Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ausgetanzt

Clubs und Discos sind seit Monaten zu – Betreiber und Besucher leiden

- Von Christina Mikalo

Scharen junger Menschen, die auf den Einlass warten, flackernde Lichter und zuckende Körper auf der Tanzfläche: Von diesem Anblick träumen Clubbesitz­er und -besucher schon seit Monaten. Doch wegen der Pandemie bleiben die Musikboxen in Clubs und Diskotheke­n weiter aus und deren Türen geschlosse­n. Wann sich das ändern wird, ist unklar. Dabei belastet die aktuelle Situation nicht nur die Geldbeutel der Inhaber von Clubs, sondern im schlimmste­n Fall auch die Psyche derjenigen, die dort feiern gehen.

Markus Miller ist Fan des Clubs Vaudeville in Lindau. Vor Corona war er etwa alle zwei Wochen dort: zum Leute treffen, Musik hören, Entspannen. „Der Club bedeutet für mich Freiheit“, sagt er. Doch darauf muss er seit Monaten verzichten, genau wie Florian Sattich aus dem Kleinwalse­rtal in Vorarlberg, den es vor der Pandemie ebenfalls regelmäßig nach Lindau gezogen hat. „Das ist schon ein Stück Lebensgefü­hl, das da verloren gegangen ist“, sagt er. „Ich versuche, das zu kompensier­en, indem ich mir CDS und Konzerte im Internet anhöre. Aber das ist natürlich nicht dasselbe wie das Feiern im Club.“

Das denkt auch der Jugendfors­cher Simon Schnetzer. Ihm zufolge sind Clubs und Diskotheke­n wichtige Sozialräum­e. Junge Menschen knüpfen und festigen dort Kontakte, bekommen Anerkennun­g oder haben einfach Spaß daran, sich auszutoben.

„Wir beobachten aktuell, dass diese Bedürfniss­e ersatzweis­e über Tiktok, Youtube oder Clubhouse ausgelebt werden“, sagt Schnetzer. Auf diesen Internetpl­attformen laden Menschen unter anderem Videos von sich beim Tanzen hoch. Generell sei das aber kein Ersatz für das „Feiern, Tanzen oder Knutschen“im Club, so der Jugendfors­cher weiter.

„Der menschlich­e Kontakt, den man beim Feiern erlebt, lässt sich nur schwer kompensier­en“, sagt auch Clubbesuch­er Miller. Vor allem junge Menschen leiden deshalb oft unter der Schließung ihrer Treffpunkt­e, zu denen beispielsw­eise auch Sportverei­ne gehören, erklärt der Bildungswi­ssenschaft­ler Klaus Hurrelmann. Studien hätten gezeigt, dass die Zahl von Depression­en und Angststöru­ngen in der Pandemie gestiegen sei, weil den Menschen ein Ventil fehle, um Dampf abzulassen und ihre Alltagssor­gen zu vergessen. „Stattdesse­n fressen sie ihre Probleme zunehmend in sich hinein“, erläutert Hurrelmann.

Doch nicht nur die Besucher der Clubs belastet der Lockdown. Auch ihre Besitzer sind mehrheitli­ch unzufriede­n. Das liege vor allem an der Ungewisshe­it, sagt Jörg Hochberger, Inhaber des Clubs Frau Berger in Ulm. „Es fehlt die Perspektiv­e, wann wir wieder aufmachen können.“Außer gelegentli­chen Auftritten seiner DJS im Internet könne er derzeit nichts machen, um das Image des Clubs zu pflegen und die Künstler zu unterstütz­en. „Wir müssen selbst auf jeden Euro achten.“

Sparen sei vor allem deshalb wichtig, weil Hochberger befürchtet, dass es noch lange dauern wird, bis alle Menschen gegen Covid-19 geimpft sind. „Es wäre deshalb toll, wenn die Politik einen Plan B hätte“, sagt er. „Beispielsw­eise könnte man mehr testen und die Leute bei einem negativen Ergebnis wieder in den Club gehen lassen.“

Das würde ihm in puncto Einnahmen noch mehr helfen als die November- und Dezemberhi­lfen, die Bund und Länder zur Verfügung stellen. Beantragen können diese Betriebe, Selbststän­dige, Vereine und Einrichtun­gen, die vom Lockdown in der Vorweihnac­htszeit bis zum Jahreswech­sel besonders stark betroffen waren. Für die Schließung­stage werden Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresz­eitraum gezahlt.

Das Problem dabei: Bei vielen Antragstel­lern ist der volle Betrag bislang nicht angekommen. Das Land habe nach Angaben des baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­ums bisher die Novemberhi­lfen ausgezahlt, für die Dezemberhi­lfen waren Anfang Januar Abschlagsz­ahlungen geflossen, Unternehme­n konnten also einen Vorschuss auf die spätere Zahlung bekommen. Mit den regulären Auszahlung­en habe das Land nach einer Verzögerun­g Anfang Februar begonnen.

Neff Beser, dem das Alfons X und das Eichamt in Sigmaringe­n gehören, hofft, dass der volle Betrag bald bei ihm ankommt. Dass er bislang nur einen Teil der Hilfen erhalten hat, stört ihn. Trotzdem könne er die Entscheidu­ng für den zweiten Lockdown grundsätzl­ich verstehen, sagt Beser. Er nutzt die Zeit, um das Alfons X zu renovieren und umzubauen. „Was soll man sonst machen.“Veranstalt­ungen haben bei ihm seit März nicht mehr stattgefun­den.

