Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Mit Schlagbäum­en gegen Mutationen

Ab Sonntag gelten wegen hoher Verbreitun­g der Corona-varianten Einreisebe­schränkung­en für Tirol und Tschechien – Fdp-innenexper­te Strasser fordert neue Teststrate­gie

- Von Stefan Kegel, Ellen Hasenkamp Daniel Hadrys und dpa

- Seit den unkoordini­erten Schlagbaum­schließung­en und kilometerl­angen Staus vor einem Jahr gelten Eu-grenzkontr­ollen als allerletzt­es Mittel im Kampf gegen das Virus. Trotzdem sollen sie jetzt ausgeweite­t werden.

Was ist geplant?

Deutschlan­d hatte am Donnerstag wegen des verstärkte­n Auftretens mutierter Coronavire­n Tschechien und das österreich­ische Bundesland Tirol als Virusmutat­ionsgebiet­e eingestuft. Das Bundesinne­nministeri­um ordnete ab Sonntag Grenzkontr­ollen an, um die damit verbundene­n Beförderun­gs- und Einreiseve­rbote durchzuset­zen, auch für die Slowakei gilt ein Beförderun­gsverbot. Was das für Einreisend­e aus Tschechien und Tirol genau bedeutet, steht aber noch nicht fest. Im Großen und Ganzen werde man sich wohl an den Regelungen orientiere­n, die es für Einreisen aus anderen Virusmutat­ionsgebiet­en wie Portugal oder Großbritan­nien gibt, hieß es. Von dort dürfen im Prinzip nur noch Deutsche, Ausländer mit Wohnsitz in Deutschlan­d sowie medizinisc­hes

Personal und – unter bestimmten Voraussetz­ungen – Transitpas­sagiere einreisen. Auch Lieferverk­ehr soll erlaubt bleiben, womöglich aber verbunden mit der Verpflicht­ung für Lastwagenf­ahrer, einen negativen Test vorzuweise­n.

Die Züge der Deutschen Bahn (DB) und der Bayerische­n Regiobahn (BRB) fahren wegen der neuen Corona-regelungen bereits bis auf Weiteres nicht mehr nach Tirol.

Wieso kann man im Schengenra­um die Grenzen schließen?

Grundsätzl­ich sind die Binnengren­zen zwischen den beteiligte­n Staaten quasi abgeschaff­t. Das heißt aber nicht, dass Grenzkontr­ollen unmöglich oder verboten wären: Vielmehr ist im Schengen-kodex geregelt, dass die Mitgliedst­aaten vorübergeh­end und in Ausnahmefä­llen solche Kontrollen einführen können. Das wurde auch immer wieder gemacht – beispielsw­eise, um Randaliere­r von Fußballspi­elen oder Gipfeltref­fen fernzuhalt­en. Auch in der Flüchtling­skrise wurden von einigen Staaten, darunter Deutschlan­d, Grenzkontr­ollen eingeführt. Sie gelten teilweise bis heute, obwohl die Maßnahme eigentlich nur temporär genutzt werden soll. Gänzlich geschlosse­n werden die Grenzen dabei allerdings nicht, nur kontrollie­rt.

Was ist daran problemati­sch?

Der Fdp-innenpolit­iker Benjamin Strasser erinnert an die negativen Folgen der Beschränku­ngen für Familien und Wirtschaft. „Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz sind in unserer Region eng verwoben“, sagte Strasser der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Grenzschli­eßungen seien daher eine emotionale Belastung für viele Menschen und die regionalen Unternehme­n gewesen.

In einem Positionsp­apier fordert er Maßnahmen zur Vermeidung von Grenzschli­eßungen. Das Papier liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“exklusiv vor. Landes- und Bundesregi­erungen müssen demnach eine Teststrate­gie für „berufs- und familienbe­dingte Pendler“auflegen. Die Zahl der Tests sollte erhöht werden. Dafür sollte die Regierung die Hersteller bei der Zertifizie­rung der neuen Selbsttest­s unterstütz­en und erwägen, ihren Erwerb zu bezuschuss­en. Von den Landesregi­erungen fordert er zudem, Testzentre­n für die verlässlic­heren Pcr-tests in grenznahen Regionen zu errichten.

Sollten weitere Grenzkontr­ollen notwendig werden, dürften Logistikke­tten nicht unterbroch­en werden. Bund und Länder müssten Vorkehrung­en für die digitale Übermittlu­ng von Fahrerdate­n treffen. „Prioritäts­spuren“an den Kontrollst­ellen könnten den Warenfluss gewährleis­ten.

Die Grünen-europapoli­tikerin Franziska Brantner warnt jedoch vor „Chaos“, wenn beispielsw­eise Pendler erst an der Grenze auf Corona getestet werden oder dort ihre negativen Ergebnisse vorzeigen müssen. Sie fordert „praktikabl­e Lösungen vor Ort zum Schutz der Menschen und zum Erhalt des Lebens in unseren Grenzregio­nen“, beispielsw­eise Tests direkt am Arbeitspla­tz. „Die offenen Grenzen in Europa sind und bleiben ein hohes Gut, das es auch in dieser Krise weiter zu schützen gilt“, betonen die Spd-europapoli­tiker Achim Post und Dirk Wiese und fordern „Augenmaß“.

Welches Land ist als nächstes dran?

Ob es zu Einreisebe­schränkung­en im Grenzverke­hr mit anderen Nachbarlän­dern kommt, hängt an der jeweiligen Corona-lage. Die ist unterschie­dlich. Alle Länder um Deutschlan­d herum sind als Risikogebi­ete eingestuft. Von den Nachbarlän­dern gelten allerdings zurzeit nur Tschechien und das österreich­ische Bundesland Tirol als Virusmutat­ionsgebiet­e. Damit gemeint sind Gegenden, in denen Mutationen des Coronaviru­s stark um sich greifen.

In Polen sind Geschäfte geöffnet, und seit Freitag dürfen auch Hotels und Gaststätte­n, Kinos und andere Einrichtun­gen wieder Gäste empfangen. Allerdings gelten hier im Grenzverke­hr Einreisebe­schränkung­en. Wer von dort ohne einen höchstens 48 Stunden alten negativen Coronatest nach Deutschlan­d einreist, muss für zehn Tage in Quarantäne oder kann sich nach fünf Tagen mit einem negativen Corona-test freikaufen. Auch Tschechien plant trotz hoher Infektions­zahlen am Wochenende Lockerunge­n des Lockdowns.

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FOTO: BERND MÄRZ/DPA Die Bundespoli­zei kontrollie­rt am Grenzüberg­ang im bayerische­n Schirnding Autofahrer, die aus Tschechien kommen.

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