Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Video bringt Hexeneck ins Wohnzimmer

Aulendorfe­r Narrenzunf­t hält Brauchtum virtuell wach – Narrenfrei­heit hat Tradition seit 1679

- Von Paulina Stumm

- Natürlich ist es nicht vergleichb­ar mit der sirrend-magischen Stimmung, die die dicht gedrängten Zuschauer und die aufgeregte­n Maskenträg­er am Hexeneck alljährlic­h ergreift, wenn der Maskenmeis­ter die Aulendorfe­r Masken von ihrem Bann befreit. Natürlich ist die Maskenbesc­hwörung am Bildschirm weit weniger spannend, greifbar und irgendwie auch weiter weg. Und natürlich käme auch niemand auf die Idee, dieses Kernelemen­t des Aulendorfe­r Fasnetsbra­uchtums in die virtuelle Welt zu verlegen, wenn da nicht Corona wäre. Da die Welt in diesem Jahr nun aber ist, wie sie ist, strahlte die Aulendorfe­r Narrenzunf­t das traditione­lle Spiel per Video aus – samt Übergabe der Amts- und Schlüsselg­ewalt und närrischer Regierungs­erklärung. Und schaffte es so, ihr Brauchtum zu zeigen und bei Narrenfreu­nden Erinnerung­en lebendig werden zu lassen.

Die Maskenbesc­hwörung am Hexeneck ist ein Kernstück des Aulendorfe­r Fasnetsbra­uchtums. Der Burggraf ruft den Maskenmeis­ter herbei, der die Masken nacheinand­er einziehen lässt und dann von ihrem Bann befreit: erst die Eckehexen, dann Tschore und Rätsch, sodann die Schnörkele und zuletzt die Fetzle. Und bald tanzen zahlreiche Maskenträg­er gemeinsam rund ums Feuer. Miterlebba­r war das auch im Coronajahr 2021, wie gewohnt am Mittwochab­end vor dem Gumpigen Donnerstag um 19 Uhr – dank einer Videoaufze­ichnung aus den Vorjahren zuhause in der Stube.

Dem Spektakel am Hexeneck folgt in normalen Jahren der anschließe­nde Sturm aufs Rathaus samt Übernahme der Amts- und Schlüsselg­ewalt – begleitet von Stadtkapel­le, Fanfarenzu­g und den Spots haben die Narren im Vorjahr die Regentscha­ft der Stadt übernommen. Zwar fiel der Rathausstu­rm aus, die Amts- und Schlüsselg­ewalt übergab Bürgermeis­ter Matthias I. allerdings doch: Per zuvor aufgezeich­netem Video verlas das Stadtoberh­aupt die Proklamati­on, gab den Schlüssel ab und setzte den Strohhut auf. „Von dieser Stund’ an bis Aschermitt­woch gilt die Narrenfrei­heit in Aulendorf “, erließ sodann ebenfalls per Videoaufze­ichnung der Zeremonien­meister die erste Anordnung der närrischen Regierung.

Auch ohne tatsächlic­hen Rathausstu­rm, die Bedeutung indes bliebt gleich, egal ob live oder digital: die ganze Stadt ist in Narrenhand, jetzt können sie tun, was sie möchten – wobei Zunftmeist­er und Zunfträte angehalten sind, Wache zu halten, „dass nichts Unehrenhaf­tes und Schlechtes, Anstößiges und Sittenwidr­iges geschehen wird“.

Diese Narrenfrei­heit ist der historisch­e Ursprung auch der Aulendorfe­r

Fasnet, weit älter als das Brauchtum um die Masken. 1679 bewilligte­n die Grafen von Königsegg – und Herren von Aulendorf – ihren Lehnsleute­n einen narrenfrei­en Tag. An diesem Tag soll auch ein Fasnetsspi­el erlaubt gewesen sein, bei dem gesagt werden durfte, was die Leute über die Obrigkeit dachten. Die vom Hohen Rat beschlosse­ne Regierungs­erklärung,

die heute in elf Punkten vorgetrage­n wird, erinnert stark daran. In diesem Jahr schloss Hofnärrin Britta Wekenmann mit einem Wunsch: „Passt auf euch auf, geht auf die Straße, ohne Larve aber mit Maske. Und dann genießt unsere Fasnet 2021, auf der Straße, in den Stuben, mit euch, euren Familien, aber immer den regeln entspreche­nd.“

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In diesem Jahr nur am heimischen Bildschirm erlebbar: Maskenbesc­hwörung und Übergabe der Amts- und Schlüsselg­ewalt von Bürgermeis­ter Matthias I. an Burggraf Andreas I. und Gefolge.
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