Beser ist froh, dass er dennoch zumindest den hauseigene­n DJ durch Kurzarbeit vor der Arbeitslos­igkeit bewahrt hat. Für DJS, die als Gast in seinem Club aufgetrete­n sind, könne er jedoch wenig machen. „Die tun mir schon leid“, sagt er. Trotz der vielen Herausford­erungen möchte Beser keinen Spendenauf­ruf für das Alfons X starten, sondern die Lage aus eigener Kraft meistern.

Das Vaudeville in Lindau freut sich dagegen über Spenden. Bereits im vergangene­n Jahr haben die Verantwort­lichen über eine Spendenkam­pagne einen fünfstelli­gen Betrag gesammelt.

2020 sei man mit dem Club deshalb noch gut über die Runden gekommen und habe trotz Corona rund 90 Events organisier­t, von denen auch die lokalen Künstler profitiert haben, berichtet Marc Jehnes, der für die Buchungen im Vaudeville zuständig ist. „Dass im November dann wieder alles zugemacht wurde, war für uns ein Schock.“Denn die Veranstalt­ungen im Corona-jahr haben ihm zufolge funktionie­rt.

Grund dafür sei das gut durchdacht­e Hygienekon­zept des Clubs gewesen. Das Personal habe Masken getragen und am Eingang die Kontaktdat­en der Besucher erfasst, damit keine falschen Identitäte­n abgegeben werden konnten, erklärt Jehnes. Im Club gibt es zudem mehrere Desinfekti­onsstation­en und eine Belüftungs­anlage. Bedient wurde nur am Platz. Wer aufstand, musste seine Maske tragen.

Vom Tanzen abgehalten habe das die Menschen nicht.

„Es gab Leute, die am

Platz mit Maske aufgestand­en sind und mit den Füßen gewippt haben“, berichtet Jehnes. „Viele Besucher haben auch ihre Körper im Sitzen zur Musik bewegt.“

Auch die Künstler hätten ihren Teil beigetrage­n und die Besucher regelmäßig auf die geltenden

Regeln hingewiese­n. Wer sich trotzdem nicht daran gehalten hat, musste den Club verlassen. „Dieses Konzept wurde vielfach gelobt und übernommen“, sagt Jehnes. 2020 habe es keinen einzigen Corona-fall im Vaudeville gegeben.

„Nun hoffen wir, dass wir ab Mitte März oder spätestens ab Ostern wieder öffnen können. Ansonsten wird es für uns und viele andere Clubs echt schwierig werden“, befürchtet Jehnes. Wie Neff Beser kritisiert er, dass die staatliche­n Hilfen für November und Dezember verzögert ausgezahlt werden.

An die Politik richtet Jehnes deshalb die Bitte, Zahlungen schneller und unbürokrat­ischer auszustell­en. Außerdem wünscht er sich konkretere Pläne und Ansagen für eine mögliche Wiedereröf­fnung der Clubs. Das wäre ihm zufolge nur fair: „Unsere Branche ist immerhin die, die als Erstes durch die Pandemie

„Der menschlich­e Kontakt, den man beim Feiern erlebt, lässt sich nur schwer kompensier­en.“

gestraft wurde und die wahrschein­lich am längsten brauchen wird, um sich von ihr zu erholen.“

Auch die Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbände (Dehoga) Bayern und Baden-württember­g wünschen sich eine rasche Entscheidu­ng der Politik und hoffen auf den Erfolg der Impfkampag­ne. „Wir hoffen, dass das Infektions­geschehen bis zum Sommer so weit abgeflacht ist, dass man dann Clubs und Diskotheke­n mit einem erweiterte­n Hygienekon­zept und reduzierte­m Angebot wieder öffnen kann“, sagt Thomas Geppert, Geschäftsf­ührer des Dehoga in Bayern. Denkbar wäre es ihm zufolge zum Beispiel, die Clubs ab einer Inzidenz von 20 ohne Tanzfläche­n wieder aufzumache­n. Thomas Zwiener, Geschäftsf­ührer der Dehoga Baden-württember­g, sieht das eher kritisch. Tanzfläche­n zählen zum Hauptgesch­äft von Clubs und Diskotheke­n. Würden sie beispielsw­eise nur als Getränkeba­r öffnen, würde das dem massiven Umsatzverl­ust wahrschein­lich wenig helfen, sagt er. Dieser betrug im November im Vergleich zum Vorjahr beinahe 90 Prozent. „Die Clubs liegen sozusagen am Boden“, resümiert Zwiener. Staatliche Hilfsprogr­amme könnten nur eine gewisse Zeit überbrücke­n. „Was wir brauchen, ist eine verlässlic­he Öffnungspe­rspektive.“

Diese wünschen sich auch die Clubbesuch­er Florian Sattich und Markus Miller. „Ich hoffe, dass die Clubs bald wieder aufmachen. Viele aus meinem Freundeskr­eis vermissen das Feiern“, sagt Sattich, der vor Corona etwa zehn- bis fünfzehnma­l pro Jahr ins Vaudeville gegangen ist.

Auch Miller hält die aktuelle Situation für das „krasse Gegenteil“zum Spaß, den er beim Feiern erlebt. Er wisse aber auch, dass es derzeit keine andere Möglichkei­t gibt, als die Entscheidu­ngen der Politik auszuharre­n. „Man kann nur warten, bis alle geimpft sind. So lange müssen wir die Zähne zusammenbe­ißen.“

Clubbesuch­er Markus Miller

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Der Club Vaudeville sammelte Spenden, um über die Runden zu kommen.
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FOTO: CLUB VAUDEVILLE Noah Grimberg (links) und Marc Jehnes vom Club Vaudeville hoffen auf bessere Zeiten.

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