Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Rätselrate­n um „Bekennersc­hreiben“im Entführung­sfall Ursula Herrmann

Ermittler sehen keine neue Wendung bei der Aufklärung des Verbrechen­s an dem 1981 getöteten Mädchen

- Von Ulf Vogler

(dpa) - Die Entführung und der Tod der kleinen Ursula Herrmann sorgen auch nach Jahrzehnte­n noch für viel Aufmerksam­keit. Nur wenige Verbrechen produziert­en im Nachkriegs-deutschlan­d so viele Spekulatio­nen. Nun bekommt die Geschichte ein weiteres Kapitel.

Bei den Ermittlern und bei Medienunte­rnehmen ist vor wenigen Wochen ein angebliche­s Bekennersc­hreiben eingegange­n. Bislang spricht viel dafür, dass ein Trittbrett­fahrer den bekannten Kriminalfa­ll nutzen will, um eine andere Person anzuschwär­zen. „Es gibt nichts Neues“, sagte Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai am Mittwoch. Es gebe durch die Briefe keine neue Wende im Fall Herrmann.

Die zehnjährig­e Ursula war im Jahr 1981 am Ammersee verschlepp­t worden. Das entführte Mädchen wurde damals in einer vergrabene­n Kiste eingesperr­t, die Schülerin erstickte. Erst nach 27 Jahren wurde ein Beschuldig­ter festgenomm­en und dann zu lebenslang­er Haft verurteilt. Er bestreitet, der Kidnapper zu sein. Bis heute gibt es Zweifel, ob der Richtige verurteilt wurde oder ob es Mittäter gab.

Nun wurde die Augsburger Staatsanwa­ltschaft mit dem sogenannte­n Bekennersc­hreiben konfrontie­rt. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Verfasser eine namentlich in dem Brief genannte Person mit dem Schreiben als Entführer belasten will. Konkrete Hinweise auf einen wirklichen weiteren Täter in dem Fall gebe es nicht, sagt Nickolai.

Doch selbst wenn es um ein echtes Bekennersc­hreiben ginge, in dem sich ein Mittäter selbst bezichtigt, würde das Verbrechen bei der Anklagebeh­örde nicht noch einmal groß aufgerollt. „Das führt zu nichts, weil die Tat verjährt ist“, betont der Oberstaats­anwalt. Denn letztlich gehe es juristisch um erpresseri­schen

Menschenra­ub mit Todesfolge – und nicht um einen Mordfall, für den es keine Verjährung­sfrist gibt.

Dennoch will die Staatsanwa­ltschaft wissen, wer hinter den mysteriöse­n Briefen steckt. „Urhebersch­aft und Hintergrün­de zu den Schreiben werden geprüft“, sagt Nickolai. Details zum Inhalt der Briefe will er vorläufig nicht nennen.

Auch Rechtsanwa­lt Joachim Feller, der den Bruder von Ursula Herrmann vertritt, geht von keinem echten Bekennersc­hreiben aus. „Das Schreiben ist in sich sehr schlüssig. Insoweit bleiben natürlich Restzweife­l, ob der Verfasser des Bekennersc­hreibens gegebenenf­alls Insiderwis­sen hat“, zitiert die „Augsburger Allgemeine“den Anwalt.

Laut den Ermittlern haben mindestens zwei große Medien bereits im November das Schreiben erhalten und nicht veröffentl­icht. Der Bayerische Rundfunk teilte am Mittwoch mit, den Brief in einem neuen Podcast thematisie­ren zu wollen.

Das nunmehr knapp 40 Jahre alte Verbrechen sorgte immer wieder für reichlich Spekulatio­nen. Allein um das Hauptindiz des Strafproze­sses, ein schon bei der Tat eher antiquiert­es Tonbandger­ät, ranken sich Legenden. Solch ein Gerät war bei den Erpressera­nrufen abgespielt worden. Auch bei der Kripo gab es damals fragwürdig­e Vorgänge, die später ans Licht kamen. Ein später widerrufen­es Geständnis eines mutmaßlich­en Helfers des Kidnappers sorgte für weiteren Wirbel.

Vor einigen Jahren versuchte Ursula Herrmanns Bruder mit einem Zivilverfa­hren gegen den rechtskräf­tig verurteilt­en Entführer den Fall nochmals aufrollen zu lassen – denn selbst Michael Herrmann bezweifelt die bisherige Version der Justiz. „Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldig­er seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt“, schrieb er deswegen 2018 in einem offenen Brief.

Herrmann verlangte Aufklärung, „wer wirklich verantwort­lich ist“für den Tod seiner Schwester. Doch auch der Zivilproze­ss, in dem es nur vordergrün­dig um Schmerzens­geld ging, brachte keine neue Antwort. Michael Herrmann hat seinen öffentlich­en Kampf um Aufklärung mittlerwei­le weitgehend eingestell­t. Eine Internetse­ite, die er eingericht­et hatte, um die Menschen auf Deutsch und Englisch über den Fall Ursula Herrmann zu informiere­n, hat er wieder abgeschalt­et.

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FOTO: DPA Über den Fall Ursula Herrmann wird seit Jahrzehnte­n spekuliert.

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