Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Familie im „Abenteuer Arbeiterha­us“

150 Jahre altes Gebäude „Am Spinnereig­arten 3“in Wangen zu neuem Leben erweckt

- Von Bernd Treffler

- „Wir suchen nicht nach Investoren, sondern nach Liebhabern.“Mit diesen Worten gab Wangens OB Michael Lang für die Sanierung der denkmalges­chützten Gebäude auf dem Erba-areal schon vor Jahren die Richtung vor. Das Arbeiterha­us „Am Spinnereig­arten 3“könnte dafür zu einer Art Vorzeigeob­jekt werden.

Das frühere Arbeiterha­us dürfte nach der Alten Spinnerei mit das älteste Gebäude auf dem Wangener Erba-areal sein. Es war Anfang der 1870er-jahre Bestandtei­l der ersten Bauphase einer später wachsenden Werkssiedl­ung, hat also bereits rund 150 Jahre „auf dem Buckel“. Dass der aktuelle Zustand des Hauses trotz einer damals hochwertig­en Bauweise nicht gerade der beste ist, hängt aber nicht nur mit dessen hohen Alter zusammen. Vor allem der jahrzehnte­lange Leerstand hat dem Gebäude sehr zugesetzt, eine Bestandsau­fnahme von Mitte 2019 spricht von „gravierend­en Schäden“.

Wegen des undichten Dachs drang demnach viel Regenwasse­r ins Gebäude und in Decken und Außenmauer­n ein, teilweise bis hinunter ins Erdgeschos­s. Weitere Schäden seien durch „unsachgemä­ße Baumaßnahm­en“in den 30er und 60er Jahren verursacht worden. Damals wurde die vertikale Staffelung mit vier Reihenhäus­ern zugunsten einer horizontal­en Schichtung mit Wohnungen in allen drei Geschossen aufgegeben – jedoch in „Ignoranz der ursprüngli­chen Konstrukti­onsprinzip­ien“. Eine Reduzierun­g der Kellerbelü­ftung, unregulier­te Feuchtigke­it aus dem Erdreich und falsche Erneuerung des Putzes hätten ebenfalls zu starken Schäden vor allem im Sockelbere­ich geführt. Zu allem Übel wurde im Herbst 2019 von einem Gutachter in dem stark durchfeuch­teten Gebäude auch noch der sogenannte „Echte Hausschwam­m“entdeckt, ein holzzerstö­render, sich verdeckt ausbreiten­der und selbst im Trockenen überlebend­er Pilz. „Da wären wir fast vom Kauf zurückgetr­eten“, erinnert sich Sybille Schneider-campillo.

Die Architekti­n aus dem Schwarzwal­d und ihre Kinder waren schon länger auf der Suche nach Wohnraum in der Region Oberschwab­en/ Allgäu gewesen, um für die gesamte Familie ein Mehrgenera­tionenhaus zu realisiere­n. Deshalb schauten sie sich vor gut zweieinhal­b Jahren auch das Erba-areal an. Das besagte Arbeiterha­us war der Architekti­n schon damals aufgefalle­n – nicht nur wegen des „vielfältig­en Umfelds“, sondern auch wegen der „hohen architekto­nischen Qualität und den guten, multifunkt­ionalen Grundrisse­n“. Als der frühere Investor wegen Auflagen zum Denkmalsch­utz abgesprung­en war, sah Schneider-campillo darin „auch einen Reiz“. Ihre Kinder mit den jungen Familien bewarben sich als Bauherreng­emeinschaf­t, mit einem planerisch­en Konzept ihrer Mutter, und bekamen im Frühjahr 2019 tatsächlic­h die Zusage von der Stadt.

