Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Manches Schicksal ist zu schwer, um es alleine zu schultern
Der Verein „Zusammen Berge versetzen“in Eberhardzell unterstützt Menschen und Familien aus der Region, die durchs Raster fallen
- Etwas mehr als fünf Jahre ist es inzwischen her, dass Michael Schlichthärle zusammen mit seiner Frau Ilka „Zusammen Berge versetzen“gegründet hat. Der Eberhardzeller Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen aus der Region zu helfen, die aufgrund von Krankheit oder einem Schicksalsschlag eine schwere Zeit durchmachen. Mehr als 50 Familien und Einzelpersonen hat der Verein seitdem unterstützt. Ein Blick auf die einzelnen Schicksale zeigt, dass, obwohl wir in Deutschland in einem Sozialstaat leben, es viele Menschen gibt, die durchs Raster fallen – und auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen sind.
Angefangen hat alles mit Noah. Der kleine Junge kam viel zu früh zur Welt und muss seitdem jeden Tag kämpfen, damit er sie nicht wieder zu früh verlässt. Bis vor Kurzem hatte er bis zu zehn epileptische Anfälle pro Tag, die jedes Mal seinen kleinen kranken Körper noch mehr schädigten. Für die Eltern bedeutete das, dass sie ihn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen konnten. Michael Schlichthärle lernte den Vater von Noah in seinem Tattoo-studio kennen. „Als er mir seine Geschichte erzählte, wurde mir schlagartig klar, was für ein Glück ich habe, zwei gesunde Kinder zu haben“, erinnert der
Eberhardzeller sich. Zusammen mit seiner Frau beschloss er, die Familie zu unterstützen. Der Verein finanzierte der Familie den Kauf eines Therapiehunds. Durch seine spezielle Ausbildung kann der Hund bereits im Vorfeld eines epileptischen Anfalls Alarm schlagen und Noahs Eltern ermöglichen, rechtzeitig die nötigen Schritte einzuleiten.
Der Verein legt großen Wert darauf, dass jede Spende zu einhundert Prozent an die Betroffenen geht. Das wiederum mache es jedoch manchmal schwierig, auf den Verein und seine Projekte aufmerksam zu machen. Allein das Geld, das über die Mitgliedsbeiträge zusammenkomme, werde für die Arbeit des Vereins ausgegeben. „Wir leben davon, über Mund-zu-mund-propaganda bekannter zu werden und dass die Firmen und Vereine aus der Region uns Spenden zukommen lassen“, erklärt Marco Pisarro, zweiter Vorsitzender des Vereins. Auf die Projekte macht der Verein daher vor allem auf seiner Internetseite und in den sozialen Medien aufmerksam.
So viel Geld wie noch nie kam im vergangenen Jahr zusammen, als der Verein für die 19-jährige Tamara Spenden sammelte. Das junge Mädchen wurde bei einem Autounfall schwer verletzt. Im Krankenhaus infizierte sie sich dann mit einem bösartigen Krankenhauskeim und in unzähligen Operationen musste ihr
Stück für Stück ein Fuß abgenommen werden. Als der Keim dann auch noch einen Arm befiel, verlor sie auch diesen. Doch die junge Frau, die aus Laubach stammt, verlor nie den Mut. Auch, weil ihr Arbeitgeber, ein Arzt aus Ochsenhausen, ihr zusicherte, dass sie nach ihrer Genesung ihre Ausbildung zur Arzthelferin wieder aufnehmen könne. Ihr Schicksal bewegte viele Menschen in der Region. Von dem gespendeten Geld sollen nun hochwertige Prothesen für das Bein und den Arm gekauft werden, die es ihr ermöglichen sollen, möglichst selbstständig wieder am Leben teilzunehmen. Die Krankenkasse hätte nur eine Standardprothese bezahlt. Ein Teil des Geldes fließt zudem in den Umbau ihres Elternhauses.
Die Anfragen erreichen den Verein mittlerweile aus der ganzen Region. Und jedes Schicksal ist bewegend. „Eine Erzieherin aus Bad Wurzach machte uns vor Kurzem auf eine Familie aufmerksam, deren Kind an Krebs gestorben ist“, erzählt Schlichthärle. Die Mutter hatte ihre Arbeit verloren, weil sie sich Tag und Nacht um ihr todkrankes Kind gekümmert hatte und der Vater verlor seine Arbeit, weil er psychisch erkrankte. Die Familie stand vor dem Nichts und konnte sich nun kein vernünftiges Begräbnis leisten. „Wenn du so etwas hörst, zerreißt es dir das Herz. Der Gedanke, dass Kinder in unserem Umfeld aus Geldmangel einfach verscharrt werden, das geht einfach nicht“, sagt er. Innerhalb von 24 Stunden sammelte der Verein genug Geld, um der Familie ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen.
Eine weitere Familie, um die sich der Verein aktuell kümmert, hat ein ähnlich schweres Schicksal ereilt. Ein Ehepaar mit einem fünfjährigen Kind wollte sich den Traum vom eigenen Haus erfüllen. Doch der Ehemann stirbt an einem Herzinfarkt – und die junge Frau steht auf einmal alleine da, mit einem riesigen Berg
Schulden. Sie selbst verdient nur 450 Euro im Monat. „In solchen Fällen geht es nicht nur um eine finanzielle, sondern auch um eine mentale Unterstützung, um gemeinsam einen Weg aus der existenziellen Krise zu finden“, erläutert Pisarro. „Wir haben festgestellt, wie wichtig es ist, Menschen zusammenzubringen, sei es Eltern mit einem ähnlichen Schicksal oder Eltern und die richtigen Therapeuten.“Je länger der Verein in diesem Bereich tätig sei, umso mehr stelle er fest, wie wichtig diese Vernetzung sei. So habe der Verein erst vor Kurzem die Eltern von zwei Kindern zusammengebracht, die beide an dem Angelman Syndrom erkrankt sind. „Sie können sich nun gegenseitig unterstützen und bei der Ärzte- und Therapeutensuche austauschen“, erklärt der zweite Vorsitzende.
All das sei jedoch nur möglich, wenn im Gegenzug genügend Menschen, denen es gut gehe, den Verein entweder mit ehrenamtlichem Engagement oder Geld unterstützen würden. „Auch schon mit einer einmaligen Spende kann man viel erreichen. Am besten wäre es jedoch, wenn jeder ein bisschen gibt“, sagt Schlichthärle. „Wenn 20 000 Menschen im Landkreis Biberach jeweils fünf Euro geben würden – was könnten wir da alles erreichen. Es würde den Einzelnen so wenig kosten. Und anderen Menschen so viel helfen.“