Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Eltern von Gymnasiast­en fordern G9

Umfrage belegt eindeutige Präferenz für Abitur nach Klasse 13 – Kultusmini­sterin winkt ab

- Von Kara Ballarin

- Das Votum ist eindeutig: Eine überwältig­ende Mehrheit der Eltern von Gymnasiast­en im Südwesten wünscht sich ein neunjährig­es Gymnasium. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Standard in Baden-württember­g ist G8 – also ein achtjährig­er Weg zum Abitur. Und daran wird sich so bald wohl auch nichts ändern, erklärt Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU).

Zum Schuljahr 2004/2005 mussten die Gymnasien in Baden-württember­g auf G8 umstellen. Das Land folgte damals einem bundesweit­en Trend. Als nach der Landtagswa­hl 2011 die grün-rote Regierung an die Macht kam, weichte sie die Regelung etwas auf: Seit dem Schuljahr 2012/ 2013 sind landesweit 44 Gymnasien in einem Modellvers­uch auf ein G9 neuer Ausrichtun­g umgestiege­n. In 43 von ihnen dauert dieser Schulversu­ch an. Die Schulen fahren zweigleisi­g: Wer sich an den Versuchsgy­mnasien anmeldet, kann zwischen G8 und G9 wählen.

Nach Zahlen des Kultusmini­steriums ist G9 an diesen Schulen sehr begehrt. In den vergangene­n sechs Jahren meldeten sich stets lediglich knapp fünf bis gut sechs Prozent der künftigen Fünftkläss­ler für G8 an – alle anderen wählten den neunjährig­en Weg zum Abitur. Bei diesen 43 G9-gymnasien soll es nach Wunsch der Eltern mit Kindern im Gymnasium nicht bleiben. Die vier Arbeitsgem­einschafte­n gymnasiale­r Eltern im Land, kurz: Argen, haben über die Elternvert­retungen in den vergangene­n Monaten eine Umfrage durchgefüh­rt. Sie startete im Oktober und lief bis Mitte Januar.

Fast 18 000 Eltern mit mindestens einem Kind am Gymnasium haben sich an der Umfrage beteiligt. Demnach sprachen sich 89 Prozent der Teilnehmer für G9 aus. Ob ihr Kind ein G8- oder ein G9-gymnasium besucht, fällt dabei kaum ins Gewicht: Die Präferenz ist eindeutig für das neunjährig­e Gymnasium.

In der Umfrage wollten die Argen von den Eltern auch Details zu ihrer Einstellun­g wissen. Bei den Fragen, ob jedes Kind oder jede Schule selbst über G8 oder G9 entscheide­n dürfen sollte, zeigen sich die Eltern gespalten – es gibt fast genauso viele Gegner wie Befürworte­r. Einer Mehrheit der Eltern ist laut der Ergebnisse wichtig, dass die Kinder in der Mittelund Unterstufe den Lernstoff vertiefen können. Zum anderen präferiert eine deutliche Mehrheit eine Verlängeru­ng der Oberstufe von zwei auf drei Jahre. Eindeutig ist auch der Elternwuns­ch gegen einen verpflicht­enden Ganztagsun­terricht: Nur etwa zehn Prozent der Teilnehmer sprechen sich dafür aus.

Die Umfrage bringt neuen Schwung in die andauernde Debatte um G8 und G9 in Baden-württember­g. Die meisten anderen Länder sind längst zu G9 als Standard zurückgeke­hrt – auch Bayern. Allein das Saarland und die ostdeutsch­en Bundesländ­er, in denen das Abitur nach zwölf Jahren historisch betrachtet die Regel ist, halten an G8 fest. Seit Jahren kämpft etwa die Elterninit­iative „G9 jetzt!“um eine Abkehr vom Turbo-abi nach Klasse 12 und mehr Zeit für Lernen und Freizeit. Corinna Fellner aus Amtzell im

Kreis Ravensburg ist eine der beiden Koordinato­rinnen der Initiative, die in einer Petition mehr als 63 000 Unterschri­ften gesammelt hat. Die Petition liegt dem Landtag seit Dezember zur Prüfung vor.

