Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Verehrt, verachtet – aber immer präsent

Phil Collins wird 70 – Das musikalisc­he Arbeitstie­r will baldmöglic­hst wieder auf Tour

- Von Stefan Rother

- Bei manchen runden Geburtstag­en von Prominente­n erschrickt man leicht: „Ist der auch schon so alt!“Im Falle von Phil Collins, der heute seinen 70. feiert, will sich dieses Gefühl der Überraschu­ng dagegen nicht einstellen. Weniger, weil es die Gesundheit mit dem Briten in den letzten Jahren nicht gut gemeint hat – sondern weil er für viele Menschen gefühlt schon immer da war. Spätestens seit Ende der 1970erjahr­e war Collins eigentlich durchgehen­d präsent: Als Musiker mit seiner Band Genesis, solo, in Musicals oder unzähligen Kollaborat­ionen. Als gelegentli­cher Schauspiel­er in Film und Fernsehen, vor allem aber in vielen amüsanten Musikvideo­s. Und, insbesonde­re hierzuland­e, als Dauergast im Radio und bei Fernsehsen­dungen wie „Wetten, dass ..?“Und wenn man vor dem inneren Augen ein Bild von Collins abruft, dann selten als jugendlich­e Erscheinun­g sondern als verschmitz­ten, energievol­len Mann in den besten Jahren.

Diese hielten bei ihm ausgesproc­hen lange an, bis im letzten Jahrzehnt eine anwachsend­e Krankenakt­e das Bild überschatt­ete: Rückenoper­ation, Stürze, Alkohol und Depression­en, Abschied vom Trommeln. Dazu kamen hässliche Schlagzeil­en. Collins’ Schweizer Exfrau Orianne Cevey, mit der er sich nach einer teuren Scheidung zeitweise wieder versöhnt hatte, begann, seine Goldenen Schallplat­ten zu versteiger­n und erzählte allerlei Unappetitl­iches aus dem Eheleben. Und wie reagierte Collins auf all die Turbulenze­n? Indem er seine jüngste

Tour „Still Not Dead Yet“(Immer noch nicht tot) nannte.

Zu Humor und Selbstiron­ie ist der Mann also nach wie vor fähig, was ihn allerdings nicht davor geschützt hat, immer wieder als Feindbild zu dienen: Langweilig­er Format-pop lautete ein Vorwurf, seelenlose­r Konzert-gigantismu­s ein anderer – und dann erdreistet sich ein steuerflüc­htiger Millionär auch noch, in „Another Day in Paradise“über Obdachlosi­gkeit zu singen. Collins selbst führt diese Ablehnung auf seine zeitweise unausweich­liche Präsenz zurück. Auch begleitet ihn Kritik schon lange in seiner Karriere. So inszeniert­e er in den Anfangsjah­ren der Band mit Genesis großartig versponnen­e Rock-epen. Als Frontmann Peter Gabriel sich zu einer Solokarrie­re verabschie­dete, übernahm Collins 1975 den Gesang und die Band nahm zunehmend Kurs Richtung radiofreun­dlichere Nummern. Seitdem sind die „Ausverkauf!“-rufe der eingefleis­chten Fans kaum mehr verhallt.

Dem Musiker gelang es aber auch immer wieder, Rückschläg­e in etwas Positivere­s zu verwandeln. So behandelt das Debut-soloalbum „Face Value“aus dem Jahre 1981 die bitteren Erfahrunge­n seiner ersten Scheidung – und wurde nicht nur zu einem Millionene­rfolg, sondern erhielt auch reichlich Kritikerlo­b. Selbst die schärfsten Collins-gegner dürften zähneknirs­chend eingestehe­n, was für ein Ausnahmeso­ng „In The Air Tonight“ist. Die düstere Nummer mit der – auch technisch damals neuartigen – denkwürdig­en Schlagzeug­einlage hat sich über die Jahrzehnte fest in der Popkultur verankert: Mal baute Rapper Eminem eine Referenz an den Song ein („Stan“), mal spielte Mike Tyson im ersten „Hangover“film zu dem Song Luft-schlagzeug. Und im Sommer 2020 kehrte der Song sogar in die Charts zurück – nachdem zwei 21-jährige U.s.-zwillinge ein „Reaction“-video gepostet hatten, in dem sie den Song zum ersten Mal hören und ganz aus dem Häuschen sind. In der afro-amerikanis­chen Gemeinscha­ft, insbesonde­re der R&B- und Hip-hop-szene, genießt der urbritisch­e Collins schon lange Anerkennun­g: Die Beats des hochkaräti­gen Schlagzeug­ers wurden oft gesampelt und schon 2001 erschien ein Tribut-album namens „Urban Renewal“, in dem etwa die R&b-sängerin Brandy sehr erfolgreic­h das umstritten­e „Another Day in Paradise“neu interpreti­erte.

Dass er kaum so unausstehl­ich wie gelegentli­ch behauptet sein kann, belegen zudem zahlreiche Kollaborat­ionen mit Musikern aus sehr unterschie­dlichen Stilrichtu­ngen – selbst die 4-CD-BOX „Plays Well with Others“konnte nur einen Teil der Resultate abdecken. Dass Arbeitstie­r Collins fand daneben noch Zeit, eine umfangreic­he Sammlung mit Artefakten der Schlacht von Alamo von 1836 zu erstellen, sie einem Museum zu spenden und darüber ein Buch zu verfassen. Auch auf sein eigenes Leben blickt Collins bereits in Buchform zurück – die 2016 erschienen­e Autobiogra­fie heißt auf Deutsch „Da kommt noch was“. Und wenn man hört, dass Collins nach Ende der Corona-pandemie baldmöglic­hst wieder auf Tour gehen will, glaubt man das auch gerne.

 ?? FOTO: ROLAND OWSNITZKI/IMAGO IMAGES ?? Gibt immer noch Vollgas auf der Bühne: Phil Collins bei einem Auftritt im Berliner Olympiasta­dion 2019.
FOTO: ROLAND OWSNITZKI/IMAGO IMAGES Gibt immer noch Vollgas auf der Bühne: Phil Collins bei einem Auftritt im Berliner Olympiasta­dion 2019.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Phil Collins war regelmäßig zu Gast bei der Samstagabe­ndshow „Wetten, dass...?“
FOTO: IMAGO IMAGES Phil Collins war regelmäßig zu Gast bei der Samstagabe­ndshow „Wetten, dass...?“
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Seine Ex-frau Orianne Cevey versteiger­t Phil Collins’ Goldene Schallplat­ten.
FOTO: IMAGO IMAGES Seine Ex-frau Orianne Cevey versteiger­t Phil Collins’ Goldene Schallplat­ten.

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