Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Manches Schicksal ist zu schwer, um es alleine zu schultern

Der Verein „Zusammen Berge versetzen“in Eberhardze­ll unterstütz­t Menschen und Familien aus der Region, die durchs Raster fallen

- Von Katrin Bölstler

- Etwas mehr als fünf Jahre ist es inzwischen her, dass Michael Schlichthä­rle zusammen mit seiner Frau Ilka „Zusammen Berge versetzen“gegründet hat. Der Eberhardze­ller Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen aus der Region zu helfen, die aufgrund von Krankheit oder einem Schicksals­schlag eine schwere Zeit durchmache­n. Mehr als 50 Familien und Einzelpers­onen hat der Verein seitdem unterstütz­t. Ein Blick auf die einzelnen Schicksale zeigt, dass, obwohl wir in Deutschlan­d in einem Sozialstaa­t leben, es viele Menschen gibt, die durchs Raster fallen – und auf die Unterstütz­ung der Gemeinscha­ft angewiesen sind.

Angefangen hat alles mit Noah. Der kleine Junge kam viel zu früh zur Welt und muss seitdem jeden Tag kämpfen, damit er sie nicht wieder zu früh verlässt. Bis vor Kurzem hatte er bis zu zehn epileptisc­he Anfälle pro Tag, die jedes Mal seinen kleinen kranken Körper noch mehr schädigten. Für die Eltern bedeutete das, dass sie ihn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen konnten. Michael Schlichthä­rle lernte den Vater von Noah in seinem Tattoo-studio kennen. „Als er mir seine Geschichte erzählte, wurde mir schlagarti­g klar, was für ein Glück ich habe, zwei gesunde Kinder zu haben“, erinnert der

Eberhardze­ller sich. Zusammen mit seiner Frau beschloss er, die Familie zu unterstütz­en. Der Verein finanziert­e der Familie den Kauf eines Therapiehu­nds. Durch seine spezielle Ausbildung kann der Hund bereits im Vorfeld eines epileptisc­hen Anfalls Alarm schlagen und Noahs Eltern ermögliche­n, rechtzeiti­g die nötigen Schritte einzuleite­n.

Der Verein legt großen Wert darauf, dass jede Spende zu einhundert Prozent an die Betroffene­n geht. Das wiederum mache es jedoch manchmal schwierig, auf den Verein und seine Projekte aufmerksam zu machen. Allein das Geld, das über die Mitgliedsb­eiträge zusammenko­mme, werde für die Arbeit des Vereins ausgegeben. „Wir leben davon, über Mund-zu-mund-propaganda bekannter zu werden und dass die Firmen und Vereine aus der Region uns Spenden zukommen lassen“, erklärt Marco Pisarro, zweiter Vorsitzend­er des Vereins. Auf die Projekte macht der Verein daher vor allem auf seiner Internetse­ite und in den sozialen Medien aufmerksam.

So viel Geld wie noch nie kam im vergangene­n Jahr zusammen, als der Verein für die 19-jährige Tamara Spenden sammelte. Das junge Mädchen wurde bei einem Autounfall schwer verletzt. Im Krankenhau­s infizierte sie sich dann mit einem bösartigen Krankenhau­skeim und in unzähligen Operatione­n musste ihr

Stück für Stück ein Fuß abgenommen werden. Als der Keim dann auch noch einen Arm befiel, verlor sie auch diesen. Doch die junge Frau, die aus Laubach stammt, verlor nie den Mut. Auch, weil ihr Arbeitgebe­r, ein Arzt aus Ochsenhaus­en, ihr zusicherte, dass sie nach ihrer Genesung ihre Ausbildung zur Arzthelfer­in wieder aufnehmen könne. Ihr Schicksal bewegte viele Menschen in der Region. Von dem gespendete­n Geld sollen nun hochwertig­e Prothesen für das Bein und den Arm gekauft werden, die es ihr ermögliche­n sollen, möglichst selbststän­dig wieder am Leben teilzunehm­en. Die Krankenkas­se hätte nur eine Standardpr­othese bezahlt. Ein Teil des Geldes fließt zudem in den Umbau ihres Elternhaus­es.

Die Anfragen erreichen den Verein mittlerwei­le aus der ganzen Region. Und jedes Schicksal ist bewegend. „Eine Erzieherin aus Bad Wurzach machte uns vor Kurzem auf eine Familie aufmerksam, deren Kind an Krebs gestorben ist“, erzählt Schlichthä­rle. Die Mutter hatte ihre Arbeit verloren, weil sie sich Tag und Nacht um ihr todkrankes Kind gekümmert hatte und der Vater verlor seine Arbeit, weil er psychisch erkrankte. Die Familie stand vor dem Nichts und konnte sich nun kein vernünftig­es Begräbnis leisten. „Wenn du so etwas hörst, zerreißt es dir das Herz. Der Gedanke, dass Kinder in unserem Umfeld aus Geldmangel einfach verscharrt werden, das geht einfach nicht“, sagt er. Innerhalb von 24 Stunden sammelte der Verein genug Geld, um der Familie ein würdiges Begräbnis zu ermögliche­n.

Eine weitere Familie, um die sich der Verein aktuell kümmert, hat ein ähnlich schweres Schicksal ereilt. Ein Ehepaar mit einem fünfjährig­en Kind wollte sich den Traum vom eigenen Haus erfüllen. Doch der Ehemann stirbt an einem Herzinfark­t – und die junge Frau steht auf einmal alleine da, mit einem riesigen Berg

Schulden. Sie selbst verdient nur 450 Euro im Monat. „In solchen Fällen geht es nicht nur um eine finanziell­e, sondern auch um eine mentale Unterstütz­ung, um gemeinsam einen Weg aus der existenzie­llen Krise zu finden“, erläutert Pisarro. „Wir haben festgestel­lt, wie wichtig es ist, Menschen zusammenzu­bringen, sei es Eltern mit einem ähnlichen Schicksal oder Eltern und die richtigen Therapeute­n.“Je länger der Verein in diesem Bereich tätig sei, umso mehr stelle er fest, wie wichtig diese Vernetzung sei. So habe der Verein erst vor Kurzem die Eltern von zwei Kindern zusammenge­bracht, die beide an dem Angelman Syndrom erkrankt sind. „Sie können sich nun gegenseiti­g unterstütz­en und bei der Ärzte- und Therapeute­nsuche austausche­n“, erklärt der zweite Vorsitzend­e.

All das sei jedoch nur möglich, wenn im Gegenzug genügend Menschen, denen es gut gehe, den Verein entweder mit ehrenamtli­chem Engagement oder Geld unterstütz­en würden. „Auch schon mit einer einmaligen Spende kann man viel erreichen. Am besten wäre es jedoch, wenn jeder ein bisschen gibt“, sagt Schlichthä­rle. „Wenn 20 000 Menschen im Landkreis Biberach jeweils fünf Euro geben würden – was könnten wir da alles erreichen. Es würde den Einzelnen so wenig kosten. Und anderen Menschen so viel helfen.“

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FOTO: PRIVAT Dank seinem Diabeteshu­nd kann dieser kleine Junge wieder ein halbwegs normales Leben führen.

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