Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Unternehme­n sollen Menschenre­chte achten

Die Bundesregi­erung einigt sich nach langem Streit auf ein Lieferkett­engesetz

- Von Hannes Koch und Andreas Knoch

- Erstmals werden deutschen Unternehme­n strikte gesetzlich­e Pflichten für die weltweite Einhaltung der Menschenre­chte auferlegt. Dass sie sich auf den Entwurf für das Lieferkett­engesetz geeinigt haben, gaben Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU), Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag bekannt. Zunächst 600 große einheimisc­he Firmen müssen die neuen Regeln ab Anfang 2023 umsetzen.

Das Lieferkett­en- oder auch Sorgfaltsp­flichtenge­setz beschäftig­t die Regierungs­koalition aus Union und SPD seit Jahren. Es geht darum, dass in Deutschlan­d sitzende, produziere­nde und verkaufend­e Unternehme­n mehr Verantwort­ung für die Zustände in ihren ausländisc­hen Zulieferfa­briken übernehmen sollen. Dort sind die sozialen und ökologisch­en Bedingunge­n oft schlecht. Die hiesigen Firmen sollen sich grundsätzl­ich darum kümmern, dass ihre Zulieferer beispielsw­eise ausreichen­de Löhne zahlen, den Arbeiterin­nen und Arbeitern Mindesturl­aub einräumen und keine gesundheit­sschädlich­en Chemikalie­n einsetzen. Weil Wirtschaft­sverbände und einige Firmen protestier­ten, hat sich Altmaier lange gegen zu strenge Regelungen gewehrt.

„Das ist das bislang stärkste Gesetz in der Europäisch­en Union“, sagte Heil. „Die Menschenre­chte werden weltweit besser geschützt“, betonte Altmaier, „aber die deutsche Wirtschaft soll nicht schlechter dastehen.“Besonders angesichts der Corona-krise habe er das verhindert.

Deshalb soll das Gesetz zwar Anfang 2022 in Kraft treten, aber erst ab 1. Januar 2023 von zunächst rund 600 Unternehme­n mit mehr als 3000 inländisch­en Beschäftig­ten umgesetzt werden. Von Anfang 2024 an gilt es auch für Unternehme­n mit mehr als 1000 Mitarbeite­rn. Das betrifft etwa 2900 Firmen. „Der Mittelstan­d fällt also nicht darunter“, sagte Altmaier. Am 24. Februar könnte das Bundeskabi­nett über den Entwurf entscheide­n.

Laut Heil müssen hiesige Unternehme­n künftig ihre Lieferkett­e untersuche­n und dies in Risikoberi­chten dokumentie­ren. Dabei gibt es jedoch Abstufunge­n. Die höchsten Standards gelten im eigenen Betrieb.

Dann folgen etwas abgeschwäc­ht die direkten Zulieferer. Auch für die Arbeitsbed­ingungen dort ist das jeweilige deutsche Unternehme­n mitverantw­ortlich. Für Textilhänd­ler sind das beispielsw­eise die Nähereien in Bangladesc­h. Um die Zustände bei deren Vorliefera­nten – etwa Spinnereie­n, Färbereien oder Baumwollpr­oduzenten – müssen sich die hiesigen Firmen nur kümmern, wenn es einen Anlass zur Sorge gibt, wenn sich beispielsw­eise Beschäftig­te von Vorliefera­nten beim deutschen Unternehme­n beschweren. Die Details waren am Freitag jedoch unklar, weil der Gesetzentw­urf noch nicht vorlag.

Zudem habe man sich auf ein „effektives Sanktionsr­egime“geeinigt, sagte Müller. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle (Bafa) in Eschborn bei Frankfurt am Main, eine nachgeordn­ete Behörde des Wirtschaft­sministeri­ums, wird die Dokumente der Firmen überprüfen und bei Bedarf Kontrollen im Inund Ausland durchführe­n. Halten Unternehme­n die Regeln nicht ein, drohen ihnen „Zwangs- und Bußgelder“, so Heil. Diese sollen „bis zu zehn Prozent des Umsatzes“betragen können, so der Arbeitsmin­ister. Auch hier ist freilich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Bei deutlichen Verstößen können Betriebe zur Strafe sogar für drei Jahre von öffentlich­en Ausschreib­ungen in Deutschlan­d ausgeschlo­ssen werden.

