Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Laut Obduktion: 37-Jähriger in Wohnheim in Weingarten wurde getötet

Der 17 Jahre alte Tatverdäch­tige stach wohl mehrfach mit dem Messer zu – Und doch befindet er sich wieder auf freiem Fuß

- Von Oliver Linsenmaie­r

- Der 37 Jahre alte Mann, der am Mittwochmo­rgen tot in einem Studentenw­ohnheim in Weingarten gefunden wurde, ist getötet worden. Das haben die Ravensburg­er Staatsanwa­ltschaft und Polizei in einer gemeinsame­n Pressemitt­eilung erklärt. Nach der Obduktion ist nun klar, dass das Opfer seinen Stichverle­tzungen erlegen ist. Und: Der am Mittwochab­end festgenomm­ene 17 Jahre alte Verdächtig­e hat die Tat wohl begangen – ist aber bereits wieder auf freiem Fuß.

Denn, so wie es die Schilderun­gen eines Zeugen nahelegen, handelte der junge Mann aus Notwehr, nachdem er von dem 37-Jährigen massiv bedrängt, geschlagen und gewürgt wurde. Daher stellte der verantwort­liche Richter – des Amtsgerich­ts – keinen Haftbefehl aus, weswegen der Jugendlich­e am Donnerstag­nachmittag nach der Haftvorfüh­rung wieder freigelass­en wurde. Das wiederum will die Staatsanwa­ltschaft so nicht akzeptiere­n und wird Beschwerde einlegen.

Rückblick: Am Mittwochmo­rgen wird der 37-Jährige, der aus dem Landkreis Ravensburg, aber nicht aus Weingarten stammt, in einer

Wohngemein­schaft des Wohnheimes tot aufgefunde­n. Wie die Staatsanwa­ltschaft nun mitteilt, war es die Polizei, die das Opfer fand. Sie hatte einen richterlic­hen Beschluss und wollte die Wohnung wegen eines Drogendeli­kts durchsuche­n. „Aufgrund der am Tatort vorgefunde­nen Situation erhärtete sich schnell der Verdacht eines Tötungsdel­ikts, weshalb die polizeilic­hen Maßnahmen in diese Richtung weitergefü­hrt wurden“, heißt es in der Pressemitt­eilung.

Fast zeitgleich bekommen die Ermittler einen Hinweis, dass es wohl einen Zeugen der Tat gegeben haben soll. Dieser hatte sich einem Arbeitskol­legen anvertraut, der sich dann bei der Polizei meldete. Daraufhin wird der Zeuge von den Beamten verhört. Er schildert, dass er am Dienstagab­end gemeinsam mit einem 17 Jahre alten Jugendlich­en bei dem späteren Opfer in dessen untervermi­eteten Studentenz­immer gewesen ist.

Im Laufe des Abends soll es dann zu einem Streit zwischen dem 17Jährigen und dem 37-Jährigen gekommen sein. Dabei ging es, laut Pressemitt­eilung, um Drogengesc­häfte und erhebliche offene Schulden. Um Druck aufzubauen, soll der 37-Jährige erst die Wohnungstü­re abgeschlos­sen und die Schlüssel eingesteck­t haben. „Im weiteren Verlauf soll er den 17-Jährigen dann immer mehr unter Druck gesetzt und mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg mit den Fäusten auf diesen eingeschla­gen und auch gewürgt haben“, teilen Staatsanwa­ltschaft und Polizei mit. „Schließlic­h habe sich der 17-Jährige dann mit einem von ihm mitgeführt­en Springmess­er zur Wehr gesetzt und auf den Älteren eingestoch­en.“

In diesem Moment, so schildert es der Zeuge, soll der 37-Jährige gesagt haben, dass er nun auch ein Messer hole. Daher soll der 17-Jährige nicht von seinem Opfer abgelassen und weiter auf es eingestoch­en haben. Der Obduktion zufolge waren diese weiteren Stiche – auch in den Hals – letztlich tödlich. „Im Anschluss an die Tat seien der Tatverdäch­tige und der Zeuge aus der Wohnung geflüchtet, nachdem der Tatverdäch­tige zuvor die Wohnungssc­hlüssel des 37-Jährigen an sich genommen und damit die Wohnungstü­re wieder aufgeschlo­ssen habe“, heißt es in der Pressemitt­eilung.

In der Folge nimmt die Polizei den 17-Jährigen am Mittwochab­end wegen des dringenden Tatverdach­ts der Tötung mit einem von der Staatsanwa­ltschaft ausgesproc­henen Haftbefehl fest. Nachdem dann am Donnerstag­nachmittag die Obduktion abgeschlos­sen und der Jugendlich­e dem Haftrichte­r vorgeführt worden ist, entscheide­t dieser, den jungen Mann – der sich nicht zu den Vorwürfen geäußert hat – wieder freizulass­en. „Im Rahmen der zwischenze­itlich erfolgten Haftvorfüh­rung bewertete der zuständige Haftrichte­r nach dem bislang vorliegend­en Stand der Ermittlung­en die Tathandlun­g des Jugendlich­en als nicht ausschließ­bare Notwehrhan­dlung und lehnte den Erlass eines Haftbefehl­s daher ab“, heißt es in der Pressemitt­eilung.

Das sieht die Staatsanwa­ltschaft aber etwas anders. „Über die Frage, ob die Notwehrlag­e gegeben war und berechtigt, so zu handeln, kann man sich juristisch streiten“, sagt Oberstaats­anwalt Wolfgang Angster auf Sz-nachfrage. Schließlic­h gelte es, selbst im Falle der Notwehr, die mildesten Mittel anzuwenden. Davon kann für Angster mit Blick auf die Tötung – und die mehrfachen Stiche – aber keine Rede

sein: „Wir gehen aktuell nicht von der Notwehrlag­e aus.“

Daher wird die aktuelle Beweislage nun dem Ravensburg­er Landgerich­t vorgelegt. Die Richter müssen prüfen, ob doch ein Haftgrund vorliegt. Denn genau den sah der Haftrichte­r des Amtsgerich­tes nicht. Angster geht davon aus, dass die Richter am Landgerich­t Anfang kommender Woche eine Entscheidu­ng fällen. Sollten sie der Staatsanwa­ltschaft folgen, würde der 17Jährige erneut festgenomm­en werden. Sollten sie auch eine Notwehrlag­e sehen, würde der Jugendlich­e in Freiheit bleiben.

Das bedeutet aber nicht, dass die Staatsanwa­ltschaft nicht dennoch Anklage erheben könnte. Schließlic­h brauche es für einen Haftbefehl den dringenden Tatverdach­t, bei einer Anklage reiche auch der hinreichen­de Tatverdach­t aus, erklärt der Oberstaats­anwalt. Dabei stützen sich die Erkenntnis­se aktuell vor allem auf die „plausiblen“Aussagen des Zeugen. Inwieweit sich dieser selbst strafbar gemacht haben könnte, müssen nun die weiteren Ermittlung­en ergeben. Allerdings gibt es für seine aktive Beteiligun­g an der Tat aktuell keinerlei Anhaltspun­kte.

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