd: Neues Plastik wird aus Rohöl gemacht, und das ist derzeit extrem billig. Plastik zu recyceln hingegen ist aufwendig und teuer. Bereits Mitte 2019 begann der Verfall des Rohölpreises, weil der Markt unter weltweiten Überkapazitäten litt. Dann sorgte die Corona-pandemie im Frühjahr nochmal für einen dramatischen Fall der Preise. „Wenn der Ölpreis wie im Moment und auch perspektivisch niedrig ist, dann ist das Recycling von Kunststoffmaterialien teurer als neues zu kaufen“, sagt Peter Kurth. Konkrete Preise will der Verbandspräsident nicht nennen. Branchenexperten aber sagen, dass die Herstellung beispielsweise von neuem PET, aus dem Plastikflaschen hergestellt werden, zwischen 600 und 650 Euro pro Tonne kostet. Recyceltes PET hingegen sei mindestens doppelt so teuer. Die Unternehmen würden finanziell geradezu bestraft, wenn sie Recyclingmaterialien verwenden, sagt Kurth. Viele Hersteller, die bislang Rezyklat für Produkte und Verpackungen verwendet haben, schwenken jetzt sogar wieder auf Neuware um.
Diese Entwicklung kommt zur Unzeit, denn zuletzt gab es sogar einen Aufwind für die Attraktivität von Rezyklaten, also wiederaufbereiteten Produkten. 2019 setzte die Politik Signale, indem sie das Verpackungsgesetz auf den Weg brachte, Recyclingquoten erhöhte und auf Eu-ebene bestimmte Einwegprodukte verboten hat – Mechanismen, die nun nicht ausreichend wirken.
Für die Verbraucher ist die Debatte, ob Plastik nun gut oder böse ist, oftmals verwirrend. Logischerweise ist es sinnvoll Verpackungsmüll so weit wie möglich zu vermeiden. Ganz ohne Kunststoff wird es aber auch nicht gehen. Je informierter der Kunde ist, desto besser und konsequenter kann er sich entscheiden: Für ausschließlich Plastik, so wie bei Frosch, oder für ausschließlich Papier, so wie möglicherweise bald bei Ritter Sport.
Doch, Halt! Auch Ritter Sport kommt nicht ohne eine Barriereschicht aus, die auf der Innenseite der Verpackung aufgetragen ist. „Da sich das Papier noch im Entwicklungsstadium befindet, kann ich keine detaillierten Bestandteile der Barriereschicht nennen“, sagt Sprecherin Fix. „Was ich aber sagen kann, ist, dass es sich um eine wasserbasierte Dispersion handelt, die den Recyclingprozess nicht behindert und damit eine Entsorgung im Altpapier optimal ist.“
Und so geht es letztlich auch um Vertrauen. Vertrauen, dass die Hersteller ein Interesse haben, wirklich etwas am Verpackungsprodukt zu verändern – es tatsächlich umweltfreundlicher zu gestalten und nicht nur eine Mogelpackung zu liefern.