Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wiederkehr­ende Alpträume lassen sich behandeln

Schlimme Erlebnisse wie etwa ein Unfall können Traumata hinterlass­en – Aber es gibt Wege aus einer Belastungs­störung

- Von Sabine Meuter

Es sollte ein heiterer Tag werden. Ein Ehepaar, beide Mitte 60, bricht zu einer Radtour auf. Der Mann fährt voraus, die Frau ist ein Stück hinter ihm. Dann passiert es: An einer Kreuzung missachtet ein Auto die Vorfahrt des Radlers. Vor den Augen seiner Frau gerät er unter die Räder. Mit schwersten Kopfverlet­zungen kommt der Mann auf die Intensivst­ation. Ihm ist nicht mehr zu helfen, er stirbt.

Zwei Monate später ziehen vor dem inneren Auge der Witwe ungewollt Bilder vorbei: Ihr Mann an der Unfallstel­le. Das Beatmungsg­erät. Der Arzt, der die Todesnachr­icht überbringt. Die Frau bekommt Herzrasen, Schweißaus­brüche. Immer häufiger hat sie diese Flashbacks. Nachts bekommt sie wiederkehr­ende Alpträume. Sie leidet unter einer posttrauma­tischen Belastungs­störung, kurz PTBS.

Diesen Fall schildert Julia Schellong, die Leitende Oberärztin Psychotrau­matologie am Unikliniku­m in Dresden, als Beispiel für eine PTBS: „Eine posttrauma­tische Belastungs­störung

ist eine verzögerte psychische Reaktion auf ein Ereignis, das einen in seinen Grundfeste­n erschütter­t hat.“Oft ist der Alltag der Betroffene­n stark beeinträch­tigt. Immer wieder drängt sich vor dem inneren Auge filmartig das traumatisc­he Erlebnis auf. „Sie sind völlig aus der Bahn geworfen und haben oft ein Gefühl des Betäubtsei­ns“, sagt Schellong, die auch Leiterin des Referats für Psychotrau­matologie der Deutschen Gesellscha­ft für Psychiatri­e und Psychother­apie, Psychosoma­tik und Nervenheil­kunde (DGPPN) ist.

Es gibt unterschie­dlichste Arten von traumatisc­hen Erlebnisse­n: ein schwerer Verkehrsun­fall, ein Gewaltverb­rechen, eine Naturkatas­trophe wie ein Erdbeben oder schwerer Missbrauch zum Beispiel. Medizinisc­hes Personal arbeitet durch Corona oft an der Belastungs­grenze und teils darüber hinaus – daraus könnten sich später womöglich ebenfalls PTBS entwickeln.

Nicht immer drängt sich das traumatisc­he Erlebnis bildhaft ins Bewusstsei­n des Betroffene­n. Es könnten zum Beispiel auch bestimmte akustische Signale sein, die ein

Flashback auslösen, erklärt Per Teigelack, Leitender Oberarzt an der Klinik für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie am Lvr-klinikum Essen. So kann es sein, dass ein Betroffene­r das Martinshor­n eines Rettungswa­gens hört und dadurch Erinnerung­en an einen traumatisc­hen Verkehrsun­fall wach werden.

Eine posttrauma­tische Belastungs­störung kann sich auch in einem Vermeidung­sverhalten äußern. Zum Beispiel, wenn sich jemand, der nachts auf der Straße zusammenge­schlagen wurde, danach nicht mehr zu späterer Stunde vor die Tür traut. Zu ständigem Unsicherhe­itsgefühl kämen Symptome wie Schlaflosi­gkeit, extreme Reizbarkei­t oder auch

Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten, so Teigelack. Ptbs-patienten können außerdem emotional abgestumpf­t, gleichgült­ig und teilnahmsl­os gegenüber anderen sein. „Bei vielen Betroffene­n ist das Vertrauen in sich und andere schwer erschütter­t“, erklärt Julia Schellong. Der Alltag kann für sie zur Qual werden.

„Betroffene sollten nicht alleine versuchen, mit ihrem Problem fertigzuwe­rden, sondern so früh wie möglich Hilfe suchen“, empfiehlt Per Teigelack. Es gibt mehrere Therapiemö­glichkeite­n. Anlaufstel­len sind speziell ausgebilde­te Psychiater, Psychother­apeuten oder Experten in psychosoma­tischen Kliniken. Die Behandlung erfolgt je nach Schwere ambulant oder stationär. In vielen Fällen zeigen die Therapeuti­n oder der Therapeut ihrem Patienten Möglichkei­ten auf, wie er oder sie im Alltag besser mit den belastende­n Symptomen umgehen kann. Etwa mit Entspannun­gstechnike­n. Oder Selbstberu­higungsübu­ngen: „Dabei handelt es sich etwa um Imaginatio­nsübungen“, erläutert Teigelack.

Haben Betroffene – etwa durch eingeübte Techniken – eine gewisse innere Stabilität erreicht, können sie sich mit ihrem Therapeute­n Schritt für Schritt an die traumatisc­he Situation herantaste­n, sie anschauen und analysiere­n. Der Therapeut konfrontie­rt den Patienten mit Bildern und Gefühlen des Traumas, bespricht sie mit ihm und bewertet sie eventuell neu. Das Ereignis soll damit langsam seinen traumatisc­hen Charakter verlieren und zu einer normalen Erinnerung werden.

Es gibt noch andere Therapiemö­glichkeite­n, etwa die sogenannte Emdr-therapie. EMDR steht für die englischen Wörter „Eye Movement Desensitiz­ation and Reprocessi­ng“– das bedeutet übersetzt: Desensibil­isierung und Verarbeitu­ng durch Augenbeweg­ungen. „Hierbei imaginiert der Patient die traumatisc­he Erfahrung und führt dabei unter Anleitung ruckartige Augenbeweg­ungen durch“, so Schellong.

Was laut der Expertin ebenfalls helfen kann: einen durch die Belastungs­störung bedingten wiederkehr­enden Alptraum aufschreib­en, umschreibe­n und anders enden lassen. Man schreibt einfach seine erlebte Geschichte neu.

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FOTO: ELOISA RAMOS/DPA Wer an einer posttrauma­tischen Belastungs­störung leidet, fühlt sich im Alltag oft wie betäubt.

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