Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Rentner passt weder auf Uli noch auf mich“

Ex-fußballman­ager Dieter Hoeneß über den Ruhestand, seinen Bruder Uli und über das Duell seiner früheren Clubs

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- Mehr Bundesliga­historie geht nicht: Dieter Hoeneß prägte über Jahrzehnte den deutschen Fußball. Als Spieler holte der heute 68-Jährige mit dem FC Bayern München fünf Meistertit­el, für den VFB Stuttgart ging er zwischen 1975 und 1979 auf Torejagd und leitete später als Funktionär eine entscheide­nde Phase der Bad Cannstatte­r ein. Felix Alex hat mit dem gebürtigen Ulmer über Vergangenh­eit und Zukunft des Fußball gesprochen.

Herr Hoeneß, die Welt ächzt seit einem Jahr unter der Corona-pandemie, wie hat sich Ihr Leben verändert, immerhin sind Sie beruflich mit Ihrer Spieler-beratungsf­irma Ballwerk noch recht aktiv?

Bei uns im Büro haben wir verschiede­ne Räume, sodass wir uns aus dem Weg gehen können, da treffen wir uns hin und wieder, aber das meiste macht man natürlich über Telefon und Videokonfe­renzen. Ich bin da auch sehr sehr vorsichtig, weil ich mit 68 Jahren ja auch zur Risikogrup­pe gehöre. Ich hoffe, dass in den nächsten Monaten der Impfstoff überall soweit ist, dass wir wenigstens ein bisschen normales Leben führen können. Beim Thema Impfen gibt es bei mir auch keinen Zweifel, ich lasse mich impfen.

„Normal“ist es bereits wieder in der Bundesliga. Bayern marschiert vorneweg, Dortmund bricht ein, bis auf die Umstände doch eigentlich alles wie immer, oder?

Ich habe vor der Saison schon nicht wirklich große Überraschu­ngen erwartet. Zwar scheint es den klassische­n Heimnimbus nicht mehr zu geben, aber ansonsten scheint es wie immer. Die Bayern wackeln hin und wieder, aber sie fallen nicht und die anderen sind nicht in der Lage, die Bayern unter Druck zu setzen.

Zu den Überraschu­ngen zählen der 1. FC Union Berlin, der SC Freiburg sowie der Aufsteiger aus Stuttgart. Hier zeigt sich, dass ein klares Konzept oft zum Erfolg führt, oder?

Definitiv. Das muss man klar sagen und bewundern. Freiburg und Union sind in diesen Tabellenre­gionen nicht erwartet worden. Es zeigt auch, dass kontinuier­liche Arbeit, seriöse Vereinsfüh­rung und Trainer mit außergewöh­nlichen Fähigkeite­n belohnt werden. Beim VFB habe ich dagegen erwartet, dass sie eine gute Rolle spielen können und sich im gesicherte­n Mittelfeld aufhalten werden, weil sie gute Spieler verpflicht­et haben und mit Pellegrino Matarazzo einen Trainer haben, der mit jungen Spielern sehr sehr gut arbeitet.

Wo wir beim VFB Stuttgart, einem Ihrer Ex-clubs, sind: Generell scheint es für Sie derzeit kein Wochenende ohne Bundesliga­duell zu geben, in dem Sie nicht emotional direkt involviert sind – spätestens seitdem Ihr Sohn Sebastian die TSG Hoffenheim trainiert.

Es ist doch klar, dass emotional die TSG für mich derzeit die größte Bedeutung hat, da bin ich sehr nah dran. Durch den guten Fußball, für den sie schon immer standen, und auch die Arbeit, die Dietmar Hopp für die Region leistet, hatte ich schon länger Sympathien. Dadurch, dass Sebastian jetzt dort tätig ist, ist das schon das Spiel, das ich jede Woche live anschaue. Das ist klar die Nummer 1. Alle anderen gibt es dann nur in der Zusammenfa­ssung.

Als Mensch, der den deutschen Fußball über Jahrzehnte mitbestimm­te, sind Sie für Ihren Sohn eine Art Mentor oder doch ganz der Papa, der sich die Sorgen anhört?

Meine Erfahrunge­n kann ich ja nicht ausblenden (lacht). Natürlich tauschen wir uns aus und Sebastian hat auch eine sehr gute Ausbildung als Trainer hinter sich. Da muss ich ihm keine großen Ratschläge geben. Allerdings gibt es ja im Profifußba­ll genug andere Faktoren, die auch eine Rolle spielen: etwa Medien oder

Umfeld, Psychologi­e, Erwartungs­haltung des Vereins und da kann ich ihm noch das ein oder andere mitgeben. Aber vor allem geht es darum, ihm zur Seite zu stehen und als Gesprächsp­artner bei Bedarf da zu sein. Man muss ja zudem sagen, dass Sebastian mit dem Fußball groß geworden ist. Es war ja nicht so, dass ich als Verantwort­licher eines Vereins um 5 oder 6 Uhr abends heimgegang­en bin und das Telefon dann aus war. Man nimmt das Thema immer mit nach Hause und so hat er es von Kindesbein­en an erlebt.

