Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Sorge bereiten uns die Intensiv- und Mehrfachtä­ter“

Oberstaats­anwalt Wolfgang Angster über Kinder und Jugendlich­e, die kriminell werden

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- Jugendlich­e Intensivtä­ter beherrsche­n immer wieder die Schlagzeil­en. Zuletzt überfiel ein 14-Jähriger eine Tankstelle in Wilhelmsdo­rf. Wenig später steht ein 17Jähriger im Verdacht, einen Mann getötet zu haben. Wie geht die Justiz mit solchen jungen Menschen um? Antworten gibt im Gespräch mit Szmitarbei­ter Herbert Guth Oberstaats­anwalt Wolfgang Angster. Er ist seit 1993 als Staatsanwa­lt bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg tätig. Seit 2008 ist er Leiter der Jugendabte­ilung und zuständige­r Pressedeze­rnent für Jugendsach­en.

Als Leiter der Jugendabte­ilung bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg haben Sie beinahe täglich mit jugendlich­en Straftäter­n zu tun. Aufsehener­regend war beispielsw­eise der Überfall auf eine Tankstelle in Wilhelmsdo­rf. Hier wurde ein Haftbefehl gegen einen 14-Jährigen erlassen, der dringend tatverdäch­tig ist, die Tat begangen zu haben. Dieser junge Mann hat eine längere Liste an Straftaten auf dem Buckel. Wie geht die Justiz, in diesem Fall die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg, mit so einem Jugendlich­en um?

Wer zur Zeit der Tat noch keine 14 Jahre alt war, kann in Deutschlan­d strafrecht­lich nicht verfolgt werden. Bei der Frage, wie auf die Straffälli­gkeit eines nunmehr strafmündi­g gewordenen jugendlich­en Täters reagiert werden muss, spielt durchaus eine Rolle, ob dieser in der Vergangenh­eit bereits als noch unter 14-Jähriger strafrecht­lich in Erscheinun­g getreten ist oder nicht. Das Jugendstra­frecht wird vom Erziehungs­gedanken beherrscht. Maßstab für die Sanktionie­rung ist die Frage, welche Maßnahme erzieheris­ch am geeignetst­en erscheint, eine künftige Straffälli­gkeit zu verhindern. Falls ein Jugendlich­er in der Vergangenh­eit als damals noch Strafunmün­diger wiederholt mit Straftaten aufgefalle­n ist, besteht bei diesem regelmäßig ein höherer Erziehungs­bedarf als bei einem Jugendlich­en, der erstmals mit 14 Jahren eine Straftat begangen hat. Neben der Art und

Schwere des aktuell begangenen Delikts ist die Persönlich­keit des jugendlich­en Täters sowie dessen Tatmotivat­ion bei der Auswahl der Sanktion von maßgeblich­er Bedeutung. Liegen erhebliche Anlage- oder Erziehungs­mängel vor, die die Gefahr weiterer Straftaten nach sich ziehen, kann auch eine Jugendstra­fe, das heißt eine Freiheitss­trafe verhängt werden. Das Mindestmaß liegt bei sechs Monaten und kann bis maximal zehn Jahre reichen.

Wie geht das Verfahren jetzt im Hinblick auf den 14-Jährigen aus Wilhelmsdo­rf weiter? Sitzt er noch in Untersuchu­ngshaft?

Nachdem der Haftrichte­r zunächst Untersuchu­ngshaft angeordnet hatte, wurde der Haftbefehl mittlerwei­le umgewandel­t und der Beschuldig­te in einem geschlosse­nen Heim der Jugendhilf­e untergebra­cht. Den Vorgaben des Jugendgeri­chtsgesetz­es entspreche­nd ist stets zu prüfen, ob zur Vermeidung der Untersuchu­ngshaft auch eine Heimunterb­ringung ausreichen­d ist. Nach Abschluss der kriminalpo­lizeiliche­n Ermittlung­en wird dann zeitnah Anklage gegen den Jugendlich­en erhoben.

Was erwartet junge Menschen unter 14 Jahren nach Straftaten, und welche mögliche Strafen können nach Überschrei­ten dieser Altersgren­ze bei gleichen Vorkommnis­sen von einem Gericht ausgesproc­hen werden?

In Deutschlan­d liegt bei Kindern unter 14 Jahren eine absolute Strafunmün­digkeit vor. Eine Sanktionie­rung für begangene Straftaten seitens der Justiz ist damit nicht möglich. Allerdings werden auch bei Kindern unter 14 Jahren, die Straftaten begehen, Strafanzei­gen von der Polizei aufgenomme­n und der Staatsanwa­ltschaft vorgelegt und dort erfasst. Gleichzeit­ig wird zudem das Jugendamt unterricht­et. Bei wiederholt­en oder erhebliche­n Straftaten eines Straf-unmündigen wird das Jugendamt hierauf reagieren, Kontakt mit dem Betroffene­n und seinen Eltern aufnehmen, diesen gegebenenf­alls Hilfsangeb­ote machen und pädagogisc­he Maßnahmen in die Wege leiten.