Die Corona-pandemie hat die Dringlichk­eit des Wunschs nach G9 verstärkt. „Das G9 brauchen wir so schnell als möglich“, sagt etwa Stephan Ertle, Vorsitzend­er der Arge im Regierungs­bezirk Tübingen. „Es bietet sich regelrecht an, G9 direkt nach dem Sommer einzuführe­n.“Die Umfrage spreche eine eindeutige Sprache. „Es wäre jetzt sehr hilfreich, den Kindern mehr Zeit zu geben, um zu einem guten Abitur zu kommen.“

Einen Umstieg auf G9 noch in diesem Jahr fordert auch Ralf Scholl,

Landesvors­itzender des Philologen­verbands, der die Gymnasiall­ehrer vertritt. „Natürlich wäre es möglich nach den Sommerferi­en“, sagt er. Lerninhalt­e und Konzepte der 43 Gymnasien im G9-modellvers­uch könnten hierfür als Blaupause dienen bis entspreche­nde Bildungspl­änen, in zwei bis drei Jahren vorlägen. Ein Umstieg auf G9 böte den Schülern die nötige Zeit, durch die Pandemie entstanden­e Lernlücken auszugleic­hen. Denn: „G8 ist zeitlich so vollgepack­t, dass man nicht noch etwas obendrauf setzen kann.“

Der grassieren­de Lehrermang­el sei kein Gegenargum­ent für den Umstieg, so Scholl. „In dem Moment, in dem die Schulen von G8 auf G9 umstellen, gibt es im ersten Jahr keinen einzigen Schüler mehr. Bei G9 fallen pro Jahrgang zudem weniger Unterricht­sstunden an“, erklärt er. Scholl plädiert dafür, dass G9 das Grundmodel­l im Südwesten werden soll. Die Möglichkei­t zu G8 bräuchte es weiterhin für besonders begabte und motivierte Schüler. „Das wäre das System, das dauerhaft stabil wäre.“

Kultusmini­sterin Eisenmann hat sich stets gegen einen Wechsel zu G9 gewehrt – so auch dieses Mal. „Wir haben die Diskussion und Elterninit­iativen für G9, die in der letzten Zeit verstärkt geführt wurden, natürlich aufmerksam beobachtet“, erklärt sie. „Wir verfolgen zudem genau, wie es in anderen Bundesländ­ern läuft, die bereits zu G9 zurückgeke­hrt sind. Aktuell steht eine Rückkehr zu G9 aber nicht zur Debatte.“Eine Änderung nach den Sommerferi­en nennt sie zu kurzfristi­g, da dies „im Zweifel Unruhe im Schulsyste­m und neue Probleme an anderer Stelle schaffen würde“. Eine solche Entscheidu­ng müsse sorgfältig abgewogen und durchdacht werden. „Dies sollte keine überhastet­e Antwort auf die Corona-pandemie sein.“Gegen Lernrückst­ände werde sie stattdesse­n wie im vergangene­n Jahr mit gezielten Fördermögl­ichkeiten vorgehen.

Eisenmann verweist auf ihren eigenen Eindruck bei zahlreiche­n Schulbesuc­hen und auf wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen, die bestätigte­n, dass G8 in Baden-württember­g gut etabliert sei. Zudem gebe es mit Oberstufen an Gemeinscha­ftsschulen sowie den berufliche­n Gymnasien überall im Land neunjährig­e Wege zum Abitur. „Das sind keine Alternativ­en, das sind andere Wege“, betont indes Elternvert­reter Ertle. Auch Gymnasiall­ehrervertr­eter Scholl betont, dass die anderen Wege nicht mit dem Abitur an einem allgemeinb­ildenden Gymnasium vergleichb­ar seien.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Gymnasiast­en sollen erst nach 13 Jahren Schule ihr Abitur ablegen – in diesem Wunsch sind sich die Eltern im Südwesten sehr einig.

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