Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wenn im Hochhaus Corona ausbricht
Weingartenerin fühlt sich von Behörden in ihrer Angst alleingelassen
- Wenn in einem Mehrfamilienhaus Corona ausbricht, ist die Angst unter den Nachbarn meist groß. Viele fürchten, sich im Aufzug, im Treppenhaus, an den Mülltonnen, am Briefkasten oder in der Waschküche anzustecken. So erging es auch Edeltraud Fürst aus Weingarten. Sie wohnt in einem Hochhaus in der Unteren Breite, in dem es zumindest zu zwei bestätigten Corona-fällen gekommen ist. Offenbar hielten die Erkrankten ihre Quarantäne aber nicht richtig ein, brachten weiterhin den Müll raus oder fuhren mit dem Aufzug. Daraufhin wandte sich Fürst an alle möglichen Behörden und die Hausverwaltung, blitzte aber überall ab.
Fürst ist vielen Weingartenern als engagierte Tierschützerin bekannt. Die 64-Jährige setzt sich vor allem für das Wohl von Nutztieren ein, prangert seit Jahren schlechte Zustände in Schlachthöfen an. Aber auch Menschen sind ihr nicht schnuppe. Ihr Mann ist bereits 72 Jahre alt und gehört wegen einer Vorerkrankung zur Risikogruppe. Beide seien in der Corona-pandemie von Anfang an extrem vorsichtig gewesen, tragen medizinische Masken selbstverständlich auch im Treppenhaus oder Aufzug.
Aber das tue sonst kaum jemand, bedauert Fürst. Obwohl im Hochhaus nach ihren Schätzungen etwa 150 Menschen leben – viele von ihnen schon älteren Semesters und wie ihr Mann vorerkrankt – würde dort kaum jemand in den engen Aufzügen einen Mund-nasen-schutz tragen. Völlig konsterniert war Fürst jedoch, als sie von einer Nachbarin erfuhr, dass eine andere Frau aus dem Haus dieser im Fahrstuhl erzählt habe, wie schlimm sie selbst und deren Ehemann an Covid-19 erkrankt seien.
Der Ehemann wurde noch am gleichen Tag von einem Rettungswagen abgeholt und auf die Intensivstation der OSK gebracht. Trotzdem trug seine Frau im Aufzug den Müll raus. Eine andere Nachbarin bestätigt diese Geschichte am Telefon der „Schwäbischen Zeitung“. Offenbar sei das aber keine böse Absicht gewesen, sondern die Frau habe einfach nicht gewusst, dass Quarantäne bedeutet, in den eigenen vier Wänden zu bleiben und eben nicht im Mehrfamilienhaus herumzulaufen.
Fürst wandte sich empört ans Gesundheitsamt des Landkreises, das sie wiederum ans Ordnungsamt der Stadt Weingarten verwies, weil für die Überwachung der Quarantäne die Städte und Gemeinden als Ortspolizeibehörden zuständig sind. Dort habe man sie ebenfalls abgewimmelt und die Angelegenheit als „Privatsache“bezeichnet.
Auch eine Nachfrage bei der Hausverwaltung, ob nicht eine Maskenpflicht auf den Gemeinschaftsflächen eingeführt werden könne, sei zunächst im Sande verlaufen. Der Verwalter habe ihr etwas schnippisch sinngemäß gesagt: „Jeder muss irgendwann mal sterben.“Was Fürst besonders auf die Palme brachte. „Wir sind völlig irritiert, dass sich weder das Gesundheitsamt noch das Ordnungsamt dafür interessieren. Man muss auf jedem Supermarktparkplatz eine Maske tragen, und in engen Aufzügen, in denen sich die Luft staut, ist das egal.“
Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“bestätigt das Gesundheitsamt, dass Gemeinschaftsflächen in Mehrfamilienhäusern nicht klassisch „öffentlicher Raum“seien, „da diese ja nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, sondern nur einem eingeschränkten Personenkreis. Daher gilt die Mindestabstandsregelung von 1,5 Metern nicht automatisch.“Ansammlungen von Menschen seien nach der aktuellen Corona-verordnung ohnehin im Rahmen eines Haushalts plus einer weiteren Person zulässig.
„Allerdings gilt auch hier: Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch sinnvoll. Der Pandemie kann nur dann wirksam begegnet werden, wenn alle im Rahmen ihrer Eigenverantwortung verantwortungsvoll handeln und Kontakte vermeiden, wo dies möglich ist“, so die Pressesprecherin des Landratsamtes, Selina Nußbaumer. Auch Hausverwaltungen oder Wohnungseigentümergemeinschaften könnten im Rahmen ihrer Hausordnung Maßnahmen zur Reduzierung der Infektionsgefahr festlegen. „Dies geschieht jedoch freiwillig.“
Die Hausverwaltung hat mittlerweile reagiert und alle Eigentümer oder Mieter angeschrieben und darum gebeten, auf den Gemeinschaftsflächen Maske zu tragen. „Wir bitten Sie, die Aha-regeln zum Schutz Ihrer eigenen Sicherheit und der Ihrer Nachbarn auch im Hause zu beachten. Bitte bleiben Sie gesund“, heißt es in dem Rundschreiben. Auf Sz-anfrage äußerte sich die Hausverwaltung wie folgt: „Eine Aussage, dass jeden Tag Leute sterben, wurde vom zuständigen Verwalter ausdrücklich nicht getroffen.“
Man habe bereits im Frühjahr, zu Beginn der Pandemie, in allen Häusern mit Aufzügen einen Aushang mit Piktogramm und einer Aufschrift angebracht, dass ein Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten sei. Es gebe dort „sogar zwei Aufzüge, sodass sich die Bewohner, wenn einer bereits belegt ist, aus dem Weg gehen können.“
Die Weingartener Stadtverwaltung hingegen spricht von einem Missverständnis. Die zuständige Mitarbeiterin des Ordnungsamtes habe Fürst so verstanden, dass sie verlangt habe, man solle die Hausverwaltung amtlich dazu auffordern, eine Maskenpflicht zu erlassen. „Tatsächlich haben wir hier als Ortspolizeibehörde keinerlei rechtliche Grundlage, in einem privaten Wohnhaus solch eine Auflage anzuordnen. In dem Zusammenhang fiel tatsächlich der Ausdruck ,Privatsache’“, so die städtische Pressesprecherin Sabine Weisel. Die Stadtverwaltung gehe aber selbstverständlich Hinweisen auf die Verletzung der Quarantänepflicht nach. Dann müsste der Betreffende aber entweder bei der Polizei oder der Stadt förmlich Anzeige erstatten. Das setze grundsätzlich die Bereitschaft zu einer Zeugenaussage des Verfassers voraus und könne nicht anonym entgegengenommen werden.
Mittlerweile hat sich die Lage im Hochhaus aber entspannt, weil die Corona-infizierte zwischenzeitlich begriffen hat, dass sie nicht vor die Wohnungstür darf. Um den Briefkasten kümmerte sich fortan die Nachbarin. Die Quarantänezeit ist nun auch abgelaufen.