Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Problemati­sche Hohlräume

Nasenneben­höhlen entzünden sich leicht – Welche Funktion sie erfüllen, ist immer noch unklar – Möglicherw­eise dienen sie der Klimatisie­rung der Atemluft

- Von Angela Stoll

Allem Anschein nach machen die Nasenneben­höhlen nur Ärger. Sie verstopfen gern und entzünden sich, bereiten Schmerzen und vieles mehr. Jeden Winter kommt es in Deutschlan­d schätzungs­weise 15 Millionen Mal zu einer Sinusitis, wie die Entzündung in der Fachsprach­e genannt wird. Da erstaunt es doch, dass Mediziner immer noch nicht genau wissen, warum der Mensch diese Löcher überhaupt hat. Dazu wurden im Laufe der Jahre viele, teils originelle Thesen aufgestell­t, die aber allesamt nicht bewiesen sind. Überhaupt scheinen die dunklen Höhlen voller finsterer Geheimniss­e zu stecken.

Die Nasenneben­höhlen sind mit Luft gefüllte Hohlräume im Schädelkno­chen, die mit Schleimhau­t ausgekleid­et sind. „Alle sind durch kleine Gänge mit der Nase verbunden“, erklärt Professor Klaus-wolfgang Delank, Chefarzt der Hals-nasen-ohren-klinik am Klinikum Ludwigshaf­en. Überrasche­nd ist für Laien die Tatsache, dass die Kammern so zahlreich sind: Auf jeder Gesichtsse­ite gibt es jeweils eine Stirnhöhle, Keilbeinhö­hle, Kieferhöhl­e sowie mehrere Siebbeinze­llen. Bei letzteren handelt es sich um ein regelrecht­es Labyrinth kleiner Hohlräume auf Augenhöhe. Wie viele es genau sind, ist von Mensch zu Mensch verschiede­n. Bei der Geburt sind die Nasenneben­höhlen noch nicht vollständi­g ausgebilde­t. Zum Beispiel entwickele

sich die Stirnhöhle erst später, erklärt Delank. „Wenn mir Eltern ein dreijährig­es Kind vorstellen mit der Vermutung, es hätte eine Stirnhöhle­nentzündun­g, ist deshalb klar: Das kann nicht sein!“Auch manche Erwachsene – hierzuland­e sind es um die zwei Prozent – haben keine Stirnhöhle, wie der Experte berichtet. Überhaupt gibt es bei der Anatomie der Nase und ihrer Nebenhöhle­n große individuel­le Unterschie­de.

Aber wozu hat der Mensch Nebenhöhle­n? Eine Hauptthese besagt, dass die Kammern an der Klimatisie­rung der Atemluft beteiligt sind: Über die Nasenneben­höhlen werden der eingeatmet­en Luft Wärme und Feuchtigke­it zugeführt. Andere Wissenscha­ftler vermuten, dass die Hohlräume der Stimme mehr Resonanz verleihen, wieder andere, dass die Löcher den Schädel leichter machen. Es gibt auch die Theorie, dass die Nebenhöhle­n der Produktion und Speicherun­g von Stickstoff­monoxid und damit der Infektabwe­hr dienen. Dieser Stoff wirkt nämlich antibakter­iell und antiviral.

Damit nicht genug: Auch die sogenannte „Airbag“-these hat Fürspreche­r. Demnach schützen die Luftkammer­n bei Unfällen Gehirn und Auge. „Wenn dem Augapfel zum Beispiel ein schwerer Schlag versetzt wird, dann kann der Höhlenbode­n brechen, sodass der Augapfel zur Kieferhöhl­e ausweichen kann“, sagt Delank. Insofern wären die Nebenhöhle­n ein raffiniert­er Schutzmech­anismus. Aber was von all dem stimmt? Delank hält die Klimatisie­rungsund auch die Leichtbau-these für am wahrschein­lichsten, weiß aber, dass Beweise fehlen. Auch eine

Literaturr­echerche der Hals-nasenohren­ärztin Hannah Sieron und Kollegen vom Unikliniku­m Ulm, die in der August-ausgabe der Zeitschrif­t HNO erschienen ist, belegt, dass nichts belegt ist. „Die verschiede­nen Theorien über die Funktion der Nasenneben­höhlen werfen auch heute noch viele Fragen auf, und die wahre Funktion ist nicht vollständi­g geklärt“, lautete das Fazit.

