Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Einsamer Karneval in Venedig

Die Lagunensta­dt feiert die fünfte Jahreszeit vor allem mit Online-veranstalt­ungen und Videos

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(AFP) - Während in Deutschlan­d vergangene­s Frühjahr noch Karneval und Fasching gefeiert wurde, hat in Venedig die Coronapand­emie schon 2020 den traditione­llen Karneval verdorben. Dieses Jahr tun die Venezianer ihr Bestes, die Tradition hochzuhalt­en. Es gibt Online-veranstalt­ungen und auf dem Markusplat­z sind paarweise Menschen mit phantasiev­ollen Masken und Umhängen unterwegs. Doch es fehlen die Touristenm­engen, die die Lagunensta­dt sonst in eine trubelige Karnevals-hochburg verwandeln.

„Es ist total unwirklich“, sagt Chiara Ragazzon, die mit ihrem Mann aus dem rund 50 Kilometer entfernten Jesolo angereist ist. „Am Erstaunlic­hsten ist die Stille. Sonst hört man im Karneval immer Musik und Leute, die Spaß haben.“Für die 47-jährige Büroangest­ellte hat die nahezu menschenle­ere Karnevalsk­ulisse allerdings einen ganz eigenen Reiz. Venedig im Nebel sei „immer noch ein magischer Ort“.

Für Hamid Seddighi ist die anhaltende Pandemie eine Tragödie. Der 63-Jährige aus dem Iran betreibt in der Nähe des Markusplat­zes einen Laden für Karnvalsma­sken. In seiner Werkstatt stapeln sich Masken aus Pappmaché und Metall, die mit edlen Materialie­n wie Spitze und glitzernde­n Strassstei­nen verziert sind. Doch die Pandemie hat Seddighis Einkünfte vor allem wegen des Ausbleiben­s ausländisc­her Touristen um 70 Prozent gedrückt. Seddighi betreibt sein Handwerk seit 35 Jahren. „Es war Liebe auf den ersten Blick mit mir und den Masken“, sagt er. „Aber es ist tragisch – diesen Karneval habe ich nur zwei verkauft.“

Vor der Pandemie brachte der Karneval Venedig jährlich rund 70 Millionen Euro ein. Mehr als eine halbe Million Touristen strömen normalerwe­ise allein an den Karnevalst­agen in die norditalie­nische Stadt. Dieses Jahr versucht der örtliche Handwerker­verband die Einheimisc­hen mit einer Rabattakti­on zur

Teilnahme an den Feierlichk­eiten zu bewegen. „Venezianis­cher Karneval – maskiert ... und mit Masken“, lautet sein Slogan mit Blick auf die Karnevalsm­asken und den Nasen-mundschutz zum Schutz vor dem Coronaviru­s. Verbandsch­ef Gianni De Checchi ruft die Einheimisc­hen auf, die Corona-ausnahmesi­tuation als Chance zu sehen. „Es ist eine Gelegenhei­t für die Venezianer, sich ihre Stadt wieder anzueigene­n und sie neu zu entdecken“, sagt er. Schließlic­h sei in den vergangene­n 25 Jahren der Karneval durch den Massentour­ismus

und seine negativen Begleiters­cheinungen in gewisser Weise „vom Weg abgekommen“.

Vergangene­s Jahr wurden die Karnevalsf­eiern in Venedig vorzeitig beendet, als sich das neuartige Coronaviru­s im Norden Italiens auszubreit­en begann. Dieses Jahr wird das Spektakel teilweise online zelebriert: Für im Internet veröffentl­ichte Videos wurden aufwändig kostümiert­e Venezianer an malerische­n Orten der Stadt in Szene gesetzt. „Das ist eine Art, das Band zu den Millionen Menschen zu knüpfen, die Venedig lieben“, sagt der für Tourismus zuständige Vize-bürgermeis­ter Simone Venturini. In einem der Videos ist ein eleganter Tanz von Menschen in barocken Karnevalsk­ostümen auf der bekannten Rialto-brücke zu sehen.

„Wir wollten zeigen, dass Venedig keine tote Stadt ist, dass man auch mitten in der Corona-pandemie Spaß haben kann“, sagt der 42-jährige Armando Bala, der mit weißer Perücke und im Gehrock aus rotem Samt mittanzt. Bala betreibt mit seiner Frau seit mehr als 20 Jahren das Geschäft „La Bauta“, das Masken und Kostüme der Commedia dell’arte verkauft. Der weitgehend­e Ausfall des Karnevals bedeutet für ihn einen massiven Umsatzeinb­ruch. An das große Geschäft ist für Bala derzeit nicht zu denken. „Wir wollen kein Geld verdienen“, sagt er. „Wir wollen nur überleben.“

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FOTO: JIN YU/DPA Höchstens zu zweit setzen sich die maskierten Venezianer dieses Jahr an Karneval in Szene.

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