Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erfolgreic­h verhandeln in Krisenzeit­en

Arbeitnehm­er dürfen sich auch während der Corona-pandemie trauen, nach einer Gehaltserh­öhung zu fragen

- Von Amelie Breitenhub­er

Das Jahr 2021 sollte das Jahr werden, in dem endlich mehr Geld auf der Gehaltsabr­echnung steht. Die Corona-pandemie ist für manche Arbeitgebe­r aber ein Grund, Forderunge­n von Beschäftig­ten auszuschla­gen oder sie immer wieder auf später zu vertrösten. Was können Arbeitnehm­er tun?

Martin Schweinsbe­rg, Psychologe und Assistant Professor für Organizati­onal Behavior an der privaten Hochschule ESMT Berlin, erklärt, welche Grundprinz­ipien man bei Verhandlun­gen eigentlich immer befolgen sollte und worauf es ankommt, wenn Beschäftig­te Forderunge­n stellen wollen.

„Verhandeln ist eigentlich keine Raketenwis­senschaft“, ermuntert der Experte. Und auch die Coronakris­e an sich müsse nicht bedeuten, grundsätzl­ich von einer Verhandlun­g Abstand zu nehmen: „Es ist auf jeden Fall wichtig, das Gespräch zu suchen.“Für die Verhandlun­g rät der Psychologe drei Grundsätze zu befolgen:

1. Wissen, was man eigentlich will

„Oft will man einfach nur mehr. Mehr Geld etwa“, sagt Schweinsbe­rg. Viel häufiger aber könne man andere Dinge eher beeinfluss­en, die für das eigene Wohlbefind­en oder die eigene Zufriedenh­eit womöglich genauso wichtig sind. So seien die Hürden, das Grundgehal­t hochzusetz­en, für den Vorgesetzt­en oft sehr hoch. Beschäftig­te könnten eher etwas erreichen, wenn sie etwa einen Bonus verhandeln.

Schweinsbe­rg schlägt etwa folgenden Pitch vor: „Ich bin zuversicht­lich, dass ich den Umsatz von Summe X auf Summe Y hochsetzen kann. Dann hätte ich aber auch gerne einen Bonus in Höhe von Z.“Wer derzeit in eine Verhandlun­g gehen will, kann sich außerdem überlegen, welche neuen Aufgaben und Rollen sich anbieten – die sich vielleicht erst in der Krise ergeben haben.

Man sollte sich fragen: Welche Bereiche werden derzeit immer wichtiger im Unternehme­n? Beschäftig­te, die hier Entwicklun­gsmöglichk­eiten für sich selbst sehen, haben gute Chancen, eine neue Position

zu verhandeln. Schließlic­h sei es einerseits gut für das Unternehme­n, wenn Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r bestehende­n Bedarf erfüllen können. Zugleich werde man weniger leicht ersetzbar. „Entspreche­nd hat man dann als Beschäftig­ter mehr Macht.“Weil gerade viel im Wandel sei, könne man auch einen neuen

Jobtitel aushandeln, schlägt der Verhandlun­gsexperte weiter vor. Bei einem Jobwechsel können sie dann davon ausgehen, dass der neue Arbeitgebe­r sie auch auf dieser höheren Ebene einstellt. „Große Gehaltsspr­ünge sind gerade dann möglich, wenn man das Unternehme­n wechselt.“

Schweinsbe­rg möchte den Blick außerdem auf die Vorzüge lenken, die in der Arbeitswel­t durch die Corona-pandemie zum Teil entstanden sind. Beschäftig­te sollten sich fragen, was sie aktuell zu schätzen wissen und was sie davon behalten möchten. „Zumindest die Option auf Homeoffice oder die Möglichkei­t ab und an eine Woche lang von einem anderen Standort zu arbeiten, kann man jetzt gut verhandeln.“

2. Die Perspektiv­e wechseln

Vor Verhandlun­gen sollte man immer versuchen, sich in das Gegenüber zu versetzen und dessen Perspektiv­e einzunehme­n: „Wie ist es für meine Chefin gerade? Mit welchen Einschränk­ungen muss sie leben, und welche neuen Möglichkei­ten hat sie?“

So ließen sich oft Widerständ­e abbauen und Konflikte vermeiden, erklärt der Psychologe. „Wenn ich weiß, wie mein Gegenüber die Lage wohl einschätze­n wird, dann kann ich meine Botschaft daran anpassen.“Gleichzeit­ig schütze man sich davor, unangebrac­hte Forderunge­n zu stellen. „Das heißt aber nicht, dass man mit den Entscheidu­ngen der Führungskr­aft 100 Prozent übereinsti­mmen oder gar Mitgefühl entwickeln muss – es ist eher ein kognitiver Blick durch die Brille des anderen“, stellt der Experte klar.

3. Die Alternativ­en kennen

Zu einer erfolgreic­hen Verhandlun­g gehört es, sich zu fragen, was die eigenen Alternativ­en und die des Gegenübers sind. „Wenn ich beispielsw­eise die einzige Programmie­rerin im Unternehme­n bin, dann hab ich viele Alternativ­en“, erläutert Schweinsbe­rg. Wichtig ist, seine Alternativ­en zu entdecken und zu verbessern. „Man kann zum Beispiel versuchen, einmal im Jahr zur Probe nach einem neuen Job zu suchen. Was gibt es da draußen, wie sind die Gehälter? Einmal im Jahr einfach die Fühler ausstrecke­n“, rät der Experte.

Wer weiß, dass er anderswo mehr verdienen kann, kann das mit in eine Verhandlun­g nehmen und hat damit eine deutlich bessere Ausgangspo­sition. So kann man dem Vorgesetzt­en zum Beispiel sagen: „Ich würde gerne bleiben, wir müssen aber über eine Gehaltsanp­assung sprechen.“Wer sich regelmäßig nach Alternativ­en umsieht, könne auf keinen Fall verlieren. „Man kann sie für Verhandlun­gsgespräch­e nutzen, sie geben Sicherheit, und wenn es wirklich so weit kommt, dass man einen neuen Job braucht, dann hat man schon mal etwas“, so Schweinsbe­rg. (dpa)

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Wer ein höheres Gehalt verhandeln will, sollte vor dem Gespräch auch mal die Perspektiv­e des Gegenübers einnehmen.

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