Die Frage nach Sanktionsm­öglichkeit­en bei Erreichen der Strafmündi­gkeit kann nur pauschal beantworte­t werden. Die Maßnahmen hängen von Art und Schwere der neuen Straftat ab und können grundsätzl­ich von einer Einstellun­g des Verfahrens mit oder ohne Auflagen, über sonstige Weisungen und Auflagen wie zum Beispiel Ableistung von Sozialstun­den, Geldauflag­en, Teilnahme an einem Antiaggres­sionskurs, einem sozialen Trainingsk­urs, einem Verkehrsun­terricht etc. reichen. Möglich ist auch ein Jugendarre­st von bis zu vier Wochen sowie letztlich die Verhängung einer Freiheitss­trafe.

Gibt es bei der Staatsanwa­ltschaft eine Statistik, aus der zu ersehen ist, wie viele Jugendlich­e unter 18 Jahren an schweren Straftaten beteiligt sind?

Leider führen wir bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg hierzu keine Einzelstat­istiken.

Gibt es Erkenntnis­se darüber, wie oft Jugendlich­e trotz vorheriger Strafen wieder im Gerichtssa­al landen?

Die Rückfallhä­ufigkeit bei Jugendlich­en hängt wesentlich von der Art der früher begangenen Delikte und auch davon ab, ob bereits eine Gefängniss­trafe verhängt worden ist oder nicht. Bei vorangegan­genen Gefängnisa­ufenthalte­n oder auch bestimmten Delikten wie etwa Raub ist die Rückfallge­fahr wesentlich höher als bei weniger schwerwieg­enden Straftaten. Gleichwohl gibt es natürlich auch im Bereich leichterer Straftaten wie etwa bei notorische­n Schwarzfah­rern oder Ladendiebe­n häufiger Wiederholu­ngstäter, die jedoch Gefahr laufen, irgendwann Jugendarre­st oder Jugendstra­fe zu bekommen. In sehr vielen Fällen ist die Straffälli­gkeit von Jugendlich­en aber eine eher episodenha­fte, teilweise auch nur eine singuläre Erscheinun­g, die sich nach einer gewissen Zeit und nach Interventi­on der Justiz und des Jugendamts bald erledigt. Sorge bereiten uns die Intensiv- und Mehrfachtä­ter, die zwar zahlenmäßi­g eher gering sind, aber für eine Vielzahl der Straftaten verantwort­lich sind. Liegt in Kombinatio­n oder auch als Ursache für die Straftaten zudem eine Suchtprobl­ematik bei dem jugendlich­en Straftäter vor, erhöht sich die Rückfallge­fahr erheblich. Um diesen Gefahren zu begegnen, gibt es bereits seit vielen Jahren in Baden-württember­g ein Programm für jugendlich­e Intensivtä­ter, bei dem sich Vertreter der Polizei, der Jugendämte­r sowie der Staatsanwa­ltschaften und teilweise auch der Jugendgeri­chte regelmäßig treffen, um Problemfäl­le eingehend zu besprechen. Durch die Vernetzung verschiede­ner Institutio­nen mit raschem Informatio­nsaustausc­h soll möglichst frühzeitig und effektiv reagiert werden. Durch zielgerich­tete, auf den einzelnen Jugendlich­en abgestimmt­e Maßnahmen soll erreicht werden, dass die jugendlich­en Straftäter wieder „in die Spur kommen“.

Wie ist die aktuelle Tendenz? Gibt es in Corona-zeiten Ausschläge der Anzahl von Straftaten Jugendlich­er nach unten oder oben?

Für das vergangene Jahr konnten wir bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg keine signifikan­te Veränderun­g bei der Gesamtanza­hl der begangenen Straftaten Jugendlich­er feststelle­n. Es hat sich allerdings eine gewisse Verlagerun­g der Schwerpunk­te bei den einzelnen Deliktsber­eichen ergeben. Aufgrund des Lockdowns mit geschlosse­nen Ladengesch­äften, nicht geöffneten Lokalen und Jugendtref­fs sowie abgesagten Volksfeste­n sind Straftaten wie Ladendiebs­tähle oder auch die bei bestimmten Events mit steigendem Alkoholpeg­el regelmäßig auftretend­en Körperverl­etzungsdel­ikte wie Schlägerei­en zurückgega­ngen, während beispielsw­eise Straftaten im Internet teilweise deutlich zugenommen haben.

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FOTO: HERBERT GUTH Ein 14-Jähriger überfiel am 20. Januar die Tankstelle in Wilhelmsdo­rf.
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FOTO: WA Wolfgang Angster

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