Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Palaver über ein kulinarisch irrelevantes Schnitzel
Manche Diskussionen muss man erst ein bisschen sacken lassen, um sich klarzumachen, über was da eigentlich genau geredet wird. Und ob es sich lohnt, über ein Thema mit solcher Vehemenz zu streiten.
Es geht um die jüngst wieder hochgekochte Debatte um eine rote Soße mit Paprika von zweifelhaftem kulinarischen Wert. Geografisch angesiedelt irgendwo zwischen Ungarn und dem Balkan. Eine Talkshow im WDR mit dem aufgeblasenen Titel „Die letzte Instanz“verhandelte diese Tunke, in der fantasielose Köche gerne Schweineschnitzel versenken. Dazu werden in der Regel Pommes gereicht.
Die Runde bestand samt und sonders aus deutschen Vertretern der Unterhaltungsbranche, deren Lebenswirklichkeit nicht gerade davon geprägt ist, zu irgendeiner Minderheit zu gehören. Höchstens
zu jener, die sich trotz herzerfrischender Ahnungslosigkeit berufen fühlt, stellvertretend für all die nicht in die Sendung eingeladenen Betroffenen davon zu schwafeln, dass da eigentlich nix groß dabei sein kann, so ein Wort zu benutzen. Eines, womit heute noch eine Menge Leute ihr pauschales Missfallen ausdrücken gegenüber Menschen, die eine andere, etwas dunklere Hautfarbe haben. Oder an deren Sesshaftigkeit gezweifelt wird, was diese Beobachter aus dem Kleidungsstil schließen. Oder dem Umstand, dass sie vielleicht Straßenmusik machen oder betteln. Oder womöglich überhaupt in gar keines dieser Klischees passen, weil sie genauso spießig wie die meisten von uns leben. Jedenfalls ist bemerkenswert, dass das Festhalten an etwas derart Irrelevantem wie der Bezeichnung für ein
Schnitzel für manche Menschen so elementar scheint. Kulinarisch jedenfalls hat dieses Schnitzel nicht mehr die geringste Bedeutung. Umso bizarrer mutet es also an, warum es den Talkshow-palaverern so wichtig erschien, den Namen eines Gerichts benutzen zu dürfen, das sie selbst wahrscheinlich in den 1980erjahren zuletzt gegessen haben.
Das Merkwürdige ist doch: Wenn dieses Gericht sowieso kaum mehr jemand bestellt, wir also der Speise damit die Substanz und Relevanz entziehen, geht es uns doch letztendlich nur noch darum, das Z-wort sagen zu dürfen, oder? Das aber nicht zu tun – dafür gibt es nüchtern betrachtet einfach mehr gute Gründe, als es doch zu tun.
Denn wenn ich weiß, dass es einerseits historisch durch die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma schwer belastet ist und sich andererseits Sinti und Roma durch den Begriff auch heute noch beleidigt und ausgegrenzt fühlen – ja, warum kann ich’s dann nicht einfach lassen?
Warum muss ich da sogar in regelmäßigen Abständen immer wieder ein Riesenfass in Talkshows aufmachen? Weil man das ja wohl noch sagen dürfen wird? Klar darf man’s – aber besonders schlau ist es nicht. Mir ist kein Restaurant bekannt, in dem diese merkwürdige Schnitzelpaprika-zubereitung hausgemacht wäre. So blubbert sie also meist aus irgendwelchen Flaschen der Lebensmittelindustrie, süßlich und stark an Ketchup erinnernd.
Die Wurzeln reichen übrigens zurück in die Zeiten der Wiener Monarchie – das Gericht selbst hat aber nur sehr bedingt etwas mit der Kultur der Roma oder Sinti zu tun. Eher mit folkloristischen Zuschreibungen, die sich bis heute halten. Wenn die Zeit des Zigeunerschnitzels aber auch im kulinarischen Sinn längst abgelaufen ist, bricht uns bestimmt kein Zacken aus der Krone, das endlich auch sprachlich anzuerkennen.
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