Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wenn Ladenketten in Corona-zeiten ihre Mietzahlungen einstellen
Bundesregierung hat Paragraf 313 neu zur Geltung gebracht und so einigen Streit heraufbeschworen – C&A verliert Prozess vor Landgericht
- Ein Gericht in München hat die Bekleidungskette C&A dazu verdonnert, eine runde Million Euro Miete nachzuzahlen. Das Unternehmen hatte die Überweisung für seine Filiale in der Kaufingerstraße für April 2020 komplett einbehalten. In diesem Monat durften keine Kunden mehr in die Filiale kommen – damit sei die Immobilie für C&A wertlos gewesen, argumentierte die Anwältin des Handelsunternehmens. Sie berief sich dabei auf ein Gesetz vom Dezember vergangenen Jahres, das Geschäftsleuten durch die Corona-krise helfen sollte. Der Besitzer des Gebäudes hat daher gegen C&A geklagt. Die Richter entschieden nun, die Mietzahlung sei zumutbar gewesen, da C&A über Geldreserven verfüge.
Das Landgericht München betonte jedoch, das Urteil gegen C&A sei eine Einzelfallentscheidung – es sieht also nur geringe Übertragbarkeit auf ähnlich gelagerte Fälle. Und davon gibt es viele. Mieter und Vermieter zoffen sich derzeit in ganz Deutschland um die Auslegung des gut gemeinten Gesetzes vom Dezember. Im Falle großer Einzelhändler und teurer Mietobjekte landet die Auseinandersetzung unweigerlich vor den ohnehin überlasteten Gerichten. „Es gibt um diese Fragen viel Streit“, beobachtet Rechtsexperte José Campos Nave von der Kanzlei Rödl & Partner in Eschborn. Gerade die „großen Player haben die nötige Wirtschaftsmacht“, ihre Interessen gegenüber den Immobilienfirmen durchzusetzen und es auf ein Gerichtsverfahren ankommen zu lassen. Der Gesetzgeber hat zwar eine Möglichkeit geschaffen, die Mietverträge unter Pandemie-bedingungen infrage zu stellen, aber er konnte nicht im Detail regeln, wer jetzt für die Kosten der Pandemie aufkommen muss – die Mieter oder Vermieter.
Das hat etwas mit der Plötzlichkeit zu tun, mit der das Virus und dann auch die Wellen von Geschäftsschließungen über Deutschland kamen. Bis der Bundestag so weit war, hier Regeln zu schaffen, lag der März 2020 schon Monate zurück. Das Mietrecht lässt sich jedoch nicht rückwirkend ändern – schließlich erwarten beide Seiten vom Staat vor allem Rechtssicherheit. Die Juristen der Bundesregierung haben sich daher zu einem Winkelzug entschlossen, um den Geschäftsinhabern zu helfen. Sie haben eine vorhandene Regelung für Corona neu zur Geltung gebracht. Diese passte jedoch nicht so ganz zu der Lockdown-situation.
Ein Paragraf des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht vor, dass sowohl Mieter als auch Vermieter an ihren Verträgen drehen können, wenn sich die „Geschäftsgrundlage“unerwartet völlig ändert. Konkret muss eine neue Lage eintreten, in der beide Seiten den gleichen Vertrag nie und nimmer abgeschlossen hätten. „Von dieser Regelung wird in der Regel aber nur sehr sparsam Gebrauch gemacht“, sagt José Campos Nave. Der Paragraf 313 hatte beispielsweise eine Anwendung nach dem Mauerfall auf Ddr-verträge, die vom Fortbestand des ostdeutschen Staates ausgegangen waren. Eine andere erfolgreiche Anwendung betraf eine Bäckerei, die eine Theke im Eingangsbereich einer neu zu eröffnenden Supermarktfiliale angemietet hatte. Als der Supermarkt wieder absprang und der Bäcker einsam am Rande einer großen leeren Fläche sitzen sollte, entschieden die Richter zu seinen Gunsten: So konnte der Vertrag nicht gedacht gewesen sein, er kann ihn kündigen.
Campos Nave zufolge handelt es sich hier um eine Karte, die Anwälte nur ganz selten erfolgreich ausspielen. Die Anwendung auf Corona durch die Bundesregierung aber verschiebt das Wirkungsgebiet dieses Paragrafen hin zu einer Massenanwendung – und schafft damit eine Neuerung: Eigentlich sollte er gelten, wenn das Festhalten am Vertrag für eine Seite unzumutbar geworden ist. Doch C&A und andere Einzelhändler möchten ihre Geschäfte nach Corona vermutlich regulär fortführen – daher betonten die Münchner Richter bei ihrer Urteilsbegründung, dass die Fortführung des Vertrags und die Mietzahlung zumutbar waren.
Außerdem sagt der Paragraf noch nichts darüber, wer denn nun das Risiko trägt. Er ist grundsätzlich für beide Seiten gleichermaßen gültig. Und der Vermieter kann genauso wenig für Corona wie der Mieter. Rechtsexperte Campos Nave hält es für unangemessen, einseitig 100 Prozent der Ladenmiete einzubehalten, wenn die Kunden wegen Corona nicht in die Geschäfte kommen können. Sinnvoll wäre als Faustregel eine gleiche Aufteilung der Ausfälle auf beide Seiten.
Der Vermieter stellt schließlich vertragsgemäß ein tadelloses Gebäude zur Verfügung. Ohne den gesetzlichen Schlenker der Bundesregierung vom Dezember wäre es auch schwer gewesen, eine Störung der Geschäftsgrundlage zu unterstellen. Rechtlich ebenfalls heikel ist die Frage, was der Lockdown eigentlich ist. Höhere Gewalt? Einerseits ja, andererseits nicht, schließlich waren die meisten potenziellen Kunden gesund und wurden, technisch gesehen, nur von Verwaltungsregeln vom Shoppen abgehalten. Diese wiederum wurden in den verschiedenen Ländern und im Jahresverlauf unterschiedlich formuliert und angewendet.
Anwalt Campos Nave erwartet nun, dass die Frage der Mietminderung und die Bewertung des Lockdowns die Gerichte noch eine Weile beschäftigen werden. Bisher gibt es nur Urteile von Amts- und Landgerichten, noch keine von Oberlandesgerichten. Es wird sich daher mindestens noch bis zum Sommer hinziehen, bis die Fragen der Rechtsauslegung sich langsam klären. Ketten wie C&A haben hier einen langen Atem.
Kleinen Ladenbetreiberinnen empfehlen Anwälte, sich an ihre Vermieterinnen zu wenden und eine Anwendung der neuen Regel auf den eigenen Vertrag vorzuschlagen. Die Chancen, 20 bis 30 Prozent Abzug herauszuholen, stehen gut. Um auf 50 Prozent zu kommen, wäre eine Auseinandersetzung mit Anwälten und Klagedrohung nötig – daher hat auch C&A erst einmal 100 Prozent einbehalten. Einzelne Geschäfte oder Friseure können sich das kaum leisten.