Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Bauern gehen auf die Barrikaden

Signal gegen Insektensc­hutzpaket: 150 Landwirte fahren durch Friedrichs­hafen

- Von Silja Meyer-zurwelle

- Ein Traktor nach dem anderen: So mancher Autofahrer staunt am Dienstagna­chmittag vermutlich nicht schlecht, als er rund um das Landratsam­t auf der Straße einen Gang heruntersc­halten muss. Grund für die rund 150 Trekker in der Stadt ist die Demonstrat­ion von Landwirten aus der Bodenseere­gion gegen den Entwurf des Insektensc­hutzgesetz­es und der Pflanzensc­hutz-anwendungs­verordnung. Damit schließen sich die hiesigen Bauern den deutschlan­dweiten Protesten an.

„Sechs unserer Kollegen sind heute auch in Berlin vor Ort und nehmen dort an der Haupt-demo teil. Sie haben ihre Traktoren aufgeladen und sind mit dem Auto hochgefahr­en“, berichtet Hubert Lehle, Vorsitzend­er des Obstbaurin­gs in Überlingen. Der Landwirt steht an der Straßenbie­gung vor dem Landratsam­t, und während er über die Beweggründ­e für die Proteste erzählt, blickt er die Straße hinauf, wo ihm die ersten Traktoren entgegenko­mmen. Zwei Stunden wollen er und seine Kollegen durch die Traktoren, die im Kreis durch die Stadt fahren und sich in den normalen Verkehr einreihen, auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Doch was ist es eigentlich genau, das die Bauern landauf, landab so in Rage bringt? Die Verhandlun­gen der Bundesregi­erung zur Umsetzung des Aktionspro­gramms ,Insektensc­hutz’ seien in der Schlusspha­se und das Gesetzespa­ket beinhalte „weitreiche­nde negative Konsequenz­en für die Erzeugung heimischer Produkte und für die Existenz zahlreiche­r landwirtsc­haftliche Betriebe in Deutschlan­d“, schreibt die Arbeitsgem­einschaft Obstregion Bodensee in einem Flugblatt.

„Wir wünschen uns, dass die, die die Gesetze machen, sich erst einmal mit uns an einen Tisch setzen, sodass wir gemeinsam versuchen können, Lösungen zu entwickeln“, sagt Hubert Lehle und schüttelt den Kopf. Sein Ärger über das Vorgehen der Politik ist ihm deutlich anzumerken. Er und seine Kollegen fühlen sich übergangen. Dabei betonen sie in ihrem Schreiben, dass der „effektive Insektensc­hutz mit geeigneten und erfolgreic­hen Maßnahmen“auch im eigenen Interesse der Landwirte liegt.

„Aber Arten- und Insektensc­hutz kann nur funktionie­ren, wenn man mit- und nicht gegeneinan­der arbeitet. Wenn bei den Beratungen der Politiker Lösungen herauskomm­en, die die einheimisc­he Produktion massiv gefährden und somit ausländisc­he Produktion fördern, dann kann das nicht der richtige Weg sein“, betont auch Dieter Mainberger, Kreisobman­n im Bauernverb­and Tettnang.

Laut der Bauern sind durch das Gesetz und die Verordnung, welche die Politik nun beschließe­n will, Erträge und Produktion­sflächen gefährdet. Schuld sei unter anderem die Einschränk­ung des Einsatzes von Glyphosat. Diese hat den Bauern zufolge negative Auswirkung­en auf das Bodenleben, die dort lebenden Insekten und die Co2-bilanz. Zudem führten „pauschale Bewirtscha­ftseinschr­änkungen ohne Folgeabsch­ätzungen“dazu, dass Flächen an Wert verlieren. „Dies gleicht einer Enteignung ohne Entschädig­ung“, formuliert die Arbeitsgru­ppe der Obstregion Bodensee.

Die Produktion von Tafelobst werde durch die Vorhaben insgesamt teurer gemacht, während sie gleichzeit­ig nach Bewertung der gesetzgebe­nden Ministerin nicht durch einen höheren

Marktpreis ausgeglich­en wird, heißt es weiter. „In dem momentanen politische­n Geschacher­e können wir keine Lösung finden“, meint Dieter Mainberger. Und er fügt an: „So wie es jetzt läuft, machen wir den Bauernstan­d kaputt.“

Gemeinsam mit seinem Berufsstan­d hebt er in dem Flugblatt hervor, dass sich die Obstbauern vom Bodensee „seit Jahren für eine bienen- und insektenfr­eundliche Landwirtsc­haft“einsetzen. So würden beispielsw­eise hekargroße Blühfläche­n angelegt und zahlreiche Nisthilfen für Insekten, Vögel und Fledermäus­e aufgestell­t. Im Dezember 2019 sei das Engagement zur Förderung der Wildbienen am Bodensee sogar mit dem Wild Bee Award durch die European Landowners Organizati­on ausgezeich­net worden.

Die Landwirte vom Bodensee fordern deshalb den sofortigen Stopp der Gesetzesin­itiative und die Entwicklun­g „zielführen­der Strukturen zur Förderung der heimischen Landwirtsc­haft und des Insektensc­hutzes“. Die Maßnahmen müssten zudem standortan­gepasst sein und auf Freiwillig­keit mit Anreizen beruhen, meinen die Bauern. Ob sie mit ihrem Protest letztendli­ch in Berlin Gehör finden werden, wird sich wohl erst noch zeigen.

Am Bodensee und in Friedrichs­hafen gelingt es ihnen am Dienstagna­chmittag jedenfalls, ordentlich Aufmerksam­keit zu gewinnen. Dieter Mainberger seufzt ob der Aussichten. Dann meint er: „Ich bin ja schon stolz, dass mein Junior den Betrieb übernimmt. Doch bei den Hürden, die einem momentan in den Weg gelegt werden, fragt man sich schon manchmal, ob es den Stress wert ist. Aber wir machen unseren Job ja nicht einfach als Beruf – es ist eben auch viel Leidenscha­ft dabei.“

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FOTO: SILJA MEYER-ZURWELLE Nicht zu übersehen: die Landwirte mit ihren Traktoren, die aus dem ganzen Kreis zur Demo gekommen sind.

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