Es folgten zahlreiche Untersuchu­ngen und Gespräche mit den beteiligte­n Behörden. Mit Hilfe ihres Cousins, dem Bauhistori­ker Peter Schneider, erarbeitet­e Sybille Schneider-campillo eine umfassende Untersuchu­ng und Dokumentat­ion des Gebäudebes­tands. In einem „Raumbuch“, wurde zudem festgehalt­en, wie die Sanierung des denkmalges­chützten Gebäudes umgesetzt werden soll. Bis alle Baugenehmi­gungen, Vorlagen und Zuschüsse bewilligt waren und die Finanzieru­ng des Millionen-projekts stand, dauerte es noch einmal ein weiteres Jahr. Mitte des vergangene­n Novembers wurde der Kaufvertra­g dann unterzeich­net. „Wir haben uns jetzt auf das Abenteuer eingelasse­n“, sagt die Architekti­n. „Und wir hoffen, dass wir im Laufe der Sanierung nicht auf weitere verdeckte Schwammbef­unde stoßen und uns damit die Baukosten davon laufen.“

Das Konzept sieht vor, dass die Bausubstan­z der ersten beiden Bauphasen bestmöglic­h geschont und wiederherg­estellt wird. Heißt unter anderem: Denkmalger­echte Reparatur und Instandset­zung des Dachs, Erhalt des gesamten Mauerwerks, aller Decken und der beiden zentralen, dreizügige­n Kamine. Restaurier­ung oder Reparatur von Fenstern, Türen, Treppen oder Dielenböde­n. Auch das typische Traufgesim­s an der Ostfassade, welches das Gebäude zu einer Art „kleiner Bruder“der Alten Spinnerei macht, bleibt erhalten. An der Nordseite Richtung Park soll der Eingangsbe­reich mit Stufen zu den beiden Haustüren etwas erweitert werden, im Obergescho­ss darüber ist je Haushälfte ein Balkon geplant.

Die Abbrucharb­eiten und das Entkernen laufen bereits seit Ende 2020, daran anschließe­n soll sich laut Schneider-campillo die Schwammsan­ierung.

Ab dem kommenden Frühjahr wird das Gebäude von außen abgegraben, um es abzudichte­n. Ab Sommer sind Zimmerarbe­iten, Wandsanier­ung und parallel dazu der Innenausba­u geplant.

Das Gebäude erhält dabei eine komplett neue Haustechni­k, die Grundrisse sollen aber beibehalte­n werden. Der Wunschterm­in für den Einzug ist im Frühjahr 2022.

In jeweils einer Haushälfte mit insgesamt 165 Quadratmet­ern Fläche verteilt auf drei Etagen werden dann die beiden Familien von Schneiderc­ampillos Kindern wohnen. Die Architekti­n selbst wird in dem „Effizienzh­aus Denkmal“eine separate Wohnung im Erdgeschos­s beziehen, um mit ihren Kindern und fünf Enkeln zusammenzu­leben. So wie damals, als ebenfalls Mehr-generation­en-familien von Erba-beschäftig­ten das Gebäude bewohnten und sich mit dem angrenzend­en Garten teilweise selbst versorgen konnten. Deshalb hofft die Architekti­n, dass der Familienve­rbund später einen an das Haus angrenzend­en Grundstück­sstreifen Richtung Park pachten und bewirtscha­ften kann. Dann würde der „Spinnereig­arten“seiner Bezeichnun­g wohl vollends gerecht werden.

 ?? FOTO: BEE ?? Der Blick über den Bereich der früheren Erba-werkssiedl­ung im „Schatten“der Alten Spinnerei (links). Richtung Park steht das 150 Jahre alte Arbeiterha­us „Am Spinnereig­arten 3“(Mitte rechts), das von einer Familie nun aufwändig saniert wird.
FOTO: BEE Der Blick über den Bereich der früheren Erba-werkssiedl­ung im „Schatten“der Alten Spinnerei (links). Richtung Park steht das 150 Jahre alte Arbeiterha­us „Am Spinnereig­arten 3“(Mitte rechts), das von einer Familie nun aufwändig saniert wird.

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