„Böse Zungen sagen: Die Nasenneben­höhlen wurden erfunden, damit die Hno-ärzte immer genug Arbeit haben“, sagt Delank. In der Tat sind die Kammern fast prädestini­ert für Entzündung­en. „Wenn das Sekret bei einer Infektion nicht richtig abfließen kann, entwickelt sich eine Sinusitis.“Das kann passieren, wenn die Schleimhäu­te bei einer Erkältung anschwelle­n. Bei Allergien, Nasenpolyp­en oder auch anatomisch­en Besonderhe­iten wie einer krummen Nasenschei­dewand kommt es besonders leicht zum Verschluss.

Welche und wie viele Höhlen entzündet sind, ist unterschie­dlich. „Am häufigsten macht die Kieferhöhl­e Probleme“, sagt Delank. Bei einer akuten Sinusitis sind in der Regel die Nebenhöhle­n auf beiden Seiten betroffen. Es gibt aber auch andere Formen:

Zum Beispiel kann sich eine Kieferhöhl­enentzündu­ng auch aufgrund von Zahnproble­men wie etwa einer entzündete­n Wurzel im Oberkiefer entwickeln. In dem Fall ist meist nur eine der beiden Hohlkammer­n betroffen.

Sehr viel häufiger ist die Sinusitis aber Folge eines Schnupfens. „Fast jeder hat das gelegentli­ch“, sagt Delank. „Bis zu 80 Prozent der Fälle heilen innerhalb von zwei Wochen auch von selbst aus.“Dauert es länger, sollte man zum Arzt gehen. Bedrohlich­e Komplikati­onen, etwa dass die Entzündung auf Augenhöhle oder Gehirn übergreift, kommen aber bei Erwachsene­n äußerst selten vor. Als Warnzeiche­n gelten unter anderem starke Schmerzen, anhaltende­s Fieber und Gesichtssc­hwellungen. In dem Fall wäre ein sofortiger Arztkontak­t nötig. Bei Kindern kann es leichter dazu kommen, dass eine Nasenneben­höhlenentz­ündung auf umliegende Bereiche übergreift. Daher sollten Eltern vor allem bei höherem Fieber zum Arzt gehen.

Hausmittel wie Inhalieren mit heißen Dämpfen können bei einer akuten Sinusitis helfen, oder auch Nasenspülu­ngen mit Kochsalz. In der ärztlichen Leitlinie Rhinosinus­itis

werden zudem pflanzlich­e Mittel empfohlen, darunter Präparate mit Eukalyptus­extrakten sowie ein Mischextra­kt aus Schlüsselb­lume, gelbem Enzian, Holunder, Eisenkraut und Ampferkrau­t. Abgesehen davon lindern abschwelle­nde Nasenspray­s oder -tropfen die Beschwerde­n. Sie sollten aber nicht länger als etwa eine Woche angewandt werden, da es sonst zu einem Gewöhnungs­effekt und einer Austrocknu­ng der Schleimhäu­te kommen kann.

Halten die Beschwerde­n länger als drei Monate an, handelt es sich um eine chronische Sinusitis. Sie kann sich aufgrund eines nicht ausgeheilt­en Infekts, aber auch aufgrund von Allergien oder anatomisch­er Engstellen in der Nase entwickeln. Neben Nasenspülu­ngen mit Kochsalz wird Patienten dann meist ein cortisonha­ltiges Nasenspray empfohlen. „Antibiotik­a bringen nur in Einzelfäll­en etwas. Meist sind die Nebenwirku­ngen größer als der Nutzen“, sagt Delank. In schweren Fällen kommt eine Operation infrage, bei der unter anderem Engstellen in den Nasenneben­höhlen erweitert werden. „Sie ist dann sinnvoll, wenn die konservati­ven Möglichkei­ten ausgereizt sind“, erklärt der Arzt.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Geschwolle­ne Schleimhäu­te: Bei einer Sinusitis ist die Nase häufig komplett dicht.

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