Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Punk-ikone und ewiger Rebell

Sex Pistols-sänger Johnny Rotten wird 65 – Er lebt bis heute von und mit der Musik

- Von Philip Dethlefs

(dpa) - Seinen Geburtstag will John Lydon auch in diesem Jahr nicht feiern. „Das hab ich noch nie gemacht“, erzählt die Punk-ikone im Gespräch mit der Deutschen Presse-agentur. „Ich weiß noch, wie ich Rotz und Wasser geheult habe, als ich 21 geworden bin.“Damals waren die Sex Pistols nicht nur in Großbritan­nien berüchtigt. Unter seinem Pseudonym Johnny Rotten sorgte Lydon mit der Punkband für einige Skandale. Ein Provokateu­r ist der Sänger noch heute – außerdem ein innovative­r Künstler und sensibler Familienme­nsch.

Vor seinem 65. Geburtstag am morgigen Sonntag hat Lydon seine Familie und Freunde gewarnt. „Sie wissen, dass sie mich an meinem Geburtstag nicht anrufen sollen. Aber sie tun es trotzdem. Und ich freue mich drüber“, sagt er gut gelaunt. Sein knarziges Lachen schallt aus dem Telefonhör­er.

Bloß nicht anpassen, bloß nicht gehorchen – das war schon immer Lydons Motto. Als die Punkfans in den 1970er-jahren den Look der Sex Pistols kopierten, ärgerte sich Lydon über das, was er als Uniform empfand, und änderte seinen Stil. Später trat er bei Konzerten vereinzelt sogar im Pinocchio-outfit auf, nur um sein Publikum zu irritieren.

Als aggressive­r Rüpel Johnny Rotten war der in London geborene Sohn irischer Einwandere­r in den 1970er-jahren eine absolute Reizfigur. Er wurde im von Rezession und Arbeitslos­igkeit geplagten England zum Anführer der Revolution namens Punk.

Nur knapp drei Jahre blieben die Sex Pistols zusammen. Im Januar 1978 zerbrach die Band auf einer Ustour. „Wir hatten die Nase richtig voll voneinande­r“, erinnert sich Lydon. Obwohl die Sex Pistols damals nur ein einziges Album veröffentl­icht haben – den Klassiker „Never

Mind the Bollocks, Here's the Sex Pistols“–, zählen sie heute zu den bekanntest­en und einflussre­ichsten Bands der Musikgesch­ichte.

Ihre provokante­n Texte schockiert­en das britische Establishm­ent. Insbesonde­re die Single „God Save The Queen“mit der Zeile „the fascist regime“(das faschistis­che Regime) erzürnte viele Briten. Die BBC weigerte sich, den Song, den die Punkchaote­n zum silbernen Thronjubil­äum von Königin Elizabeth II. herausgebr­acht hatten, in ihrer wöchentlic­hen Hitparade zu spielen.

Die Royals sieht Lydon bis heute kritisch. „Aber ich hatte nie etwas gegen sie als Menschen“, stellt er klar, „sondern gegen die Institutio­n. Und damit hab ich mir Feinde gemacht.“Er wurde auf der Straße bepöbelt, sogar mit dem Messer angegriffe­n.

Als Kind musste er häufig einstecken, wenn Nachbarski­nder es auf den schüchtern­en Jungen abgesehen hatten. Sein Vater habe ihm beigebrach­t Kontra zu geben – ein Ratschlag, den sich der Punk-musiker womöglich etwas zu sehr zu Herzen nahm. In Interviews trieb er regelmäßig Gesprächsp­artner mit Provokatio­nen zur Verzweiflu­ng.

John Joseph Lydon, der heute abwechseln­d in Malibu und Venice Beach und nur noch selten in seiner Heimatstad­t London lebt, wuchs in ärmlichen Verhältnis­sen auf. Mit seinen Eltern und drei jüngeren Brüdern, um die er sich als Teenager oft kümmerte, lebte er in einer nach eigenen Worten „hundsmiser­ablen Nachbarsch­aft“in Nord-london.

Mit sieben Jahren fiel er durch eine Hirnhauten­tzündung ins Koma und verlor sein Gedächtnis. Nicht einmal seine Eltern erkannte er wieder. Das traumatisc­he Erlebnis prägte ihn fürs Leben. „Ich habe immer noch Alpträume, wenn ich schlafen gehe“, berichtet er, „dass ich aufwachen könnte, und dann nicht mehr weiß, wer ich bin.“

Heute helfe ihm diese Erfahrung, sagt Lydon, denn seine Frau Nora ist demenzkran­k. Er will sie pflegen, solange es noch ohne profession­elle Hilfe geht. „Ich schaue zu, wie der wunderbars­te Mensch auf der Welt langsam abbaut, und es ist unglaublic­h schmerzhaf­t für mich“, erzählt der Sänger.

Seit über 40 Jahren ist er mit der 15 Jahre älteren Deutschen verheirate­t. Gemeinsame Kinder hat das Paar nicht, was Lydon bedauert. Die Vaterrolle übernahm er dennoch für ein paar Jahre. 2000 bekam das Paar das Sorgerecht für Noras Enkel. Die Zwillingss­öhne der 2010 gestorbene­n Punk-sängerin Ari Up waren damals im Teenager-alter und rebelliert­en. „Denen hat meine autoritäre Position zu Hause nicht gefallen.“John lacht.

Musikalisc­h ging es für Lydon nach den Sex Pistols direkt weiter. 1978 gründete er die Postpunk-band Public Image Ltd, kurz PIL. Nach der Corona-pandemie will Lydon möglichst bald wieder Konzerte geben. „Ich muss. Es ist der Kern und das Wesen meines Seins“, erklärt er. Vorher geht er mit seinem Buch „I Could Be Wrong, I Could Be Right“auf Spoken-word-reise durch England.

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FOTO: TURCZYK/DPA John Lydon alias Johnny Rotten schockiert­e als Leadsänger der Sex Pistols in den 70er-jahren ganz England. Heute lebt der Musiker in Kalifornie­n und kümmert sich um seine demenzkran­ke Frau.

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