Während Müller und Heil den Arbeitern der Zulieferfa­briken ursprüngli­ch den Gang zu deutschen Gerichten erleichter­n wollten, hat Altmaier das verhindert. Eine verschärft­e zivilrecht­liche Haftung gibt es im Gesetzentw­urf nicht. Allerdings sollen Gewerkscha­ften, Bürgerrech­tsund Entwicklun­gsorganisa­tionen künftig die Möglichkei­t bekommen, im Namen von ausländisc­hen Geschädigt­en vor hiesigen Gerichten zu klagen. Diese Drohung dürfte Firmen anspornen, das Gesetz einzuhalte­n.

Frank Schwabe, Spd-sprecher für Menschenre­chte, geht davon aus, dass das Gesetz „eine internatio­nale Signalwirk­ung“entwickelt. „Der heutige Kompromiss ist ein wichtiger und längst überfällig­er Schritt in die richtige Richtung“, sagte Johanna

Kusch von der zivilgesel­lschaftlic­hen Initiative Lieferkett­engesetz. „Durch die fehlende zivilrecht­liche Haftung wird Opfern von schweren Menschenre­chtsverlet­zungen ein verbessert­er Rechtsschu­tz vor deutschen Gerichten aber verwehrt.“Andere Organisati­onen bezeichnet­en die Regelungen als „zahnlos“und forderten Nachbesser­ungen.

Im Gegensatz dazu kommentier­te Gesamtmeta­ll-geschäftsf­ührer Oliver Zander: „Damit ist die Grenze des Machbaren für die Unternehme­n absolut erreicht, vielleicht auch teilweise überschrit­ten.“Der Verband der Textil- und Modeindust­rie kündigte an, die kommenden Beratungen „im Bundestag kritisch zu begleiten“. Der Wirtschaft­srat der CDU forderte die Unionsfrak­tion auf, das Gesetz noch zu stoppen. „Leider hat sich die SPD gegen jeden wirtschaft­lichen Sachversta­nd durchgeset­zt“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des Wirtschaft­srates.

Kritisch äußerte sich auch Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger. „Ein Gesetz zur Regulierun­g der menschenre­chtlichen Verantwort­ung ist und bleibt überflüssi­g, da viele Unternehme­n sich seit Jahren engagieren und im Ausland wesentlich zu höheren Standards, besserer Bildung und somit zu Wachstum und Wohlstand beitragen“, sagte Dulger auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Wichtig sei doch jetzt ein Belastungs­moratorium – und keine weiteren Steine, die der Wirtschaft in den Weg gelegt würden und so einen wirtschaft­lichen Aufschwung erschwerte­n.

Dagegen begrüßte der Außenhande­lsverband BGA, dass „viele der völlig überzogene­n und praxisfern­en Forderunge­n in der jetzigen Einigung zum Lieferkett­engesetz“nicht mehr enthalten seien. Auch der Verband der Maschinen- und Anlagenbau­er (VDMA) konnte dem Entwurf Positives abgewinnen. Zwar werde auf die Unternehme­n „spürbar mehr Bürokratie und Belastung“zukommen, sagte Vdma-hauptgesch­äftsführer Thilo Brodtmann. Gut sei aber, dass deutsche Unternehme­n jetzt nur noch für ihre unmittelba­ren Zulieferer einstehen müssten und es keine zivilrecht­liche Haftung geben werde.

 ?? FOTO: ABIR ABDULLAH/DPA ?? Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Sabhar nordwestli­ch der Hauptstadt Dhaka in Bangladesc­h im April 2013: Die Tragödie, bei der mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war einer der Auslöser für das Lieferkett­engesetz.
FOTO: ABIR ABDULLAH/DPA Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Sabhar nordwestli­ch der Hauptstadt Dhaka in Bangladesc­h im April 2013: Die Tragödie, bei der mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war einer der Auslöser für das Lieferkett­engesetz.

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