Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Aufsteigerepos aus dem Bayrischen Wald
Christoph Nußbaumeder verknüpft in seinem ersten Roman „Die Unverhofften“gekonnt das Schicksal einer Arbeiter- und einer Unternehmerfamilie
Als Rache für eine Vergewaltigung hat die Magd Maria die Unternehmerfamilie Hufnagel verflucht. Das Schicksal ihrer Nachkommen ist in dem epischen Familienroman „Die Unverhofften“dennoch eng mit der Familie Hufnagel verbunden.
Mehr als ein Jahrhundert hat Christoph Nußbaumeder in seinem Roman „Die Unverhofften“zusammengetragen. Auf fast 700 Buchseiten lässt er die Leser dem Schicksal einer Unternehmerfamilie wie auch dem der „kleinen Leute“in ihrer Umgebung folgen – wobei sich die Grenzen zwischen dem sozialen Oben und Unten als fließend erweisen. Nußbaumeder war bislang als Dramatiker tätig, seine Stücke wurden bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, an der Berliner Schaubühne, am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Köln aufgeführt.
Mit seinem ersten Roman nun zeichnet Nußbaumeder ein episches Abbild vom sozialem und wirtschaftlichen Wandel in Deutschland. Dabei gelingt es ihm sowohl sprachlich als auch inhaltlich, die Seichtheit mancher historischen Familienromane zu vermeiden und doch für eine breite Leserschaft zu schreiben.
Vom Jahr 1900 bis in die Gegenwart spannt der Autor den erzählerischen Bogen. Im Dorf Eisenstein im Bayerischen Wald, unweit der Grenze zum damaligen Böhmen, liegt die Glashütte der Familie Hufnagel. Hier arbeitet auch die Magd Maria, die vom Sohn des Hüttenbesitzers vergewaltigt wird. Aus Rache brennt die junge Frau, die schon lange die Auswanderung nach Amerika geplant hat, nachts die Hütte nieder und flieht aus Eisenstein.
Das Schicksal von Marias Familie ist der der Hufnagels, so wird sich zeigen, gleich mehrfach miteinander verbunden. Denn in den Schlusstagen des Zweiten Weltkriegs flieht Marias Tochter Erna aus dem Sudetenland zu ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, der als Knecht bei den Hufnagels arbeitet.
Nach dem Feuer in der Glashütte hat die Familie ein Sägewerk errichtet, das Josef Hufnagel leitet. Josef Hufnagel leidet unter der Kinderlosigkeit seiner Ehe und hat eine kurze Affäre mit Erna. Die wiederum ist von einem kommunistischen Deserteur, den sie auf ihrer Flucht traf, schwanger und lässt Josef glauben, er sei der Vater ihres Kindes.
Ernas Sohn Georg ist die eigentliche Hauptfigur des Romans, ein ehrgeiziger und tatkräftiger Mann. Josef vertraut Georg schon als 18Jährigem das Sägewerk an, während er selbst mehr und mehr in der Politik ein neues Betätigungsfeld sucht. Als sich Georg und Josefs älteste Tochter Gerlinde ineinander verlieben, ist das für den Familienpatriarchen jedoch ein Unding, glaubt er doch, die beiden seien Geschwister.
Die Wirtschaftswunderjahre katapultieren Georg als Mann aus kleinen sozialen Verhältnissen nach ganz oben. Doch der Unternehmer, der in den Anfangsjahren noch selbst auf Baustellen mit anfasst und lange nichts von Krediten wissen will, weil er bei niemandem in der Schuld stehen will, verändert sich, je weiter er sich von seinen Wurzeln entfernt. Der Macher ordnet alles der Arbeit unter, selbst als Schicksalsschläge die Familien treffen. Erst im Alter und über seine Enkelin wird er noch einmal eine Wende in seinem Leben erfahren.
Wirtschaftswandel, Arbeits- und Sozialpolitik, Wertedebatten Immobilienspekulationen, Profitstreben und Sinnsuche, selbst die Fridaysfor-future-bewegung schaffen es in diesen Generationen übergreifenden Roman, der ohne Kitsch und Verklärung auskommt. Ganz am Ende geht es noch einmal zurück zu den Anfängen und klärt die letzten offenen Fragen zu Marias Schicksal am Beginn des 20. Jahrhunderts. (dpa)
Suhrkamp Verlag, Berlin, 671 Seiten, 25 Euro.
Christoph Nußbaumeder: Die Unverhofften,