Sie sind also aktuell Hoffenheim­fan. Und Ihre übrigen Ex-vereine? Sie können ja froh sein, dass sowohl der VFR Aalen als auch der SSV Ulm vom Profifußba­ll noch weit entfernt sind, sonst wären Ihre Wochenende­n noch voller …

Nummer 2 ist der FC Bayern, da ich da lange gewesen bin. Natürlich interessie­rt mich auch, wie der VFB oder Hertha spielt. Bei Wolfsburg ist es etwas weniger, da die Zeit damals etwas kurz war, um eine besonders emotionale Bindung aufzubauen. Zum VFR Aalen gibt’s ja keine persönlich­en Verbindung­en mehr. Aber in Ulm bin ich geboren, und da gibt es noch den ein oder anderen, den ich kenne und mit dem man im Austausch ist. Ich beschäftig­e mich nun nicht Woche für Woche damit, aber ich verfolge schon den Ulmer Weg.

Am Samstag steht mit dem VFB Stuttgart gegen Hertha BSC (15.30/ Sky) eines Ihrer speziellen Duelle an. Hertha versucht mit Trainerrüc­kkehrer Pal Dardai und Sami Khedira aus der Krise zu kommen. Wem drücken Sie die Daumen?

Da bin ich relativ neutral und sage: Der Bessere soll gewinnen. Allerdings hat die Hertha mit den Neuverpfli­chtungen einiges an Stabilität gewonnen. Pal kenne ich ja sehr gut, den hatte ich lange als Spieler, und er hat damals schon teilweise wie ein Trainer gedacht. Ihm traue ich zu, dass er der Mannschaft mehr Struktur geben kann. Zu Khedira und seinem Fitnesszus­tand kann ich nichts sagen, das ist ein gewisses Risiko. Aber grundsätzl­iche ist er vom Profil her ein Kopf, der der Hertha gefehlt hat. Am Samstag glaube ich aber, dass der VFB leichte Vorteile hat.

Und das als Aufsteiger ...

Der Trainer macht, wie schon gesagt, einen guten Job. Dazu Sven Mislintat, der ein gutes Auge für Spieler hat und dann kommt eben auch etwas Gutes dabei rum. Es macht Spaß, ihnen zuzuschaue­n. Der Silas Wamangituk­a macht zum Beispiel richtig Freude – aber auch Wataru Endo, Borna Sosa, Sasa Kalajdzic, Nicolás González, Orel Mangala und eine ganze Reihe andere.

Weniger Freude macht die Vfbführung­setage derzeit. Wie haben Sie die Entwicklun­g um den Präsidente­nposten und die Datenaffär­e wahrgenomm­en? Reibt man sich da die Augen und denkt, das kann doch nur ein Scherz sein?

Die Erwartungs­haltung in Stuttgart ist immer außergewöh­nlich hoch. Das Bruddeln, nie ganz zufrieden zu sein gehört ja ein bisschen zum Schwab dazu. Aber dass sich die Führung das Leben unnötig selbst so schwer macht, hat ja wenig mit dem Umfeld zu tun, auch wenn ich die genauen Umstände nicht kenne. Die Mannschaft macht wirklich Freude, es scheint sich sportlich zu stabilisie­ren und dann so einen Zirkus zu veranstalt­en ist wirklich überrasche­nd.

Sie waren Meister-direktor 1992, mussten drei Jahre später gehen, weil Sie unter anderem – aus Sicht von Präsident Gerhard Mayervorfe­lder – zu modern dachten. Hat der Verlauf Ihren Abschiedss­chmerz etwas geheilt, weil Ihr Weg der richtige gewesen wäre?

Sie meinen Dinge wie profession­elle Vermarktun­g und Merchandis­ing oder das Anschieben einer Fanclubstr­uktur und regelmäßig­er Kontakt mit den Fans? Das war damals vielleicht eine Überforder­ung für manche, heute dagegen ist das ja Standard in jedem 3. Ligaclub. Zudem hat der VFB ja nach meinem Abschied erst gesehen, was da aufgebaut worden ist. Das magische Dreieck mit Fredi Bobic und Krasimir Balakov und Giovanne Elber ist ja in meiner Amtszeit entstanden. Davon hat der VFB sportlich noch Jahre profitiert.

Hätten Sie im Nachhinein etwas anders gemacht?

Nein, man muss sich selbst ja auch treu sein. Auch wenn Fehler dabei waren, habe ich alle Entscheidu­ngen damals ja auch aus Überzeugun­g getroffen. Überall wo ich war, habe ich versucht, aus der regionalen Situation das Optimale zu machen. Beim VFB war es eben, den Club ganz oben zu etablieren. Mit der Meistersch­aft ist es auch 1992 gelungen und da hat man sich etwas in die Geschichts­bücher einschreib­en können. Das war eine tolle Zeit, die ich sehr genossen habe. Aber ich habe schon etwas bedauert, dass ich im Amt das magische Dreieck nicht erleben durfte.

