Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Laut Obduktion: 37-Jähriger in Wohnheim in Weingarten wurde getötet
Der 17 Jahre alte Tatverdächtige stach wohl mehrfach mit dem Messer zu – Und doch befindet er sich wieder auf freiem Fuß
- Der 37 Jahre alte Mann, der am Mittwochmorgen tot in einem Studentenwohnheim in Weingarten gefunden wurde, ist getötet worden. Das haben die Ravensburger Staatsanwaltschaft und Polizei in einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärt. Nach der Obduktion ist nun klar, dass das Opfer seinen Stichverletzungen erlegen ist. Und: Der am Mittwochabend festgenommene 17 Jahre alte Verdächtige hat die Tat wohl begangen – ist aber bereits wieder auf freiem Fuß.
Denn, so wie es die Schilderungen eines Zeugen nahelegen, handelte der junge Mann aus Notwehr, nachdem er von dem 37-Jährigen massiv bedrängt, geschlagen und gewürgt wurde. Daher stellte der verantwortliche Richter – des Amtsgerichts – keinen Haftbefehl aus, weswegen der Jugendliche am Donnerstagnachmittag nach der Haftvorführung wieder freigelassen wurde. Das wiederum will die Staatsanwaltschaft so nicht akzeptieren und wird Beschwerde einlegen.
Rückblick: Am Mittwochmorgen wird der 37-Jährige, der aus dem Landkreis Ravensburg, aber nicht aus Weingarten stammt, in einer
Wohngemeinschaft des Wohnheimes tot aufgefunden. Wie die Staatsanwaltschaft nun mitteilt, war es die Polizei, die das Opfer fand. Sie hatte einen richterlichen Beschluss und wollte die Wohnung wegen eines Drogendelikts durchsuchen. „Aufgrund der am Tatort vorgefundenen Situation erhärtete sich schnell der Verdacht eines Tötungsdelikts, weshalb die polizeilichen Maßnahmen in diese Richtung weitergeführt wurden“, heißt es in der Pressemitteilung.
Fast zeitgleich bekommen die Ermittler einen Hinweis, dass es wohl einen Zeugen der Tat gegeben haben soll. Dieser hatte sich einem Arbeitskollegen anvertraut, der sich dann bei der Polizei meldete. Daraufhin wird der Zeuge von den Beamten verhört. Er schildert, dass er am Dienstagabend gemeinsam mit einem 17 Jahre alten Jugendlichen bei dem späteren Opfer in dessen untervermieteten Studentenzimmer gewesen ist.
Im Laufe des Abends soll es dann zu einem Streit zwischen dem 17Jährigen und dem 37-Jährigen gekommen sein. Dabei ging es, laut Pressemitteilung, um Drogengeschäfte und erhebliche offene Schulden. Um Druck aufzubauen, soll der 37-Jährige erst die Wohnungstüre abgeschlossen und die Schlüssel eingesteckt haben. „Im weiteren Verlauf soll er den 17-Jährigen dann immer mehr unter Druck gesetzt und mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg mit den Fäusten auf diesen eingeschlagen und auch gewürgt haben“, teilen Staatsanwaltschaft und Polizei mit. „Schließlich habe sich der 17-Jährige dann mit einem von ihm mitgeführten Springmesser zur Wehr gesetzt und auf den Älteren eingestochen.“
In diesem Moment, so schildert es der Zeuge, soll der 37-Jährige gesagt haben, dass er nun auch ein Messer hole. Daher soll der 17-Jährige nicht von seinem Opfer abgelassen und weiter auf es eingestochen haben. Der Obduktion zufolge waren diese weiteren Stiche – auch in den Hals – letztlich tödlich. „Im Anschluss an die Tat seien der Tatverdächtige und der Zeuge aus der Wohnung geflüchtet, nachdem der Tatverdächtige zuvor die Wohnungsschlüssel des 37-Jährigen an sich genommen und damit die Wohnungstüre wieder aufgeschlossen habe“, heißt es in der Pressemitteilung.
In der Folge nimmt die Polizei den 17-Jährigen am Mittwochabend wegen des dringenden Tatverdachts der Tötung mit einem von der Staatsanwaltschaft ausgesprochenen Haftbefehl fest. Nachdem dann am Donnerstagnachmittag die Obduktion abgeschlossen und der Jugendliche dem Haftrichter vorgeführt worden ist, entscheidet dieser, den jungen Mann – der sich nicht zu den Vorwürfen geäußert hat – wieder freizulassen. „Im Rahmen der zwischenzeitlich erfolgten Haftvorführung bewertete der zuständige Haftrichter nach dem bislang vorliegenden Stand der Ermittlungen die Tathandlung des Jugendlichen als nicht ausschließbare Notwehrhandlung und lehnte den Erlass eines Haftbefehls daher ab“, heißt es in der Pressemitteilung.
Das sieht die Staatsanwaltschaft aber etwas anders. „Über die Frage, ob die Notwehrlage gegeben war und berechtigt, so zu handeln, kann man sich juristisch streiten“, sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Angster auf Sz-nachfrage. Schließlich gelte es, selbst im Falle der Notwehr, die mildesten Mittel anzuwenden. Davon kann für Angster mit Blick auf die Tötung – und die mehrfachen Stiche – aber keine Rede
sein: „Wir gehen aktuell nicht von der Notwehrlage aus.“
Daher wird die aktuelle Beweislage nun dem Ravensburger Landgericht vorgelegt. Die Richter müssen prüfen, ob doch ein Haftgrund vorliegt. Denn genau den sah der Haftrichter des Amtsgerichtes nicht. Angster geht davon aus, dass die Richter am Landgericht Anfang kommender Woche eine Entscheidung fällen. Sollten sie der Staatsanwaltschaft folgen, würde der 17Jährige erneut festgenommen werden. Sollten sie auch eine Notwehrlage sehen, würde der Jugendliche in Freiheit bleiben.
Das bedeutet aber nicht, dass die Staatsanwaltschaft nicht dennoch Anklage erheben könnte. Schließlich brauche es für einen Haftbefehl den dringenden Tatverdacht, bei einer Anklage reiche auch der hinreichende Tatverdacht aus, erklärt der Oberstaatsanwalt. Dabei stützen sich die Erkenntnisse aktuell vor allem auf die „plausiblen“Aussagen des Zeugen. Inwieweit sich dieser selbst strafbar gemacht haben könnte, müssen nun die weiteren Ermittlungen ergeben. Allerdings gibt es für seine aktive Beteiligung an der Tat aktuell keinerlei Anhaltspunkte.