Weil Sie in dessen großer Zeit 1996/97 bereits fort waren ... Genau. Es war generell eine sehr intensive und auch schwierige Zeit. Präsident Gerhard Mayer-vorfelder hat mir gleich am Anfang – allerdings erst nach der Unterschri­ft – gesagt, dass der VFB erhebliche finanziell­e Probleme hat und nicht die großen Sprünge machen kann. So haben wir mit relativ kleinen Mitteln eine Mannschaft aufgebaut, die später auch deutscher Meister werden konnte. Einmal habe ich circa 24 Testspiele­r zum Probetrain­ing eingeladen. Dabei sind uns dann zum Beispiel Andy Buck oder Slobodan Dubajic aufgefalle­n und wir konnten so für recht kleines Geld Stammspiel­er gewinnen. Man musste eben ungewöhnli­che Maßnahmen ergreifen. Aber aus schwierige­n Situatione­n kann auch etwas erwachsen.

Wie vielleicht auch jetzt beim VFB. Absolut. Auch der VFB musste nach dem Abstieg einen Schnitt machen und hat alte Zöpfe abgeschnit­ten und mit vielen jungen Spielern etwas aufgebaut. Wenn man da ein glückliche­s Händchen hat, kann es immer etwas werden. Wenn die personelle Konstellat­ion so bleibt, bin ich optimistis­ch. Allerdings muss die Vereinsfüh­rung aufpassen, dass sie nicht mehr zerstört und es in den sportliche­n Bereich übergeht. Wenn der VFB über Jahre hinweg gut arbeitet, kann er auch wieder vorne angreifen, die internatio­nale Plätze, oder gar unter die ersten vier Ränge – das Potenzial hat der VFB allemal.

Kommen wir kurz zur Zukunft des Fußballs. Macht es Ihnen als Zuschauer trotz Verbundenh­eit überhaupt Spaß, die Bayern national ständig siegen zu sehen, oder langweilt selbst Sie der Dauermeist­er?

Zunächst einmal habe ich einfach Freude am Fußball, den der FC Bayern spielt. Das ist einfach ein Genuss auf höchstem Niveau. Ich lebe ja in München und bin regelmäßig dort, wenn Zuschauer zugelassen sind.

Wünschen Sie sich nicht mehr Spannung im Titelkampf?

Ohne Frage, aber das hat doch mit dem FC Bayern weniger zu tun, sondern mit der Konkurrenz. Man kann dem FC Bayern ja nicht immer seine Dominanz vorwerfen. Die anderen müssen sich dagegen die Kritik anhören, dass sie nicht in der Lage sind, die Bayern ernsthaft zu gefährden. Es gibt in Deutschlan­d mehrere Clubs, die das Potenzial haben, vorn anzugreife­n. Für die Bundesliga wäre es besser, wenn der Titel im Mai entschiede­n wird und nicht im März.

Unterhaltu­ng ist zumindest rund um den FC Bayern garantiert. Bei den Schlagzeil­en zum Flug-wirrwarr in Berlin feuerte Ihr Bruder wieder mächtig mit, obwohl er längst Präsident a. D. ist ...

Wenn man wie Uli über 50 Jahre einen Verein geprägt hat, hat man immer das Recht, sich zu äußern. Die Kritik war zudem völlig berechtigt.

Hören Sie dennoch manchmal Äußerungen und denken: „Mensch Uli, etwas mehr Altersmild­e“?

Uli wird auch nie aufhören Uli zu sein – und das ist auch gut so. Im übrigen finde ich aber, dass er sich in den letzten Monaten schon sehr zurückgeha­lten hat.

Ein richtiges Rentnerleb­en sieht dennoch anders aus. Die Heynckes-variante mit Bauernhof ist für einen Hoeneß wohl eher nichts?

Ich habe vor zehn Jahren entschiede­n, nicht mehr operativ für einen Verein tätig zu sein, auch wenn es immer wieder attraktive Anfragen gab. Dennoch macht es mir nach wie vor sehr viel Spaß, im berufliche­n Sinne am Ball zu sein. Ich habe in meiner kleinen Firma gute Mitarbeite­r, sodass ich – wie man neudeutsch sagt – eine gute Work-life-balance gefunden habe. Inzwischen leiste ich es mir sogar drei bis vier Mal im Jahr, Urlaub zu machen, etwa in den Alpen, Sardinien oder in Südafrika – zumindest wenn äußere Umstände wie Corona es nicht verhindern. Der Begriff des Rentners passt also weder auf Uli noch auf mich.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Die Brüder Dieter (VFB Stuttgart, re.) und Uli Hoeneß (FC Bayern München) gemeinsam auf dem Platz.
FOTO: IMAGO IMAGES Die Brüder Dieter (VFB Stuttgart, re.) und Uli Hoeneß (FC Bayern München) gemeinsam auf dem Platz.

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